Kunstraum Niederösterreich

NACHGEFRAGT: FREDERIKE SPERLING

Mit Jänner 2023 hat Frederike Sperling die künstlerische Leitung im Kunstraum Niederoesterreich übernommen. Voriges Jahr trat die Kunsthistorikerin, die zuletzt Programmleiterin im weissen haus war, dort bereit als Gastkuratorin auf.  Nun wird sie vorerst für zwei Jahre die Performancekunstszene und aktuelle Diskurse in den Palais Niederösterreich holen – zum Start mit einem Programm, das von Perspektiven auf Klima- und Umweltkrisen ausgeht. Magdalena Mayer hat mit ihr gesprochen.


Parnass: Der Kunstraum Niederoesterreich war bisher ein Ort für zeitgenössische, junge Kunst, offen für performative und transmediale Zugänge. Du hast soeben die Leitung übernommen. Was hat dich an dieser Ausrichtung besonders interessiert und wie sehr willst du darauf aufbauen?

Frederike Sperling: Am Kunstraum Niederoesterreich finde ich besonders, dass er als einer der wenigen Institutionen in Europa schon seit 2007 Performancekunst als ebenbürtiges Medium der bildenden Kunst positioniert und seit jeher den einzigen Preis für Performancekunst in Österreich vergibt. Zumal viele Institutionen jetzt erst beginnen, entsprechende kuratorische Stellen einzurichten, Performancekunst aktiv aus dem Rahmenprogramm zu nehmen und als gleichberechtigte Kunstform zu etablieren. Den Schwerpunkt auf Performancekunst und die Besonderheit des H13 Preises möchte ich noch stärker akzentuieren. Durch die Partnerschaft mit der Bergen Kunsthall in diesem Jahr versuchen wir zum Beispiel, die hiesige Szene in ihrer internationalen Sichtbarkeit zu unterstützen.

P: Du hast in London und Amsterdam studiert und warst im Ausland kuratorisch tätig, kennst also Performancekunst international. Wie ist im Vergleich das Potenzial der lokalen Szene?

FS: Die Szene in Wien ist gut vernetzt, aber viele Künstler:innen betonen, wie schwer es ist, über die Landesgrenzen hinaus sichtbar zu werden. Es gibt wichtige Festivals und Institutionen, die Performancekunst in ihrer darstellenden Form fördern und zeigen. Aber bei ihrer Integrierung in den Ausstellungskontext sehe ich Nachholbedarf. International betrachtet werden Ausstellungen und Programme immer interdisziplinärer gestaltet, es wird spartenübergreifender gedacht und Live Arts, auch die Clubkultur, dringen immer stärker in den sogenannten White Cube. So am ICA in London, im Palais de Tokyo, oder im Haus der Kunst in München mit dessen Sound-Art-Reihe „Tune“. Der Kunstraum Niederoesterreich ist in dieser Hinsicht ein wichtiges Verknüpfungsglied zwischen den verschiedenen Szenen, die hier noch sehr getrennt sind. 

P: Der Kunstraum Niederoesterreich soll für dich ein Ort der Begegnung sein, offen für unterschiedliche Besucher:innen und Formate. Wie funktioniert ein experimenteller Kunstort im ersten Bezirk mit etablierten Institutionen rundherum? 

FS: Die Lage in einem Palais im ersten Bezirk, dem wohlgemerkt touristischsten Teil Wiens, ist eine spannende Herausforderung, erfordert zugleich aber ein hohes Maß an Sensibilität. Wir wollen den Ort über die Programmierung selbst, aber auch über verschiedene Workshops und andere Veranstaltungen, die zur Partizipation einladen, weiter öffnen. Heuer zum Beispiel mit einer partizipativen Installation des Kollektivs Omsk Social Club oder mit der Praxis von Soñ Gweha, die sich sehr mit Communitybuilding auseinandersetzt. Interessant ist für mich bei der Programmierung die Idee des DJs und Autors Jace Clayton, dass Kurator:innen wie DJs agieren sollten, die Vibes im Publikum aufnehmen und entsprechend reagieren. Dass also Besuchende nicht passiv Konsumierende sind, sondern eine besondere Form der Intelligenz darstellen. Das Vermittlungsprogramm ist auch ein wesentlicher Faktor in einer Kunstinstitution, um Ausstellungen öffentlich zu befragen und eine erweiterte Reflexion über aktuelle Diskurse, gesellschaftliche, soziale, ökologische Themen hereinzuholen. Gerade in diesen krisengeschüttelten Zeiten sind wir als Kunst- und Kulturschaffende, aber vor allem als Institutionen gefragt, uns immer und immer wieder die Frage nach unserer Verantwortung zu stellen. Gerade wenn in den sozialen Medien ein Antagonismus gefördert wird, müssen wir uns fragen, was unsere Kunsteinrichtungen leisten können, um Menschen wieder ins Gespräch miteinander zu bringen.

Wir wollen den Ort über die Programmierung selbst, aber auch über verschiedene Workshops und andere Veranstaltungen, die zur Partizipation einladen, weiter öffnen.

