Proteste und Boykottaufrufe gegen die „Kunsthalle Berlin“

Ein besserer Ort für die riesigen Stahlarbeiten des französischen Künstlers Bernar Venet ist schwer zu finden. Die Hangar zwei und drei im ehemaligen Berliner Innenstadt-Flughafen Tempelhof sind riesig genug, um das Lebenswerk des 1941 geborenen französischen Künstlers als lockeren Spaziergang zwischen fein geordnet stehenden Stahlbögen, Stahlknäuelen und von Venet mit Gabelstaplern umgeschupsten Stahlbögen ohne jede Platznot zu inszenieren. An den Wänden ringsum hängt das gesamte malerische Werk garniert mit großen Texttafeln, auf denen der Künstler seine Vorstellungen von Kunst erklärt. 


Eine solche Retrospektive, wie sie seit Ende Januar im Flughafen Tempelhof zu sehen ist, wäre kein Grund zur Aufregung. Doch die Ausstellung führt in Berlin zu heftigen Diskussionen, Protesten und Boykottaufrufen. Die richten sich nicht gegen die Kunst von Bernar Venet, sie entzünden sich am Ort, am Namen und an der Mit-Finanzierung des Projektes durch die Stadt Berlin.

Denn die Hangars im ehemaligen Flughafen Tempelhof sind nicht irgendein Ort. Als der Flughafen stillgelegt wurde, gab es einerseits große Hoffnungen für Veränderung des riesigen innerstädtischen Areals und andererseits starke Interessen dagegen. Seit einem erfolgreichen Volksentscheid 2014 kann das Gelände nicht bebaut werden, doch auch für die bestehenden Gebäude gibt es bisher kein überzeugendes, langfristiges Konzept. Neben temporärer Vermietung für Messen und andere Events und einer großen Grünfläche für Jogger passiert wenig.

Umso größer war die Freude bei den Berliner Künstlern, als bekannt wurde, dass in zwei großen Hallen eine „Kunsthalle“ eingerichtet wird. Schließlich sind bisher alle Versuche, eine städtische Kunsthalle neu zu gründen, gescheitert. Doch die Freude war kurz, denn was „Kunsthalle Berlin“ heißt, ist eine private Ausstellungshalle der Stiftung für Kunst und Kultur, Bonn mit einem von deren Vorsitzenden Walter Smerling kuratierten Programm. Smerling hat immer wieder große Ausstellungen kuratiert – auch in Berlin.

Installationsansicht: BERNAR VENET. 1961 – 2021 | Kunsthalle Berlin – Flughafen Tempelhof. Foto: Daniel Biskup, Courtesy: Stiftung für Kunst und Kultur Bonn. © Bernar Venet, ADAGP 2022. 

Aktuell ist die in Berlin gestartete Schau „Diversity United. Contemporary European Art“ in Sankt Petersburg und anschließend in Paris zu sehen. Seit 2001 ist Smerling auch künstlerischer Leiter der Salzburg Foundation, die den „Walk of Modern Art“ mit Kunst im öffentlichen Raum organisiert hat. Der bestens vernetzte Kulturmanager finanziert seine Projekte „größtenteils durch privates/privatwirtschaftliches Sponsoring“, wie die Stiftung vermeldet.

So auch in Berlin. Ein Immobilienentwickler finanziert die Ausstellungen. Die Stadt, die sich seit 1993 keine Kunsthalle leistet und die Museen mit fast keinen Ankaufsetats ausstattet, überlässt der privaten Stiftung die Flughafenhallen mietfrei. Aber nicht nur das: Nach einem Bericht der FAZ zahlt Berlin 50 Prozent der Betriebskosten für das zweijährige Projekt der Bonner Privatstiftung. Die Senatsverwaltung rechnet mit Betriebskosten von 100.000 Euro. Im Monat. 

