Studio Diary - Stylianos Schicho

Stylianos Schicho, Foto: Petra Lindenbauer

Trotz Shut Down – Kunst wird produziert. Unter anderem im Bildraum Studio in der Brotfabrik Wien wo Stylianos Schicho noch bis Ende Mai als Artist-in-Residence arbeitet.


Man kann ihnen nicht entkommen. Den überlebensgroßen Gesichtern mit ihren aufgerissenen Augen, den Gestalten mit über die Stirn gezogenen Mützen, Mundschutz oder Sturmmasken. Stylianos Schichos Menschenbilder sind uns nahe, seit März 2020 vielleicht um noch einiges näher, als wir es erahnt hätten. Ein Eindruck, der sich beim Betreten des Künstlerateliers noch verstärkt: Im Bildraum Studio der Bildrecht in der Brotfabrik Wien, in dem Stylianos Schicho noch bis Ende Mai 2020 als Artist-in-Residence arbeitet, stapeln sich die Leinwände, aus denen uns unentwegt die Blicke vermummter Figuren entgegen starren. Trotz dem großflächigen Studioraum scheint es hier kein Zurücktreten, keine Ausweichmöglichkeit mehr zu geben.

Stylianos Schicho skizziert die Ruhe vor dem Sturm in einer Welt, deren Rotationskreisel wohl bald aus der Verankerung springen. Denn schon jetzt haben seine Figuren keinen Rückzugsort mehr.

Esther Mlenek, Bildrecht, 2019
Bildraum Studio, Foto: Stylianos Schicho

Bildraum Studio, Foto: Stylianos Schicho

PARNASS: Die Thematik von Nähe und Distanz, als maßgeblicher Pfeiler in deinen Arbeiten, scheint derzeit ein nicht von der Hand zu weisendes Gewicht bekommen zu haben.

STYLIANOS SCHICHO: Es ist für mich Besorgniserregend zu sehen, dass meine Bilder real werden. Modernes menschliches Leben zwischen Nähe und Distanz, Kommunikation und Interaktion, Intimität und Isolation – diese Punkte standen immer im Mittelpunkt meiner Arbeit und sind jetzt noch deutlicher und allgegenwärtig geworden. Als Künstler bin ich das Alleinsein im Atelier gewöhnt. Wenn überhaupt ein Vergleich gezogen werden kann, dann ist es mit der Arbeit eines Leuchtturmwärters vergleichbar. Also nicht gerade gesellig. Ein Szenario, dass wir nun aber alle aus unserem täglichen Leben kennen, ist die Begegnung nüchterner, ausweichender Blicke, während wichtige Mimik uns durch den Mundschutz verborgen bleiben. Es ist jene scheinbar distanzierte Grundhaltung, die auch meine Figuren zum Ausdruck bringen. In dieser Haltung siehe ich aber nicht nur Gefühle der Isolation und der sozialen Phobie begründet, sondern auch immenses Potenzial.

P: Großflächige Leinwände, Triptychen und Wandfriese im öffentlichen Raum – man kommt schwer um deine Formate und deren Motive herum. Inwiefern arbeitest du politisch?

S: Mein Themenfokus war es schon immer gesellschaftlich relevante Strömungen, Spannungen und Verwerfungen zu beobachten, um sie in Kunst zu verwandeln. Kurz gesagt, soziale Geschehnisse zu kartografieren und abzubilden. Hinzu kommt, dass meine Bildformate meist unweigerlich konfrontieren. Ich möchte, dass sich im Betrachter der Gedanke aufdrängt, dass diese, bereits durch das Format bedingt, Nähe erwünschen, ja beinahe erzwingen. Für die Figuren in meinen Bildern bedeutet dies aber zugleich, dass ihre Vermummungen kein sicherer Schutz mehr sind. In vielen meiner neueren Arbeiten drehen die Figuren mit ihren semi-transparenten Körperhüllen den Betrachterinnen und Betrachtern den Rücken zu. Man erkennt daran eine gewisse Verweigerungshaltung, ein Abwenden, vielleicht den ultimativen Rückzug. Mit starken Kohlestrichen ziehe ich zudem eine beharrliche, kreisrunde Begrenzung, um die Protagonisten. Ihr Territorium wird hart abgesteckt. Sie sind ausgeliefert, nur der weiße Umraum der Leinwand bietet noch etwas Freiheit. Die aktuelle Situation hat in meinen Augen eine rasante, politische und gesellschaftliche Sprengkraft entwickelt. Es gibt essenzielle Fragen, die beunruhigen, aber gestellt werden müssen.

