Shirin Neshat

Shirin Neshat, Foto: Lina Bertucci

Die Fotografin und Filmemacherin Shirin Neshat vertritt seit den 90er Jahren eine einzigartige Position, die zwischen den kulturellen Polen ihrer iranischen Heimat und ihres westlichen Exils angesiedelt ist. Die in New York lebende und arbeitende Künstlerin entwickelt besonders zum Frauenbild im Iran kraftvolle, ästhetisch ansprechende und inhaltlich fordernde Arbeiten, die auch durch die feministische Kunsttheorie stark rezipiert werden.


Die heuer zum 17. Mal stattfindende GLOBART Academy, die vom 23. bis zum 26. Oktober unter dem Titel (UN)Sichtbar im Kloster und in Krems abgehalten wird, konnte die vielfach ausgezeichnete Künstlerin als Eröffnungsrednerin gewinnen. Zudem werden zwei ihrer Arbeiten, Passage von 2001 und Women Without Men (2009), ihr erster Kinofilm, gezeigt. In Wien hat die Künstlerin ihren strikten Zeitplan geöffnet um einigen Medien Interviews zu ermöglichen – Parnass war eines der glücklichen, die ein Vorabinterview mit Frau Neshat erhielten.

Parnass: Shirin Neshat, es ist eine große Freude, Sie kennenzulernen und diese Möglichkeit zu erhalten. Sie sind eine sehr politische Künstlerin, tatsächlich ist es ja so, dass Sie Ihre künstlerische Karriere wiederbegonnen haben, nachdem Sie die kulturellen und sozialen Umwälzungen in Ihrer Heimat Iran nach der islamischen Revolution gesehen haben, und damit umgehen mussten. Morgen, bei der GLOBART Academy, werden Sie einen Einführungsvortrag  mit dem Titel „Voice of an Artist“ halten und die Frage stellen, ob Kunst denn wirklich einen Beitrag zur sozialen und politischen Situation und Entwicklung leisten kann, oder ob sie nur dazu da ist, von diesen Themen abzulenken. Kann Kunst einen Beitrag leisten?

Shirin Neshat: Zunächst einmal, bin ich keine politische Künstlerin. Das wird oft gesagt, aber wenn man von einer westlichen Künstlerin behauptet, sie wäre politisch, dann ist das etwas ganz anderes als das, was ich tue. Ich habe mich nicht entschlossen, politisch zu sein. Ich bin 1990 in meine Heimat zurückgekehrt und habe die großen Veränderungen gesehen, dieses Land, das nicht mehr wiederzuerkennen war, die Menschen, die sich ganz anders verhalten haben, anders ausgesehen haben. Ich musste einen Weg finden, damit umzugehen, ich wollte verstehen, was da vor sich ging. Das war etwas sehr Emotionales und keine Entscheidung politische Kunst zu machen.

Ich versuche, ein Gefühl zu bekommen für die Welt, die Situationen dieser Menschen, ihre Geschichte und die Hintergründe für das, was sie erleben. Prinzipiell aber bewege ich mich gerade weg von diesen Themen, man könnte sagen, ich bin aus „Iran“ und „Islam“ herausgewachsen und bin jetzt eher in „Ägypten“ oder sogar noch weiter weg.

Zunächst einmal, bin ich keine politische Künstlerin.

Shirin Neshat

Das passt auch zum Gefühl, das beim Betrachten Ihrer Arbeiten aufkommt – man spürt zwar Ihre tiefe Verbindung zu den Themen, aber letztlich bekommt man keinen Eindruck von Ihrer persönlichen, politischen Meinung. Vielmehr scheint man mit einer allgemeinen Situation konfrontiert.

Das freut mich sehr, dass sie das so sehen, denn es wird oftmals anders interpretiert. Aber darum geht es mir: Ich möchte eine Frage aufwerfen, die dann jeder selbst beantworten muss, seinem eigenen kulturellen und persönlichen Hintergrund folgend.

Würden Sie sagen, es gibt einen Punkt, wo die Interpretationen zu weit gehen, wo sie sagen, dass sie da niemals hinwollten? Ich frage das als Kunsthistorikerin und in dem Bewusstsein, dass Kunsthistoriker sich gerne von der eigenen Begeisterung etwas mitreißen lassen.

