Kunsthaus Bregenz

Politisches Statement von VALIE EXPORT

VALIE EXPORT gelingt mit ihrer neuen Präsentation „Oh Lord, Don't Let Them Drop That Atomic Bomb on Me“ im Kunsthaus Bregenz ein politischer Kommentar zum Kriegsgeschehen in der Ukraine.


Gut zehn Jahre nach ihrer ersten umfangreichen Einzelausstellung „Archiv“ im Kunsthaus Bregenz, ist VALIE EXPORT zurück in dem Ausstellungskubus von Peter Zumthor – und zwar mit neuen Arbeiten. In der Rauminstallation verbindet sie visuelle und akustische Elemente zu einer „Tonskulptur“, in deren Zentrum das titelgebende Lied „Oh Lord, Don’t Let Them Drop That Atomic Bomb on Me“ von Charles Mingus steht.

Fünfzehn große Orgelpfeifen hängen pendelnd an Ketten von der Decke. Daneben sind weitere Pfeifenrohre gestapelt oder in kleineren Variationen zusammengesteckt, der gesamte Ausstellungsraum wird von der Melodie von Mingus‘ 1961 erschienenem Anti-Kriegs-Song erfüllt. Der afroamerikanische Jazzmusiker hatte das Lied am Höhepunkt der Auseinandersetzungen um den Kalten Krieg komponiert und thematisierte darin seine Angst vor der weltzerstörenden Kraft atomarer Waffen. Die in Bregenz zu hörende Neuinterpretation spielten Musiker und der Sänger George Nussbaumer aus Vorarlberg unter der Leitung von Peter Madsen ein, selbst ehemaliges Mitglied der Charles Mingus Band, indem sie die Orgelpfeifen wie Flöten spielten oder wie Percussions trommelten. Die Orgelpfeifen stammen ursprünglich aus der Linzer Wallfahrtskirche am Pöstlingberg, wo EXPORT die neue Orgel mit dem Schriftzug „Wer begreift, hat Flügel" gestaltet und den alten Bestand übernommen hat.

VALIE EXPORT, Oh Lord, Don't Let Them Drop That Atomic Bomb on Me, 2023, Installationsansicht Erdgeschoss Kunsthaus Bregenz, Foto: Markus Tretter, Courtesy of the artist © Kunsthaus Bregenz, VALIE EXPORT / Bildrecht, Wien 2023

Dazu gehörten auch hölzerne Orgelteile, die in der Ausstellung wiederum als Blöcke zu einem monumentalen Relief an die Wand gehängt sind und auf das ursprüngliche Arrangement einer Orgel verweisen. Auch wenn die Orgel wie kein anderes Instrument am stärksten mit Kirchenmusik und der christlichen Liturgie verbunden wird, sieht EXPORT darin keinen sakralen, sondern einen weltlichen Gegenstand. Die in Linz 1940 geborene Künstlerin besuchte in der Nachkriegszeit häufig die Pöstlingbergkirche und verbindet bis heute Kindheitserinnerungen mit dem Orgelspiel und Gesang des Frauenchors. Als Marienkirche sieht EXPORT das auf dem vereinfachenden Dualismus „gut – böse“ basierende Frauenbild der Religionen verdeutlicht: Die Frau wird entweder als Ideal, wie Maria Muttergottes, verehrt oder als Sünderin, wie Maria Magdalena, geächtet. 

VALIE EXPORT, Oh Lord, Don't Let Them Drop That Atomic Bomb on Me, 2023, Installationsansicht Erdgeschoss Kunsthaus Bregenz, Foto: Markus Tretter, Courtesy of the artist, © Kunsthaus Bregenz, VALIE EXPORT / Bildrecht, Wien 2023

Aus EXPORTs atheistischer Überzeugung und ihrer Kritik an der Institution Kirche wird im Kunsthaus ein kritischer Kommentar zum aktuellen Kriegsgeschehen zwischen Russland und der Ukraine. Die Orgelpfeifen sind wie militärische Geschütze arrangiert, erinnern an die sogenannte Stalinorgel, ein sowjetischer Mehrfachraketenwerfer aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Orgel als Waffe der Kirche, in dem Sinne wie durch ihre raumerfüllende Musik auch ein christliches Weltbild transportiert wird, instrumentalisiert die Künstlerin zu einem multi-sensorischen, politischen Statement.

