Renaissance im Norden
Im PARNASS widmeten wir uns bereits mehrmals dem besonderen Zeitabschnitt um 1500, als sich die ausgehende Spätgotik mit der einsetzenden Renaissance überlagerte. Nun widmet das Kunsthistorische Museum Wien seine Frühjahrsausstellung drei herausragenden Wegbereitern der Renaissance nördlich der Alpen: Hans Holbein d.Ä., Hans Burgkmair und Albrecht Dürer.
Die noch bis 30. Juni in Wien gezeigten Werke zeugen vielfach von einem neuen künstlerischen Selbstverständnis und von neuen Bildkonzepten, nicht zuletzt befördert durch neue Techniken wie den Buchdruck und die Verbreitung der Druckgrafik. Aber auch die wirtschaftlichen und politischen Verbindungen zwischen Italien und dem Norden Europas führten zu einem regen Austausch unter den Künstlern. Venedig importierte zudem die besten Farbstoffe aus Übersee, was zur Entwicklung der Berufsgruppe der „Vendecolori“ in der Lagunenstadt führte. Das Kunsthistorische Museum stellt nun die Renaissance im Norden vor allem im Hinblick auf die Bedeutung der beiden Städte Augsburg und Nürnberg in den Mittelpunkt.
Augsburg als frühes Epizentrum
Die KHM-Ausstellung ist eine Kooperation mit dem Städel Museum in Frankfurt und wird von Guido Messling (Kunsthistorisches Museum) und Jochen Sander (Städel Museum) kuratiert. Im Zentrum stehen Tafelbilder, Zeichnungen und Druckgrafiken von Hans Holbeins dem Älteren und Hans Burgkmair. Sie treten in Dialog mit Werken Albrecht Dürers, die für Augsburger Auftraggeber entstanden, sowie mit ausgewählten Arbeiten weiterer Maler, Bildhauer und Plattner aus der Zeit von circa 1480 bis 1540.
Die freie Reichstadt Augsburg erlebte in der frühen Neuzeit eine kulturelle und wirtschaftliche Blüte und genoss Anfang des 16. Jahrhunderts überregionale Bedeutung als Austragungsort der Reichstage und als Lieblingsstadt Maximilian I. Nicht zuletzt mit finanzieller Hilfe der Bankiersfamilien Welser und Fugger, die ihrerseits die Möglichkeiten der Künste erkannte und zur Repräsentation zu nutzen wusste, avancierte Augsburg zum führenden Kunstzentrum Deutschlands. So beauftragten die Fugger sowohl italienische Künstler wie Giovanni Bellini und Giulio Romano als auch alle wichtigen in Augsburg ansässigen Meister. Die zwischen 1500 und 1525 in Augsburg abgehaltenen sechs Reichstage boten für Augsburger und auswärtige Künstler die Gelegenheit, Aufträge zu erhalten, wie Wolfgang Augustyn im Katalogtext ausführt.
Durch die engen wirtschaftlichen Beziehungen zu Oberitalien waren Augsburg und Nürnberg weit früher von den neuen Tendenzen in der italienischen Kunst beeinflusst als andere Städte nördlich der Alpen. Ebenso fanden sich früh Werke der italienischen Kunst in deutschen Sammlungen, „etwa das Porträt Jörg Fuggers von Giovanni Bellini“, so Kurator Guido Messling.
Der humanistische Gelehrte und Augsburger Stadtschreiber Konrad Peutinger war, wie Wolfgang Augustyn schreibt,
Man übernahm zwar die neue Formensprache Italiens, verband sie jedoch bewusst mit Stilelementen der deutschen Gotik. Dies zeigt, wie Guido Messling im Gespräch mit PARNASS ausführt, besonders deutlich die aufwendig ausgestattete Grabkapelle, die von den Brüdern Jakob und Ulrich Fugger für die Kirche des Karmelitenklosters St. Anna gestiftet wurde. Mit der Stiftung der Fuggerkapelle setzte die erfolgreiche Augsburger Bankiers- und Handelsfamilie nicht nur sich selbst ein Denkmal, sondern markierte damit auch den Beginn der Renaissance diesseits der Alpen. Die Kapelle zeigt eine deutliche stilistische Anlehnung an venezianische Kirchen, etwa an Santa Maria dei Miracoli, und anderseits entschied man sich bewusst für ein spätgotischen Gewölbe. „Das war kein architektonisches Unvermögen, sondern ein bewusstes Bekenntnis zur eigenen Vergangenheit“, vermutet Messling. „Leider haben wir dazu keine zeitgenössischen Aussagen.“
Diese Kombination einheimischer Traditionen mit italienischen Bau- und Dekorationsformen ist in dieser Dichte im frühen 16. Jahrhundert erst- und einmalig. „Man hat das Neue aus dem Süden übernommen und gleichzeitig durch die eigene Kunstgeschichte ergänzt.“ Solcherart entstand eine genuin nördliche Renaissance mit einer eigenen Formensprache.
