Nachgefragt

Sabine Folie ist neue Direktorin

Seit Jänner 2022 ist Sabine Folie Direktorin der Kunstsammlungen an der Wiener Akademie der bildenden Künste. PARNASS sprach mit ihr über Museen in Kunstuniversitäten, ihre neue Ausstellung und darüber, was Martin van Meytens mit Queerness zu tun hat.


PARNASS: Die Kunstsammlungen der Akademie umfassen drei Kollektionen mit langer Geschichte: Gemäldegalerie, Kupferstichkabinett und Glyptothek. Was fiel Ihnen auf, als Sie sich damit zu beschäftigen begannen?

Sabine Folie: Ich beschäftige mich schon lange mit historischen Sammlungen – beispielsweise in meinen Ausstellungen „Eine barocke Party“ oder „Tableaux Vivants“ 2001 und 2002 in der Kunsthalle Wien. Mich interessiert, wie sich Bildfindungen im Laufe der Kunstgeschichte transformieren. Hier gibt es einerseits die großen Sammlungen, andererseits den Konnex zur Akademie. Die Gemäldegalerie – als Ort – kann daher ein Labor und Experimentierfeld sein. Man kann zeigen, was historische Sammlungen im Kontext zeitgenössischer Kunst leisten können.

Wir können als Akademie freier damit umgehen als andere Museen und Kanonisierungen aufbrechen. Dabei ist gerade der historische Hintergrund, vor dem die Werke entstanden, spannend in der Verbindung zur Gegenwart. In der aktuellen Ausstellung „Das entwendete Meisterwerk. Bilder als Zeitmaschinen“, die ich kuratierte, versuche ich solche Verbindungslinien zu ziehen: So befasste sich schon im 17. Jahrhundert Samuel van Hoogstraten mit der Frage der Wiedergabe von Wirklichkeit und dem Verhältnis von Abbildung, Täuschung und Repräsentation. Dieses Interesse spielt genauso eine Rolle in der Konzeptkunst. Oder: Ein holländisches Seestück hat auch territorialpolitischen und ökonomischen Charakter, zeigen sich darin doch der Beginn der Globalisierung und nationale Abgrenzungen durch die Beflaggung der Schiffe. Am anderen Ende zeigen sich die Auswüchse Globalisierung in der Dokumentation einer Ölpest bei Allan Sekula. Alte Meister haben eine transhistorische Dimension, wie sie André Malraux in seinem „Musée Imaginaire“ und Aby Warburg in seinem Mnemosyne-Atlas beschrieb. Natürlich muss man kuratorisch mit einer gewissen Sensibilität vorgehen und sich vor plakativen Gegenüberstellungen hüten.

P: In einem Statement zur Programmatik der Kunstsammlungen sprechen Sie vom „radikalen Museum“. Was ist darunter zu verstehen?

SF: Der Begriff steht unter Anführungszeichen, ich entlehnte ihn von der Kunsttheoretikerin Claire Bishop. Die Kuratorin Clémentine Deliss spricht in einem ähnlichen Zusammenhang auch vom „metabolischen Museum“: ein Museum des Verdauens und Transformierens – wenn Künstler*innen von außen in die Eingeweide des Museums eintauchen und festgelegte Ordnungen befragen oder danach forschen, wie Objekte in die Sammlung kamen. In den meisten Museen, so auch in unserem, sind dezidiert westliche Sammlungen angelegt, außer ethnologische Sammlungen, die aus anderen Gründen neu betrachtet werden müssen. Deren Geschichte können wir nicht ändern, aber wir können kreative Formen finden, um sie zu befragen.

Sabine Folie, Foto: Elodie Grethen 

P: Ursprünglich waren die Sammlungen als Lehrbehelf gedacht. Wie lässt sich diese Aufgabe in die Gegenwart einer Kunstakademie des 21. Jahrhunderte transferieren? 

SF: Ich hatte jahrelang eine Professur inne und werde auch hier wieder lehren nach einer Phase der Neupositionierung. Zweitens gibt es viele Themen, auf die verschiedene Institute an der Akademie in aktuellen und zukünftigen Präsentationen reagieren können. Es war die Intention dieser Ausstellung, auch die Studierenden dafür zu interessieren. Das Bildnis Maria Theresias von Martin van Meytens steht darin einem effeminierten Porträt des Adam Philipp Graf Losy von Losymthal, von Johann Kupetzky gemalt, gegenüber – einer interessanten Figur, die in der Offenheit der Malerei gegenüber der Feinmalerei von van Meytens ebenso wie als Typus in seiner Haltung die Aufklärung und Reformwilligkeit schon andeutet. In diesem Kapitel der Ausstellung geht es um eine Schwellenzeit zwischen Absolutismus und Aufklärung; sowie sie als Ganzes Übergänge und hybride Subjekte, die sich historisch durch Umstände und technischen Wandel transformieren, thematisiert.

Das entwendete Meisterwerk. Bilder als Zeitmaschinen, 8.4.2022–30.10.2022, Ausstellungsansicht Gemäldegalerie© Kunstsammlungen der Akademie der bildenden Künste Wien, Foto: Iris Ranzinger

So ist der „Träumende Silen“ von Rubens beispielsweise eine hybride Figur, angesiedelt zwischen Mensch und Tier, Vernunft und Intuition. Ich möchte die jungen Künstlerinnen und Künstler auf die Zwischentöne hinführen, zeigen, in welcher Tradition sie selbst operieren.

P: Die Ausstellung „Das entwendete Meisterwerk“ zeigt Objekte aus allen drei Sammlungen, gemeinsam mit Leihgaben zeitgenössischer Kunst. Werden künftige Projekte in derselben Konstellation angelegt sein?

SF: Das muss nicht sein. Möglicherweise zeigen wir auch abwechselnd in der Hansen-Galerie nur Alte Meister in verschiedenen Konstellationen. Es kann auch sein, dass die historischen Sammlungen nicht durchgängig verflochten sind mit zeitgenössischer Kunst, sondern einzelne Räume im Sinne von Interventionen zu den Sammlungen Stellung beziehen. In der aktuellen Ausstellung gibt es ein Kapitel „The Artist at Work“. Ich kann mir vorstellen, daran weiterzudenken, eine thematische Reihe zu machen. Gerade die Akademie wäre dafür passend und geeignet.

Das entwendete Meisterwerk. Bilder als Zeitmaschinen, 8.4.2022–30.10.2022, Ausstellungsansicht Gemäldegalerie © Kunstsammlungen der Akademie der bildenden Künste Wien, Foto: Iris Ranzinger

Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste Wien

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Österreich

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