Studio Diary - Jakob Kirchmayr

Jakob Kirchmayr © by the artist

Trotz Shut Down – Kunst wird produziert, ob in den städtischen Ateliers oder auf dem Land, wohin einige der Künstlerinnen und Künstler sich zurückgezogen haben. Wir haben sie um  Notizen zu dieser Zeit gebeten. Heute gewährt uns Jakob Kirchmayr (Galerie Ernst Hilger) Einblicke.


"Im Grunde ist mein Alltag derzeit beinahe wie sonst auch, natürlich, meine Pläne wurden allesamt über den Haufen geworfen was bleibt mir also anderes über, als neue zu schmieden.

In dem Moment, als das erste Mal von Ausgangsbeschränkungen die Rede war, war auch klar, dass sämtliche meiner Projekte nicht mehr realisierbar sein werden zumindest für die erste Jahreshälfte. Es fühlte sich an, als hätte mir jemand den Boden unter den Füßen weggezogen. Für Montag, den 16. März, war alles für den Ausstellungsaufbau vorbereitet, dieser Tage sollten zwei Ausstellungen eröffnet werden. Stattdessen war ich am frühen Montag Morgen mit der Stornierung von Transporten und Versicherungen beschäftigt.

Künstler brauchen oft einen langen Atem.

 

Jakob Kirchmayr

Die Ausstellung im Kunstverein Horn wäre am 22. März eröffnet worden, auch wollten wir dort ein neues Büchlein präsentieren, mit Offsetfarblithografien. Entstanden im Waldviertel, in Mühlfeld, in der bezaubernden Druckerei von Toni Kurz, mit wunderbar behutsamen Texten von Heinz Janisch („Herr Kubin zieht den Hut“, Edition Thurnhof). Jetzt im April, plante Ernst Hilger meine Arbeiten großzügig auf der Art Cologne zu präsentieren, später dann in Basel – beide Messen wurden inzwischen in den Herbst verschoben. Darüber hinaus, sollte das oben beschriebene Büchlein, in Kombination mit einer Ausstellung von kleinen Zeichnungen, im Frühjahr in den Galerieräumen in der Dorotheergasse präsentiert werden …

Künstler brauchen oft einen langen Atem. Das Scheitern gehört zu meinem Leben, wie auch immer wieder Mut zu fassen und neue Anläufe zu unternehmen.

Jakob Kirchmayr, Atelier, © by the Artist, Courtesy Galerie Ernst Hilger

Jakob Kirchmayr, Atelier, © by the Artist, Courtesy Galerie Ernst Hilger

Mit dem Wegfallen der Veranstaltungen bricht nicht nur meine Einnahmequelle vollständig weg, auch seelisch muss man das erst verkraften, dass sich monatelange Vorbereitungen ganz einfach und ohne Spuren zu hinterlassen auflösen.

Jakob Kirchmayr

Alle, die im Kunst und Kulturbereich arbeiten, wissen, wieviel Aufwand und Kosten Ausstellungsvorbereitungen bedeuten, Bücher, oder Kataloge zu drucken – in meinem Fall, mit viel Körpereinsatz großformatige Malereien entstehen zu lassen – irgendwie ist man immer wieder fähig die notwendigen Energien aufzubringen, die Mühen und Abstriche in Kauf zu nehmen. Entschädigung sollte folgen, im Rahmen einer groß angelegten Ausstellung, oder auch einer Buchpräsentation.

Dieses Mal ist es anders und mir geht es da, wir sehr vielen anderen auch. Mit dem Wegfallen der Veranstaltungen bricht nicht nur meine Einnahmequelle vollständig weg, auch seelisch muss man das erst verkraften, dass sich monatelange Vorbereitungen ganz einfach und ohne Spuren zu hinterlassen auflösen. Vorerst, denn meine Bilder werde ich zu einem späteren Zeitpunkt wieder zeigen können. 