Zwischen der südlichen Renaissance und deutschen Gotik
Lässt Burgkmairs Werk eine intensive Auseinandersetzung mit der südlichen Renaissance vermuten, wahrscheinlich verbunden mit einer Reise nach Oberitalien im Jahr 1507, orientierte sich Holbein d. Ä. stärker an lokalen und altniederländischen Vorbildern – auch wenn er in seinem späteren Schaffen vereinzelt italienische Dekorformen in seine Werke integrierte. Insbesondere in seinen religiösen Tafelbildern blieb er einer nordisch geprägten spätgotischen Bildtradition treu.
Es gilt als wahrscheinlich, dass Hans Holbein um 1464 in Augsburg geboren wurde und ebenda auch seine ersten künstlerischen Schritte unternommen hat. Bei wem er seine Ausbildung erhalten ist, ist unbekannt. Sein Frühwerk umfasste religiöse Tafelmalerei und die Mitarbeit an größeren Wandelretabeln. So bestand, wie Guido Messling ausführt, eine enge Verbindung von Holbein d. Ä. zur Ulmer Werkstatt von Michael Erhardt, einem der damals führenden Bildschnitzer.
Hans Burgkmair wurde 1473 in Augsburg geboren und zunächst durch seinen Vater Thoman ausgebildet, anschließend verbrachte er eine Lehrzeit bei Martin Schongauer in Colmar. 1498 wurde er als Meister in die Malerzunft der Stadt aufgenommen. Neben Albrecht Dürer war er es vor allem, der sich intensiv mit der italienischen Kunst um 1500 auseinandersetzte, die in der Folge seine weitere Entwicklung als Maler und vor allem auch als Grafiker prägte. Burgkmair experimentierte mit verschiedenen neuen Techniken, etwa dem in der italienischen Zeichenkunst etablierten Rötelstein, und kooperierte auch vielfach mit Künstlern anderer Gewerke. Dazu zählten neue Techniken des Golddrucks und auch aufsehenerregende Neuerungen im Farbholzschnitt.
In Bezug auf die Auseinandersetzung mit der italienischen Malerei und der Implementierung ihrer Stilelemente im Norden nimmt auch Albrecht Dürer (1471–1528) einen wichtigen Platz in der Ausstellung ein. Ebenso wie Burgkmair manifestierte er in seinem Selbstbildnis bereits ein neues künstlerisches Selbstbewusstsein. Seine Kenntnis der italienischen Malerei und die Erfahrungen in der Druckgrafik machten ihn als Künstler für Auftraggeber wie den erfolgreichen Kaufmann Jakob Fugger (1459–1525) sowie Maximilian I. mit ihrem ausgeprägten Willen nach Repräsentation interessant. Dies zeigt anschaulich auch das Wiener „Rosenkranzfest“ (1606–1612), eine von mehreren bekannten Kopien nach dem Originalgemälde, das Dürer 1506 während seines zweiten Venedig-Aufenthalts für San Bartolomeo di Rialto, die Kirche der deutschen Kaufleute in Venedig, schuf. Die Kopie „ist auch deshalb so bedeutend, weil sie – anders als das stark beschädigte und im Verlauf der Jahrhunderte wiederholt restaurierte Originalgemälde in Prag (Národní galerie) – eine gute Vorstellung vom ursprünglichen Aussehen von Dürers Werk geben kann.
Die Ausstellung ist ein Schauerlebnis und gibt zugleich einen spannenden Einblick in die Umbrüche in der Kunst um 1500 sowie in die Rolle der Reichs- und Handelsstadt Augsburg als Zentrum der Renaissance im Norden.
Dieser Text wurde gekürzt. Den ganzen Beitrag lesen Sie in unserer Frühlingsausgabe.
Kunsthistorisches Museum
Maria-Theresienplatz, 1010 Wien
Österreich
Holbein. Burgkmair. Dürer.
Renaissance im Norden
bis 30. Juni 2024