Es wird natürlich viel interpretiert, und auch in Richtungen, die ich nicht intendiert hatte. In „Women of Allah“ habe ich Frauen mit Schusswaffen gezeigt, die Interpretation war oftmals die, dass diese Frauen Opfer der Gewalt wären. Dabei war es für mich einfach interessant zu sehen, wie Frauen, noch dazu streng religiöse Frauen, sich bewaffneten und kämpften. Andererseits helfen mir viele Interpretationen auch, meine Arbeit besser zu verstehen, da sie Aspekte aufzeigen, die mir nicht bewusst waren. Meine Art zu arbeiten ist oft unbewusst und emotional. Ich arbeite mit Bildern und Eindrücken, nicht so sehr mit Worten. Und dann lese ich eine Interpretation und das bringt mich weiter. Zum Beispiel gibt es in dem Film „Passage“, der ja auch im Zuge der GLOBART Academy gezeigt  wird, eine Szene, in der dunkelgekleidete Männer und Frauen einen Sarg tragen. Am Rande sitzt ein bunt gekleidetes Mädchen am Boden. Ich habe dann eine Interpretation gelesen, dass dieses Mädchen Shirin selbst ist, die sich immer außerhalb der Gesellschaft befindet und sie betrachtet. Das fand ich sehr interessant. Ein anderer Text sprach vom immer wiederkehrenden Symbol der im Wasser treibenden Frau, wie es ja zum Beispiel auch in „Women Without Men“ zu sehen ist. Und tatsächlich habe ich frühe Zeichnungen von mir gefunden, in denen ich dieses Motiv bereits gezeigt habe. Ich finde das sehr spannend. Und dann wünsche ich mir ja auch, dass meine Arbeit betrachtet und in der Folge interpretiert wird, nicht nur von Kunsthistorikern sondern von allen möglichen Menschen.

Ich versuche, ein Gefühl zu bekommen für die Welt, die Situationen dieser Menschen, ihre Geschichte und die Hintergründe für das, was sie erleben.

Shirin Neshat

Zu Beginn der 2000er sagten Sie einmal in einem Interview, dass Sie sich wünschen, dass die Kunst offener wird, sich wegbewegt vom Elitären und mehr in die Gesellschaft hineinwächst, und dass Sie dazu eine Tendenz sehen. Hat sich das für Sie bewahrheitet?

Einerseits sehe ich natürlich, dass die Museen heutzutage voll sind, da hat sich einiges verändert. Aber für mich ist diese Verbreiterung der Kunst auch der Grund gewesen, von Fotografie wegzugehen und von der Präsentation in Galerien hin zum Kinofilm – denn ins Kino geht es sich leichter und die Schwelle, sich einen Film anzusehen, ist weniger hoch. Einen Matisse in einem Museum kann ich mir nicht einfach so anschauen, dazu brauche ich Hintergrundwissen, ich muss vielleicht Kunsthistoriker sein. Einen Film kann ich mir auch so anschauen, es ist die Erzählung, das Narrative, von dem man abgeholt wird und das man dann leichter versteht. Deshalb arbeite ich auch wieder an einem Film – ein Grund für meinen Aufenthalt in Wien ist es, Gespräche über die Produktion eines neuen Films zu führen. Ich stelle nach wie vor in Galerien aus, denn da erreicht man wieder ganz andere Menschen, und es hat für mich etwas von einem Ritual, das zu tun. Aber ich bin nicht so sehr im Kunstmarkt involviert, gehe nicht so sehr in die Galerien.

Aber Ihre Arbeit verknüpft beides, die reine Schönheit, in die man sich verlieren kann wie z. B. in einen Matisse und dazu kommt der Inhalt, auf den man sich auch einlassen kann. Ist Schönheit eine Art und Weise, Menschen zu schwierigen Inhalten zu locken, denen sie sich ansonsten eventuell nicht aussetzen würden?

Das ist ein sehr interessanter Punkt. Ich glaube, Schönheit ist etwas, woran man sich festhalten kann, was einem hilft und Halt gibt im Leben, ästhetische Dinge, mit denen man sich wohlfühlt sind wichtig. Mir gibt es zum Beispiel Halt wie ich mich kleide, darauf lege ich wert, denn das ist wie ein Schutz. Schönheit hilft auch,  Schmerz zu ertragen. In all meinen Arbeiten ist Schönheit immer mit Schmerz vermischt. Ich weiß, dass es Menschen gibt, die die Präsentation des Schönen ablehnen, aber ich denke, dass das auch eine Stütze ist.

Und Schönheit öffnet auch, während etwas Hässliches sofort verschließt und man dann die tieferen Bedeutungsebenen gar nicht mehr wahrnehmen kann.

Ja, denken Sie an die erste Szene von „Women Without Men“, sie ist sehr schön und doch ist sie schrecklich, denn es ist die Szene einer jungen Frau, die sich das Leben nimmt. Oder eine andere Szene im Film, in der man in ein wunderschönes Badehaus blickt und darin diese abgemagerte, blutende Frau. Es spielt immer ineinander. Alles im Leben hat das Schöne und den Schmerz. Das sind zwei Pole, die sich in allem finden.

