Die U-Bahn Kunst der Wiener Linien

SPOT ON | Kunst am Bau

MICHAEL KIENZER | Lines and Double, 2017 | U1-Station Troststraße Flächige Fugenzeichnung auf Emailpaneelen | Foto: Iris Ranzinger / KÖR GmbH, 2017

Das heutige Netz der Wiener U-Bahnen gründet in Otto Wagners Vision einer modernen Stadtentwicklung und der in diesem Entwurf essenziellen Wiener Stadtbahn, deren Konstruktion und Architekturer plante und bis ins Detail gestaltete. Noch heute befahren die Linien U4 und U6 die historischen Stadtbahnbögen, die 1898 eröffnet wurden.


Wagner legte größten Wert auf die künstlerische Qualität und Konsequenz der Ausstattung aller Wege, Brücken und insbesondere der Stationen. Sein Werk prägt das Stadtbild Wiens bis heute und stellte auch das Vorbild für das einheitliche Erscheinungsbild der neuen U-Bahnlinie U1 in den 1970er-Jahren dar. Es folgte der Bau der U2 mit weiten Stationshallen, welche etwa in der Station am Schottentor die Integration von Vitrinen ermöglichte, die in Kooperation mit der Universität für angewandte Kunst als temporäre Ausstellungsmöglichkeit genutzt werden konnten. 1987 beauftragten die Wiener Linien Anton Lehmden,die neu errichtete U-Bahnstation Volkstheater auszustatten. Dessen großflächiges Glasmosaik zur naturgeschichtlichen Entstehung der Erde setzte den Beginn der prinzipiellen Einbeziehung künstlerischer Konzepte in der Planung der künftigen U-Bahnstationen.

2008 wurde die Zusammenarbeit mit KÖR Kunst im öffentlichen Raum GmbH beschlossen. Während des sukzessiven Ausbaus des U-Bahnnetzes wurden und werden kontinuierlich nationale und internationale Künstler und Künstlerinnen zu Wettbewerben geladen. Es entstand eine Vielfalt an Interventionen, die aktuell mit über 30 Werken ein weites Spektrum an künstlerischen Medien aufzeigen, Malerei und Zeichnung, Mosaik, Skulptur und Installation, aber auch Neue Medien beleben die Gänge, Tunnel und Wartezonen.

Werke von Ingeborg Strobl, Peter Kogler, Heimo Zobernig, Franz Graf oder Michael Kienzer, aber auch von renommierten internationalen Künstlern wie Ken Lum, Christian Jankowski oder Nam June Paik wurden in den unterirdischen Räumen der öffentlichen Verkehrsmittel realisiert.

Die Interventionen sind nicht nur in der Kernzone Wiens oder auf touristische Zentren konzentriert, bis nach Simmering oder in die Seestadt Aspern reicht auch das Netz der präsentierten Kunst und begleitet täglich die heimischen Passanten und Passagiere. Das Ziel der U-Bahn-Kunst ist kein unterhaltsames Beschönigungsprogramm oder die atmosphärische Ästhetisierung des notwendigen öffentlichen Transportmittels, vielmehr erfährt die reine Funktionalität eine bedeutsame Aufwertung. Das U-Bahnsystem wird als progressiver Teil des kulturellen Angebots der Stadt begriffen, das effektiv zur unverwechselbaren Identität der Stadt und des jeweiligen Schauplatzes beiträgt. Oft werden in den künstlerischen Interventionen ortsspezifische Themen aufgegriffen oder signifikante historische Bezüge ins Bewusstsein gehoben. Ein Nicht-Ort, der passiert werden muss, wird zum potenziellen Ort der Begegnung mit anregenden und sinnstiftenden Werken, Träger kulturellen Wissens und Gewissens oder hoffnungsvoller Vision.