VALIE EXPORT, Oh Lord, Don't Let Them Drop That Atomic Bomb on Me, 2023, Installationsansicht Erdgeschoss Kunsthaus Bregenz, Foto: Markus Tretter, Courtesy of the artist © Kunsthaus Bregenz, VALIE EXPORT / Bildrecht, Wien 2023

VALIE EXPORT, Oh Lord, Don't Let Them Drop That Atomic Bomb on Me,, Installationsansicht Erdgeschoss Kunsthaus Bregenz, Foto: Markus Tretter, Courtesy of the artist © Kunsthaus Bregenz, VALIE EXPORT / Bildrecht, Wien 2023

VALIE EXPORT, Oh Lord, Don't Let Them Drop That Atomic Bomb on Me (Detail), 2023, Installationsansicht Erdgeschoss Kunsthaus Bregenz, Foto: Markus Tretter, Courtesy of the artist © Kunsthaus Bregenz, VALIE EXPORT / Bildrecht, Wien 2023

VALIE EXPORT, Oh Lord, Don't Let Them Drop That Atomic Bomb on Me, 2023, Installationsansicht Erdgeschoss Kunsthaus Bregenz, Foto: Markus Tretter, Courtesy of the artist © Kunsthaus Bregenz, VALIE EXPORT / Bildrecht, Wien 2023

Die Orgel als Waffe der Kirche, in dem Sinne wie durch ihre raumerfüllende Musik auch ein christliches Weltbild transportiert wird, instrumentalisiert die Künstlerin zu einem multi-sensorischen, politischen Statement.

Seit Beginn ihres künstlerischen Schaffens in den 1960er-Jahren steht der weibliche Körper im Zentrum von EXPORTs konzeptueller Medienkunst und dient ihr als Medium, um die eigene Identität und die Rolle der Frau in einer patriarchalen Gesellschaft zu hinterfragen. Für das Erdgeschoss des Kunstmuseums hat EXPORT die Orgelpfeifen zunächst separiert, sie sind eigenständig und zugleich Teile eines größeren Ganzen. Dabei entsteht eine Analogie zwischen dem Orgelpfeifenkörper und dem menschlichen Körper: Die Instrumente benötigen den Luftstrom, um Klänge zu erzeugen ebenso wie der Mensch die Luft zum Atmen und Sprechen braucht. In zahlreichen Werken beschäftigte sich EXPORT bereits in der Vergangenheit mit der Stimme als Teil des Körpers aus einer feministischen und medientheoretischen Perspektive wie in ihren Werken „Tonfilm“ (1968) oder „Glottis“ (2007). Außerdem werden die Luftschlitze an den Pfeifen in der Fachsprache auch als „Lippen“ bezeichnet.

Man kann nicht behaupten, dass es in den letzten Jahren etwas ruhiger um die 82-jährige Künstlerin geworden wäre, hatte sie doch 2022 erst den renommierten Max-Beckmann-Preis erhalten, gerade eröffnete zudem eine Retrospektive ihres fotografischen Werkes im Fotomuseum Winterthur mit anschließenden Stationen in der Albertina Wien und C/O Berlin. Jedoch neue Arbeiten gab es lange nicht zu sehen: Gerade in diesen lebt ihr politischer und intermedialer Kunstanspruch erneut auf. In ihrem Spätwerk – es scheint nun der Zeitpunkt gekommen zu sein, es so zu benennen – knüpft EXPORT ästhetisch an Installationen aus den 1990er-Jahren an. In ihrer kinetischen Installation „Nadel“ (1996/97), schießen beispielsweise drei riesige Nähnadeln von der Decke bis kurz über den Boden und geben dabei ein mechanisch-aggressives Geräusch von sich. Die spitz zulaufenden Orgelpfeifen in Bregenz besitzen, wenn auch nicht motorisiert, eine ähnliche Bedrohlichkeit.

VALIE EXPORT. 2023, Foto: Miro Kuzmanovic © Kunsthaus Bregenz

EXPORTs neue Ausstellung im Kunsthaus Bregenz eröffnete mit einem überwältigenden Publikumsandrang. Im Anschluss an die Eröffnungsfeierlichkeiten übernahm die Künstlerin das Mikrofon, sprach berührende und in Freundschaft verbundene Worte über den am Vortag verstorbenen Peter Weibel und bat um eine Schweigeminute. Mit ihm zusammen realisierte sie Ende der 1960er-Jahre ein paar Ihrer heute ikonischen Werke, wie die Straßenaktion „Aus der Mappe der Hundigkeit“ (1968), in der sie Weibel wie einen Hund an der Leine über die Kärtnerstraße führte.

KUB Kunsthaus Bregenz

Karl-Tizian-Platz, 6900 Bregenz
Österreich

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