Von außen betrachtet ist es so, dass sich ihre künstlerische Entwicklung anhand der Themen vollzieht, dass sie also vom Projekt ausgehen und sich dann eine Art und Weise suchen, das umzusetzen. Aber ist es auch manchmal umgekehrt, dass Sie eine bestimmte Art zu Arbeiten probieren möchten, und das dann mit einem Thema verknüpfen?

Das ist eine interessante Frage, ich weiß es eigentlich nicht. Ich kann nur sagen: I go with the flow! Viele dieser Dinge sind bei mir eher unterbewusst. Ich habe auch kaum Zeit, mich ausschließlich auf ein Projekt einzulassen, da immer sehr viel zusammenkommt. Ich muss da sehr professionell und diszipliniert sein.  Ich habe sehr viel zu tun, Vieles geschieht gleichzeitig, ich entwickle über Jahre Projekte, präsentiere laufende Arbeiten, recherchiere für neue, es gibt auch viel an Administrativem zu tun. All diese Prozesse der Verbindung von Thema und künstlerischem Ausdruck laufen stark intuitiv, ich kann das gar nicht erklären.

Shirin Neshat, Foto: Lina Bertucci

Shirin Neshat, Foto: Lina Bertucci

Wovon wird der neue Film handeln, an dem sie gerade arbeiten? Hat er sie bereits von den Themen Iran und Islam weggeführt?

Der Film handelt von einer Filmemacherin – von mir – die das Porträt einer berühmten Sängerin drehen will, und daran zuerst scheitert und Schritt für Schritt die Parallelen zwischen sich und der Sängerin entdeckt und dass sie eigentlich einen Film über ihr eigenes Schicksal dreht. Diese Sängerin war eine Legende, bei ihren Konzerten sind die Zuschauer in Ekstase verfallen, sie war einfach großartig, bei ihrem Begräbnis waren vier Millionen Menschen. Stellen Sie sich das für eine westliche Künstlerin vor! Ein Porträt von so einer Größe, einer Legende zu machen, kann nur misslingen und peinlich werden, daher war es nicht einfach, diese Geschichte zu schreiben. Vier Jahre lang arbeite ich schon an diesem Skript und ich finde es zum einen wunderbar, denn ich habe noch nie selbst ein Skript geschrieben. Ich konnte es in der Früh kaum erwarten aufzustehen und weiterzuarbeiten.

Andererseits bedeutet das natürlich auch vier Jahre harter Arbeit, viele Treffen, viele verworfene Ideen, viele Zurückweisungen. Wir wussten einfach nicht, wie wir dieses Porträt machen könnten und haben uns schließlich daher dafür entschieden, ganz ehrlich zu zeigen was passiert: Eine Filmemacherin die daran scheitert, diese legendäre Sängerin zu porträtieren. Es ist ein Spiel zwischen den beiden Erzählsträngen: Die Szenen aus dem Leben der Sängerin werden unterbrochen von der Arbeit am Film selbst und man sieht, wie die Künstlerin einmal von der einen Gruppe in die eine Richtung gedrängt wird dann von einer anderen Gruppe wieder zu etwas anderem bewegt wird, bis sie am Ende den Schluss des Films selbst bestimmt. Und sie findet sich in dieser Sängerin wieder: Sie hat keine traditionelle Frauenrolle eingenommen – so wie ich, ich bin keine traditionelle Frau.

Und wie ich musste sie viele Entscheidungen treffen in ihrem Leben und viele Opfer bringen um ihre Kunst ausüben zu können – was Männer nicht müssen. Sie war umgeben von Männern, ich bin es auch. Es gibt viele Dinge, wo das für eine Frau nötig ist. Das wunderbare an dieser Frau ist der Umstand, dass sie mit dem Alter immer größer wurde und immer mehr aufstieg, im Gegenteil zu weiblichen Stars hier im Westen, die im Alter oft tief sinken, mit Alkohol und Drogenkonsum.

Weil ihr Ruhm auf äußerer Schönheit basiert.

Ja, aber sie war nicht schön! Sie war sehr groß und eher männlich. Man sagte ihr auch nach, lesbisch zu sein, obwohl sie nach außen hin verheiratet war. Aber all das spielte keine Rolle: Alle liebten sie, Religiöse und nicht Religiöse, Männer und Frauen. Sie hat alle miteinander verbunden.

Und so sind wir wieder dort, wo wir begonnen haben, denn das ist etwas, was die Kunst leisten kann, die Verbindung zwischen den verschiedensten Gruppen herzustellen, die sich normalerweise stark unterscheiden oder sogar abstoßen.

Absolut! Genau das ist mein Anspruch.

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