MICHAEL KIENZER

Lines and Doubles U1-Station Troststraße

Michael Kienzer reagierte auf die durch Fortbewegung und Dynamik geprägte Raumsituation im Tiefgeschoss der U1-Station Troststraße mit einer skulpturalen Intervention. Er errichtete neben der bestehenden Doppelliftkonstruktion aus Stahl und Glas einen dritten, verzerrten Schacht aus baugleichen Materialien. Die funktionale Ordnung wird in eine skulpturale transformiert. Zudem zertrennt er entlang des zugehörigen Stiegenhauses einige Wandpaneele diagonal, um sie neu aneinanderzusetzen. Wieder wird das pragmatische System der Architektur quasi „en passant“ in ein künstlerisches überführt.

MICHAEL KIENZER, Lines and Double, 2017 | U1-Station Troststraße, Installation aus Stahlprofilen Foto: Iris Ranzinger / KÖR GmbH, 2017

MICHAEL KIENZER, Lines and Double, 2017 | U1-Station Troststraße, Installation aus Stahlprofilen Foto: Iris Ranzinger / KÖR GmbH, 2017

MICHAEL MELIÁN

Herminengasse, U2-Station Schottenring

Michael Melián widmete die Wände des Durchgangs am nördlichen Aufgang der U2-Station Schottenring den jüdischen Opfern des ationalsozialismus aus ebendieser Straße. Ein Forschungsauftrag für das Projekt ergab, dass von 1938 bis 1945 nachweislich 800 Jüdinnen und Juden, die in der Herminengasse lebten oder dort zwischenzeitlich einquartiert waren, von den Nazis deportiert wurden. Melián zeichnet diese Einzelschicksale in Linien nach, die von den Wohnhäusern in der Herminengasse zu den verschiedenen Konzentrationslagern führen. An den Rändern der Wandbilder sind die Namen der Konzentrationslager in alphabetischer und nicht in geografischer Ordnung gelistet. Die Häuser der Herminengasse sind nicht realistisch dargestellt, sondern als diagrammatische Informationsbalken, die sich auf die Gesamtbewohnerzahl von 1322 jüdischen Menschen der Gasse in diesen sieben Jahren beziehen, pro deportierte Person führt eine Linie von ihrer Wohnstätte zur für sie bestimmten Vernichtungsstätte. Darunter liegt eine Struktur aus grauen Linien, die das damalige Eisenbahnnetz sichtbar macht. Das Lineament ist ergreifende und bezeichnende Dynamisierung des ganzen Raums.


Michaela Melián, Herminengasse, 2017, U2-Station SChottenring, Digitaldruck auf Folie, Foto: Iris Ranzinger /KÖR GmbH, 2017

Michaela Melián, Herminengasse, 2017, U2-Station SChottenring, Digitaldruck auf Folie, Foto: Iris Ranzinger /KÖR GmbH, 2017

FRANZ GRAF

SUED, 2012 U1-Station Südtiroler Platz, Passage Hauptbahnhof

In der U-Bahnstation Südtiroler Platz, an der Schnittstelle von Hauptbahnhof und U1, installierte Franz Graf auf vier verschieden großen Flächen ein Bilderkaleidoskop, geschöpft aus seinem Archiv unterschiedlichster Bild- und Schriftmotive. Auf insgesamt 56 Glaspaneelen irkulieren Gesichter, dunkel akzentuiert und teilweise geschwärzt, kreisförmige Figurationen und rätselhafte Schrift zeichen in einem Rhythmus aus Loop und Remix. Metaphern von Erinnerungspuren, Sehnsucht und Wiederkehr setzen kräft ige Markierungen auf den sonst flüchtig wahrgenommenen Oberflächen eines urbanen Transitbereichs.


 

Franz Graf, SUED, 2012, Keramischer Digitaldruck auf Glas, insegsamt 65 Paneele, Foto: Iris Ranzinger / KÖR GmbH, 2012

Franz Graf, SUED, 2012, Keramischer Digitaldruck auf Glas, insegsamt 65 Paneele, Foto: Iris Ranzinger / KÖR GmbH, 2012

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