Sabine Haag: »Die Hoffnung stirbt zuletzt«
Dieses Gespräch hat eine längere Vorgeschichte: Bereits im September 2019 besuchte PARNASS Sabine Haag, Generaldirektorin des Kunsthistorischen Museums (KHM), in ihrem Büro, um mit ihr ein Resumée über ihre Zeit in dieser Funktion zu ziehen. Schließlich hätte ihr ab 1. November Eike Schmidt nachfolgen sollen. Als das Interview fix und fertig abgetippt war und online gehen sollte, zog sich Schmidt plötzlich zurück.
Im Dezember verlängerte der Kulturminister der damaligen Übergangsregierung, Alexander Schallenberg, Haags Vertrag. Nachdem sie Anfang März ihre Pläne vorgestellt hatte, war ein neuerliches Gespräch geplant. Dieses findet nun statt, nachdem die Coronakrise die gesamte Kulturbranche lahmgelegt hat und die Voraussetzungen schon wieder ganz andere sind. Am Telefon sprach Sabine Haag mit PARNASS darüber, wie sie mit der Situation umgeht, was aus ihren Plänen wird und wieso das Haus nun enorme Denkarbeit leisten muss.
PARNASS: Frau Haag, wie steuert man einen Museumstanker durch die Zeiten der Coronakrise?
Sabine Haag: Wir sind, ebenso wie alle anderen, unerwartet und unverschuldet von dieser Pandemie und der daraus resultierenden Krise betroffen. Unsere erste Maßnahme war die Schließung aller Standorte. Dann ermöglichten wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern großteils Teleworking. Wir erstellten Arbeitspläne und organisierten uns intern sehr engmaschig. Ganz wichtig ist auch die Zusammenarbeit mit den verschiedenen in dieser Lage zuständigen Ministerien, auch in Abstimmung mit dem Betriebsrat und dem Kuratorium. Wir konnten Kurzarbeit einreichen, was zuvor für Bundesmuseen aufgrund ihrer Rechtsform ja nicht möglich war. Damit erhalten wir unsere Liquidität ebenso wie die Arbeitsplätze. Ausstellungen wurden verschoben: Die Beethoven-Schau, die Ende März hätte starten sollen, wollen wir im Herbst eröffnen, jene zu Tizian erst nächstes Jahr. Es kam ja auch der internationale Leihverkehr völlig zum Erliegen.
P: Bei Museen mit hohem Eigendeckungsgrad fallen momentan besonders viele Einkünfte weg. Hat Ihnen die Kulturpolitik schon signalisiert, mit welchen Unterstützungen außer der Kurzarbeit das Kunsthistorische Museum rechnen kann?
SH: Die Kurzarbeit war die erste Erleichterung, wobei wir noch nicht wissen, wie hoch die Förderquote am Ende tatsächlich sein wird. Daher können wir noch keine konkreten Zahlen liefern. Wir können unsere Mieten stunden, und die Basisabgeltung ist gesichert. Wir schilderten Staatssekretärin Ulrike Lunacek die grundsätzliche Situation in einer Videokonferenz. Wir versuchten ihr auch zu vermitteln, dass für die touristisch hoch frequentierten Museen – also Albertina, Belvedere und uns – die großen Schwierigkeiten dann beginnen, wenn wir wieder aufsperren. Momentan haben wir null Erlöse, doch auch nachher kann man nicht mit einem sofortigen Aufleben des Tourismus rechnen. Das wird sich niederschlagen.
P: Sie haben bereits Anfang April entschieden, das Haus gleich bis 1. Juli zu schließen. Wieso?
SH: Es ist schwierig, den Museumsbetrieb von einem Tag auf den anderen herunter-, aber noch schwieriger, ihn plötzlich wieder hochzufahren. Jetzt sind wir noch bis 30. Juni in Kurzarbeit. Wenn wir wieder aufsperren, wollen wir so professionell wie möglich sein, die Parameter für einen sicheren Museumsbetrieb müssen gewährleistet sein. Wir sehen momentan, was es heißt, Kultur nicht analog sehen zu dürfen sondern nur digital. Wir haben zwar unsere Online-Angebote forciert, doch natürlich fehlt diese unmittelbare Begegnung mit der Kunst enorm.
P: Wahrscheinlich werden wir die kommenden Monate, vielleicht sogar das ganze Jahr, enorme Reisebeschränkungen hinnehmen müssen. Was bedeutet das für den Museumsbetrieb, nicht nur in Hinblick auf das Publikum, sondern auch auf die Forschung und den internationalen Austausch?