Nicht nur seit Covid-19 sehen wir eine Diskrepanz zwischen den Interessen des Einzelnen und des Kollektivs. Jetzt ist sie aber unweigerlich spürbar. Wieviel kreativer Raum wird uns finanziell, physisch und psychisch noch bleiben? Haben wir noch Luft nach oben?

Stylianos Schicho

P: Gibt es eine Arbeit, die deinen Standpunkt aktuell zusammenfasst?

S: Bereits zum Jahreswechsel hat eine Arbeit, die als Analogie zum Werk „Angelus Novus“ von Paul Klee aus 1920 und dessen Interpretation von Walter Benjamin verstanden werden kann, inhaltlich einen Ansatz vorgegeben, in dem mein jahrelanges Schaffen kumuliert. Aus einem Impuls heraus zeichnete ich im Staub einer alten Glastür eine Eule als Referenz auf Angelus Novus, Klees Engel der Geschichte. Sie hält mit ihren offenen Schwingen gegen den Wind des Fortschrittes an, will Rettung bringen, kann aber ihre schützenden Flügel nicht mehr schließen. Die Eule wird rücklings in die Zukunft getrieben. Momentan, so scheint es, holen mich meine alten Arbeiten aufgrund der prekären aktuellen Lage wieder ein. Die Bilder gleichen sich, wobei ich nicht von einem Kassandra-Effekt sprechen will. Daraus resultiert jedoch ein sehr seltsames und beunruhigendes Gefühl, als ob ich beginnen würde auf meine eigene Vergangenheit zu warten. Das spiegelt sich eben auch in der besprochenen Arbeit wider, auf das staubige Glas treffendes Licht wirft sein Schattenspiel, es entsteht ein Doppelbild. Immer bleibt uns etwas verborgen, wird vom Umriss, den wir selbst auf die Glasfläche werfen, verschluckt. Es geht nicht mehr darum, dass wir beobachtet werden, nicht mehr primär um den Überwachungsapparat und unsere heutige Kommunikationsgesellschaft. Es geht mir vor allem um das Gewahrsein der eigene Perspektive, um das Erkennen der eigenen blinden Flecke. Es geht in bedeutender Weise um den Standpunkt, den wir einnehmen und ob wir uns von hier verrücken lassen und mit den jeweils auftauchenden Schattenseiten leben können.

Stylianos Schicho, Foto: Petra Lindenbauer

Stylianos Schicho, Foto: Petra Lindenbauer

P: Wie ist deine Arbeitssituation im Moment? Was hat sich aufgrund Corona geändert?

S: Ausstellungen und Präsentationen, auf die ich hingearbeitet habe und noch hinarbeite, wurden bereits abgesagt und verschoben. Besuche von Freunden, Kunstinteressenten und Sammlern sind schwer bis unmöglich. Das ist bitter, da ich momentan bis Ende Mai eine Residency im Bildraum Studio habe, wo es genug Platz für das social distancing gäbe. Momentan arbeite ich an einem Projekt mit der Keramikkünstlerin Petra Lindenbauer, initiiert und geleitet von Hema Makwana (HM Communication). Ich finde diese Kollaboration sehr spannend, weil Petra Lindenbauer und ich die Möglichkeit haben aus unserem bereits bekannten Arbeitsfeld herauszutreten um etwas Neues zu schaffen. Die große Kunst ist es ja sich immer wieder selbst reinzulegen um formal sowie künstlerisch neue Wege beschreiten zu können. Aufgrund der Covid-19 Maßnahmen steht der Realisierungsprozess jedoch leider im Moment still. Die Keramikserie kann deswegen nicht fertiggestellt und somit auch nicht mehr wie geplant in meinem temporären Studio gezeigt werden. Dennoch gibt mir dieses Projekt Rückenwind und ich freue mich schon es zu einem späteren Zeitpunkt zu präsentieren.

Stylianos Schicho, Foto: Petra Lindenbauer

Stylianos Schicho, Foto: Petra Lindenbauer

 


IMPRESSIONEN

Bildraum Studio
Eine kulturelle Einrichtung der Bildrecht

Brotfabrik Wien, Absberggasse 27, Stiege 9, Wien 10
www.bildrecht.at

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