Frederike Sperling © Portraitstudio Wien - Theresa Wey

P: Dein erstes Jahresprogramm richtet sich mit dem Motto „Sensing The Heat“ auf die Umweltkrise und generell auf den gegenwärtigen Krisenmodus, soll aber über aktuelle Probleme hinausweisen. Welche Rolle kann Kunst dabei einnehmen, Szenarien zu suchen, wie es mit der Erde weitergeht?

FS: Ich habe mich gefragt: Was kann Kunst in Zeiten der multiplen Krisen und der immer sichtbareren Handlungsgrenzen unseres Tuns auf diesem Planeten ausrichten? Krisen bewirken eine Schockstarre, sie verkleben unsere Vorstellungskräfte, verunmöglichen den Blick in die Zukunft. Dieser Blick ist aber gerade jetzt fundamental wichtig. Für das Programm habe ich bewusst das Wort „sensing“ genutzt, um auf die Notwendigkeit hinzudeuten, dass wir uns unserer Sinne wieder bewusstwerden müssen. Um wieder zu träumen wagen, andere Vorstellungsräume zu betreten und andere Zukünfte zu imaginieren. Die Ausstellung ‚T(())mb von Omsk Social Club‘ wird sich immersiv und fast szenografisch im Raum manifestieren: Bei diesem und weiteren Schwerpunkten geht es genau darum, Besuchende in eine andere Welt zu transportieren. Die Choreografin Alexandra Pirici hat das schön formuliert: Performancekunst kann ein Heraufbeschwören von anderen Gedankenwelten sein. Und dieses kollektive Trainieren oder Erproben eines Als-ob-Szenarios in einem Ausstellungsraum ist für mich das große Potenzial, das in der Kunst und auch in unserer Verantwortung als Institution liegt. Gemeinsam mal so zu tun, als ob es anders sein könnte, ist für mich eine Vorstufe für ein aktives Handeln, für Transformationsprozesse.

P: Verstärkt sich dieses Potenzial der Kunst für die Krisenbewältigung, wenn der Zugang zu ihr – so dein Konzept – niederschwellig und Spartenübergreifend ist?

FS: Der spartenübergreifende Ansatz macht grundsätzlich meine kuratorische Vision aus, weil ich stark daran interessiert bin, den Ausstellungsort auch für weniger kunstaffine Personen einladend zu machen. Das ist natürlich umso wichtiger, wenn es um die gemeinschaftliche Bewältigung der ökologischen Krise geht. Die Frage, inwiefern Ausstellungen relevant sind für ein breites Publikum, spiegelt sich sicher auch in der Interdisziplinarität im Programm. Hier spielt aber auch die Erweiterung des Ausstellungs- und Performancebegriffs eine Rolle – mit Blick auf Clubkultur: Es ist sehr spannend, was für ein politisches Potenzial der Club als soziales Phänomen in sich birgt. Welches Potenzial für Träume, Wünsche, Imagination in der transzendentalen Erfahrung von Tanz oder Ekstase liegt.

© Eglė Budvytytė, Liquid Power has no Shame, 2017, LIAF, Lofoten international art festival Site specific performance and a video, still

P: Hat die Kunst für dich auch eine Verantwortung, jetzt die ökologische Krise zu thematisieren, weil sie zum Hinschauen bewegt? 

FS: Wir Kunstinstitutionen sind sicher stärker denn je gefragt, uns mit der Verantwortungsfrage auseinanderzusetzen und sie auch offen zu debattieren. Die ökologische Krise spielt für mich eigentlich immer im Hintergrund mit und vereint in ihrer Komplexität fast alle anderen Krisen in sich: Kriege, Pandemien, soziale Ungleichheit, Ressourcenknappheit. Was man eigentlich aus apokalyptischen Filmen kennt, wird zu einer immer greifbarer werdenden Realität. Gerade zum Beispiel durch die Energiekrise oder die Aktionen der Letzten Generation. Mir geht es darum, die ökologische Krise möglichst multiperspektivisch zu beleuchten und ganz klar herauszustellen, dass sie auch eine Krise der Gerechtigkeit ist – mit Blick auf dekoloniale Ökologie. Dass wir, wenn wir sie kollektiv angehen wollen, gleichzeitig soziale Ungleichheiten anpacken und uns auch der Verbindung zwischen dem Kapitalozän und der desaströsen Zerstörung von Natur bewusstwerden müssen. Oder den Dualismus von Mensch und Natur gedanklich überwinden – um das geht es stark bei der ersten Ausstellung im Kunstraum, „Matrix Bodies“. 

P: Mit dem Anliegen, internationale Künstler:innen zu zeigen und nicht nur eine eurozentrische Perspektive?

FS: Das ist fundamental, weil die ökologische Krise hier im sogenannten Globalen Norden erst langsam spürbar wird, aber der globale Süden ihre Konsequenzen ja schon lange trägt. Als Kuratorin ist es mir gerade in diesem Zusammenhang unglaublich wichtig, intersektionale Perspektiven zu versammeln. 

Kunstraum Niederösterreich

Herrengasse 13, 1010 Wien
Österreich

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