SH: Es hat sich schon sehr viel verändert, aber wir werden routinierter. Der Großteil unserer Arbeit hat sich in den virtuellen Raum verlagert, der persönliche Kontakt ist zum Erliegen gekommen. Wir haben analog zu anderen Museen unseren Leihverkehr gestoppt, es dürfen ja keine Reisen unternommen werden und die Grenzen sind geschlossen. Leihgespräche können jetzt ebenso wenig geführt werden. In der Forschung funktioniert es etwas anders, da die Kolleginnen und Kollegen überwiegend am Schreibtisch sitzen und viel mit elektronischen Bibliotheken arbeiten. Da ist die Veränderung vielleicht nicht so stark spürbar wie in der Kunstvermittlung, wo im Museum selbst mit dem Publikum gearbeitet wird. Manche sind glücklich darüber, dass sie ohne Stress der eigenen Forschung nachgehen können, natürlich im Wissen, dass das derzeit auf freiwilliger Basis geschieht. Wobei momentan nicht alle in Kurzarbeit sind, sondern viele auch Homeoffice machen. In dieser Phase kann vielleicht auch ein großes kreatives Potenzial frei werden, gelöst vom Korsett des Alltags.
P: Sie kündigten Anfang März wichtige Vorhaben an, darunter die Revitalisierung des zweiten Stocks im Haupthaus, wo Sie Sonderausstellungen planen. Nach der aktuellen Krise drohen wahrscheinlich Sparpakete. Wie viel Hoffnung auf Realisierung Ihrer Projekte haben Sie jetzt?
SH: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Es wäre zwar realitätsfern, zu glauben, dass wir an unserer ursprünglichen Planung festhalten können. Die grundsätzliche Dringlichkeit bleibt aber vorhanden, auch wenn sie bei einzelnen Projekten nach hinten rückt. Die dringend notwendigen Verbesserungen etwa der Eingangssituation, der Garderobe und der Sanitäranlagen haben jetzt keine Priorität. Als Desiderat völlig unverändert sind natürlich die Sonderausstellungsflächen dort, wo früher die sogenannte Sekundärgalerie war. Diese Flächen müssen dringend für den Museumsbetrieb zurückgewonnen werden. Das können wir nicht ausschließlich aus Eigenmitteln stemmen, sondern dafür brauchen wir die Unterstützung durch den Bund. Genauso wie bei unserem zweiten wichtigen Projekt, der Modernisierung der Schatzkammer im Schweizerhof. Da sind wir in der Planung weit fortgeschritten.
P: IM REGIERUNGSPROGRAMM IST DIE REDE VON DER GRÜNDUNG EINER BUNDESMUSEEN-HOLDING. DIESE STIESS IN DER BUNDESMUSEEN-KONFERENZ AUF ABLEHNUNG. WIE IST IHRE HALTUNG DAZU?
SH: Die Frage ist: Was will man mit einer Holding bezwecken? Die Ursprünge für die Idee liegen ja in dem Weißbuch, das noch von SPÖ-Kulturminister Thomas Drozda in Auftrag gegeben wurde. Dessen Absicht war es, Doppelgleisigkeiten abzustellen und Synergien zu erreichen, was uns innerhalb der Bundesmuseen-Konferenz teilweise schon gelang. Es gab auch den Wunsch, Synergien bei der Gebäudeverwaltung zu erreichen. Das wäre aber angesichts der komplexen Situation, in der die Bundesmuseen in der Hinsicht sind, sehr schwierig. Und es soll endlich für alle Bundesmuseen ein Kollektivvertrag erarbeitet werden im Zuge dieser Holding. Das betrifft uns zwar auch, aber mit anderer Dringlichkeit, denn wir haben den KV bereits. Man kann sich also die Effekte einer Holding überlegen, muss sich jedoch auch die Kosten einer solchen Struktur vor Augen halten. Wägt man das ab, so spricht aus meiner Sicht nichts für eine Holding, was nicht auf anderem Wege zu erreichen wäre.
P: Sie gaben bereits im März bekannt, welche Ausstellungen Sie in den nächsten Jahren planen, etwa zu Rembrandt und van Dyck. In den vergangenen Jahren führte das KHM große internationale Forschungsprojekte durch, die in vielbeachtete Ausstellungen mündeten, wie zum Beispiel die Bruegel-Schau. Haben Sie für die künftigen Jahre Projekte in vergleichbarer wissenschaftlicher Dimension auf der Agenda?
SH: Es laufen natürlich Forschungsprojekte, wobei derzeit keines davon eine Dimension wie jenes zu Bruegel hat. Doch beispielsweise wurzelt die Ausstellung über Renaissance im Norden, die im nächsten Jahr stattfindet, in einem großen Forschungsprojekt von Guido Messling, das dieser vom früheren Direktor der Gemäldegalerie, Karl Schütz, übernommen hat. Bei anderen laufenden Forschungen prüfen wir gerade, wie wir sie in Ausstellungen umsetzen können. Dafür brauchen wir aber noch etwas Zeit. Seit meiner Wiederbestellung am 20. Dezember vergingen gerade mal zwei gute Monate, bis diese aktuelle Krise losging.