Allerdings stapeln sich bestellte Rahmen und fertige großformatige Arbeiten auf Baumwollgewebe nun im Atelier. Ein weiteres Problem, das sich daraus ergibt, ist die Lagerung. Abgesehen vom Raum, den die gerahmten Papierarbeiten einnehmen, leiden meine ganz großen Textilarbeiten, wenn sie länger gerollt gelagert werden müssen. Die größten Maltücher messen knapp 3 auf 5 Meter. Es sind reliefartige Werke, die aus oft mehreren Stücken zusammengenäht werden. Ein bisschen wie Reliefkarten werfen diese Textilien Falten und Erhebungen auf, oder senken sich in Täler nieder - die dann von mir abgenäht und bemalt werden. Man kann sich also vorstellen, dass diese Art von Bildwerk das Rollen nicht sehr gut verträgt.

Am Montag, den 16. März habe ich beschlossen, mich in nächster Zeit mit Glück zu befassen ...

Jakob Kirchmayr

Am Montag, den 16. März habe ich beschlossen, mich in nächster Zeit mit Glück zu befassen, mit allem was mich glücklich macht – mit meinen Kindern, mit der Malerei, mit Lyrik und Musik, mit Gartenarbeit, mit der Zubereitung von Speisen – wenn ich das schreibe, fühle ich mich dennoch unglaublich privilegiert. 

Mein Atelier und auch die Wohnung, befinden sich im selben Gebäude in Wien. Nicht immer ist das ideal, derzeit jedoch, ist es ein Segen. So konnte ich auch meinen Söhnen Arbeitsbereiche im Atelier einrichten – für die beiden eine wichtige Abwechslung, denn sie vermissen ihre Freunde und die Großeltern – während der Vierjährige nun an einer kleinen Staffelei zeichnet, beschäftigt sich mein älterer Sohn mit Arbeitsblättern, die mir seine Lehrerin per Mail zusandte, oder wir gehen gemeinsam Mathe- und Deutschbücher durch. Parallel dazu versuche ich, an einigen halbfertigen Bildern weiterzuarbeiten und zumindest die wichtigsten beruflichen Dinge zu erledigen. Das klappt für etwa zwei Stunden, dann brauchen die Jungs Bewegung. Zum Großen Glück gehört zu unserem Haus ein Garten, den die Buben nützen dürfen - aber ich weiß nicht, wie es Familien geht, die zu mehreren auf kleinstem Raum leben müssen, ohne die Möglichkeit, dass sich die Kinder mal richtig austoben können. Ich bin mit den Kindern nicht alleine, ich teile mir die Zeit mit ihrer Mutter. Trotzdem geht mir regelmäßig die Kraft aus und abends bin ich oft zu müde, um mir noch etwas zu essen zu richten.

Jakob Kirchmayr, Atelier, © by the Artist, Courtesy Galerie Ernst Hilger

Jakob Kirchmayr, Atelier, © by the Artist, Courtesy Galerie Ernst Hilger

Erst wenn man gezwungen wird, seinen Horizont einzuschränken, kann man ihn mithilfe seiner Fantasie erweitern.

Annemarie Pieper

Die derzeitige Situation zwingt uns, inne zu halten, auch ein bisschen über unser Tun nachzudenken. Bis zur sukzessiven Abschaffung der kommunistischen Systeme ab 1989, war halb Europa strengste Diktatur, Menschen wurden beim Versuch Grenzen zu überwinden, erschossen. Wir haben uns an das Leben in Freiheit und vor allem an den Wohlstand gewöhnt. Alles ist jederzeit verfügbar, die Gesundheitsversorgung selbstverständlich. Diese Krise führt uns vor Augen, wie kostbar und auch zerbrechlich das ganz normales Leben ist. Unsere hektische, schnelllebige und grelle Welt dreht sich gerade etwas langsamer und ich kann dem auch Positives abgewinnen – obwohl die aktuellen Vorgänge beängstigend sind und die wirtschaftlichen Folgen unabsehbar scheinen. Ich bleibe dennoch lieber Optimist.

Unlängst las ich in einem Interview mit der Philosophin Annemarie Pieper folgenden Satz, mit dem ich hier gerne schließen möchte: "Erst wenn man gezwungen wird, seinen Horizont einzuschränken, kann man ihn mithilfe seiner Fantasie erweitern."

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www.jakobkirchmayr.com

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