Installationsansicht: BERNAR VENET. 1961 – 2021 | Kunsthalle Berlin – Flughafen Tempelhof. Foto: Daniel Biskup, Courtesy: Stiftung für Kunst und Kultur Bonn. © Bernar Venet, ADAGP 2022. 

Was nach der Venet-Retrospektive in der Kunsthalle gezeigt wird, stehe noch nicht fest, heißt es von der Stiftung. Die Künstlerin Candice Breitz, unterstützt von vielen anderen, hat jedenfalls schon mal ihre Künstlerkollegen dazu aufgerufen, in dieser Kunsthalle nicht auszustellen. In ihrem Boykottaufruf schreibt sie: „Anstatt eine durchdachte Initiative zu sein, die im Interesse der Kunst- und Kulturgemeinschaft Berlins insgesamt liegt (wie man es von einer Institution, die den Namen ‚Kunsthalle Berlin‘ trägt, erwarten könnte), kann die neue ‚Kunsthalle‘ am besten als zynisches, neoliberales Vehikel beschrieben werden, das in erster Linie dazu dient, die Statur und den privaten Reichtum all derer zu vergrößern, die mit ihr verbunden sind."

Update vom 21.Februar 2022

Dieser Meinung sind immer mehr Künstler und protestieren immer lauter. Hito Steyerl, Jörg Heiser und Clemens von Wedemeyer haben kurz nach der Eröffnung der Venet-Ausstellung einen offenen Brief an Berliner Politiker, an die Kulturstaatsministerin Claudia Roth und an den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, dem Schirmherren der Ausstellung „Diversity United“, geschrieben.

Installationsansicht: BERNAR VENET. 1961 – 2021 | Kunsthalle Berlin – Flughafen Tempelhof. Foto: Daniel Biskup, Courtesy: Stiftung für Kunst und Kultur Bonn. © Bernar Venet, ADAGP 2022. 

Sie fordern von den Politikern „dass die Vergabe der Räume an die Betreiber der ‚Kunsthalle Berlin‘ sofort beendet und deren Bezuschussung aus öffentlichen Mitteln eingestellt wird.“ Außerdem sollen die Verträge mit Smerlings Stiftung überprüft und die Berliner Kunstszene besser unterstützt werden. Die Kulturstaatsministerin wird von den Künstlern aufgefordert, „ethische Leitlinien in Bezug auf das Verhältnis von öffentlicher Hand und privaten Interessen beziehungsweise Sponsoren“ zu entwickeln. Die Liste der Unterzeichner auf der Plattform e-flux ist mit einigen hundert Künstlern und Kuratoren lang und wird immer länger. 

Installationsansicht: BERNAR VENET. 1961 – 2021 | Kunsthalle Berlin – Flughafen Tempelhof. Foto: Daniel Biskup, Courtesy: Stiftung für Kunst und Kultur Bonn. © Bernar Venet, ADAGP 2022. 

Jetzt meldete sich auch der Fotograf Wolfgang Tillmans. In einem Post schrieb er, dass er sich von Walter Smerling benutzt und getäuscht fühle. Denn die Ausstellung „Diversity United“ sei anfangs ausschließlich für Moskau angefragt worden. Dafür habe Tillmans seine Kunstwerke Smerling überlassen. Deshalb stünden seine Arbeiten für eine Ausstellung in Paris nicht zur Verfügung, erklärte Tillmans.

Auf Nachfrage hat der Kulturmanager Walter Smerling nun auf die vielfältigen Vorwürfe reagiert. In einem Interview mit der Berliner Lokalzeitung „Tagesspiegel“ hat Smerling angekündigt, dass er der Tempelhof Projekt GmbH vorschlagen werde, die Betriebskosten komplett zu bezahlen. Den Protest der Künstler gegen die Anmaßung, eine Kunsthalle zu führen, nennt er „Verärgerung über die Namenswahl“. Er „würde die Bezeichnung ändern, wenn das hilft“, sagte Smerling. Denn es gehe nicht darum, Kunst zu verhindern, sondern zu zeigen.

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