P: Museen, die wie das KHM einen Schwerpunkt auf Alte Meister haben, zeigen in letzter Zeit verstärkt Ausstellungen über Künstlerinnen. Der Prado etwa über Clara Peeters, die Uffizien über Plautilla Nelli. Auch das KHM hätte da einiges zu bieten, etwa mit Werken von Rachel Ruysch und Michaelina Woutiers. Die letzte Ausstellung, die das KHM einer Alten Meisterin widmete, war 1995 jene der Renaissancemalerin Sofonisba Anguissola. Liegt es nicht auf der Hand, auch im KHM zumindest einmal eine Künstlerin in den Fokus zu nehmen?
SH: Natürlich ist es uns ein Anliegen, Künstlerinnen in den Fokus zu nehmen. Im Altmeisterbereich sind sie aber dünn gesät. Die Ausstellungen, die Sylvia Ferino damals wichtigen Frauen in der Kunst – nicht nur die erwähnte Schau zu Anguissola, sondern auch über Vittoria Colonna und Isabella d’Este – widmete, waren internationale Vorreiter. Das KHM zeigte sie, lange bevor die Genderthematik in den Vordergrund rückte. In unseren Beständen haben wir leider nicht besonders viele Exponate von Künstlerinnen. Wir leihen sie, wohin wir können, zum Beispiel in die Anguissola-Ausstellung im Prado. Michaelina Woutiers wurde von unserer Kuratorin Gerlinde Gruber sogar „wiederentdeckt“, zu ihr gab es im Museum aan de Stroom in Antwerpen eine große Ausstellung, bei der wir auch sehr eingebunden waren. Im Theseustempel hatten wir für heuer eine Präsentation von Susanna Fritscher geplant; diese ist nun verschoben auf 2021. Natürlich ist es leichter, im Contemporary-Programm, Künstlerinnen in den Vordergrund zu stellen. Aber letzten Endes ist für mich die Attraktivität, die Solidität und Tiefe des Auslotens eines Werks wichtiger. Wir brauchen noch ein wenig Zeit, es gibt schon ein paar Überlegungen zu einer Ausstellung in einem anderen Format. Die Inhalte müssen attraktiv, die Möglichkeit, international Werke zu bekommen, muss vorhanden sein. Das steht im Vordergrund. Ich will nicht versuchen, eine bestimmte Künstlerpersönlichkeit zu zeigen, nur weil es der Trend jetzt vorgibt.
P: Wobei das Oeuvre von Ruysch oder Woutiers für eine Soloshow durchaus Spannendes hergeben würde, oder?
SH: Das ist ganz klar, da stimme ich absolut zu. Unsere Kolleginnen und Kollegen beschäftigen sich auch mit diesen Fragestellungen, die uns ja ohnehin betreffen: Wie werden die Ausstellungen der näheren und der mittleren Zukunft ausschauen müssen, welche Themen werden interessant sein? Auch bei den großen monografischen Ausstellungen ging es uns nicht immer darum, einfach einen Überblick über das Schaffen zu geben, sondern das jeweilige Werk aus einem bestimmten Blickwinkel heraus zu betrachten.
P: Also: einen besonderen kuratorischen Zugriff zu wagen?
SH: Genau. Darum schließe ich es nicht aus, dass wir rund um Michaelina Woutiers eine spannende Ausstellung gestalten können. Von unseren Beständen aus betrachtet, ist ein solches Projekt aber nicht top of the list. Eines muss man auch sehen: Ausstellungen kosten einfach Geld, egal, ob ich sie aus eigenen Beständen oder Leihgaben zusammenstelle. Wir sind innerhalb der Geschäftsführung in intensiven Gesprächen, wie wir möglichst solide (Ausstellungs-)Budgets für die kommenden Jahre aufstellen können. Gerade in der jetzigen Situation stellen sich diese Fragen neu. Da wir von sinkenden Zahlen im Tourismus ausgehen müssen, spielen die Ausstellungen eine ganz große Rolle. Im Umkehrschluss heißt das, dass wir die kommenden zwei Jahre verstärkt ein lokales Publikum ansprechen müssen. Da müssen wir ganz harte Denkarbeit leisten und in eine nähere Zukunft blicken, die sich uns noch nicht erklärt. Wir gehen davon aus, dass sich auch das Publikum verändern wird. Sowohl was sein Zusammensetzung betrifft, als auch seine Motivation: Was treibt die Menschen tatsächlich ins Museum? Ich bin mir sicher, dass Kunst und Kultur ganz wesentlich sein werden für die Zeit nach Corona. Wir sehen ja, welche Lebenskraft die Musik in Italien hat in dieser lebensbedrohlichen Krise. Die täglichen Balkonkonzerte zum Beispiel haben mich sehr berührt. Wenn wir Kunst nicht mehr hauptsächlich digital wahrnehmen müssen, dann können wir sie wieder anders, viel emotionaler erleben. Sicher mit einer gewissen Distanz zueinander, aber das gemeinsame Erleben von Kunst wird wieder ein ganz großes Bedürfnis sein. Egal, ob es sich um Kunst im Museum, um Musik, Lesungen, Theater oder Tanz handelt.