300 Jahre Belvedere

Nachgefragt bei Stella Rollig: „Es ist unser Auftrag, zu zeigen, welches Potenzial Kunst hat“

Das Belvedere begeht sein Jubiläumsjahr mit einer Reihe von Ausstellungen und zeigt zeitgenössische Kunst in den Belvedere-Gärten. Mit „Schau! Die Sammlung Belvedere von Cranach bis EXPORT“ präsentiert das Obere Belvedere seine neue Sammlungspräsentation und widmet sich über eine rein kunsthistorische Stilgeschichte hinaus den Wechselwirkungen von Kunst und Gesellschaft. Ein Anlass auch mit Generaldirektorin Stella Rollig über das Belvedere zu sprechen, das mit viel Sinn für das Bewahren von Erbe, die Gegenwart reflektiert, aber vor allem auch in die Zukunft blickt: auf die neue Kunstgeneration, auf die Öffentlichkeit der Zukunft und die Chancen und Möglichkeiten der Digitalisierung.


PARNASS: 300 Jahre Belvedere markierte eine Schnittstelle zwischen Tradition und Zukunft. Wie sehen Sie die Zukunft des Belvederes?

STELLA ROLLIG: Die Zukunft ist hell! Aus dem Blick in die Vergangenheit lässt sich schließen, dass sie keine radikalen Veränderungen bringen wird. Das Belvedere ist eine herausragende, fantastische Institution mit weltweiter Strahlkraft. Es ist über die Sammlung hinaus eng mit seinen beiden historischen Häusern sowie mit dem modernen Bau des Belvedere 21 verbunden und kann so eine umfassende Bandbreite musealer Aufgaben erfüllen. Vieles hängt mit dem Standort zusammen. So würde etwa unser Outreach-Community-Programm, das wir sehr erfolgreich im Belvedere 21 etabliert haben, im Oberen oder Unteren Belvedere nicht funktionieren. Am zeitgenössischen Standort allerdings wird die Rolle des Museums als sozialer Ort an Bedeutung gewinnen. Und mit Sicherheit wird die Digitalisierung immer wichtiger, die Teilhabe mittels digitaler Medien an den Angeboten des Museums.

P: Die Häuser des Belvederes werden von unterschiedlichen Menschen besucht, von der Kunstcommunity, lokalen Besuchern und Touristen. Wie verortet sich das Belvedere an der Schnittstelle zwischen Internationalität und dem Anspruch, auch ein Nahversorger zu sein?

SR: Unser Vermittlungs- und Bildungsprogramm ist in höchstem Grad für lokale Besucherinnen und Besucher konzipiert, vor allem auch für Familien. Der hohe touristische Anteil an Museumsbesuchern ist eine Tatsache, mit der man arbeiten muss – und die auch eine Riesenchance ist. Wir verstehen uns als eine Visitenkarte von Wien. Viele Städtetouristen kommen nur für einen Kurzbesuch in die Stadt und es freut uns, wenn das Belvedere auf ihrer Programmliste steht und einer der Eindrücke ist, die sie aus Wien mitnehmen. Das bedeutet die Aufgabe, ihnen verständlich und in kurzer Zeit Geschichte und Identität des Belvedere zu vermitteln und ihnen einen Eindruck von der österreichischen Kunstgeschichte mitzugeben. Dieser Aspekt beschäftigt uns bei der aktuellen Neuaufstellung, mit der wir sehr glücklich sind. Sie zeigt nicht nur die Kunstgeschichte vom Mittelalter bis in die 1970er-Jahre, sondern auch, welche politischen Strömungen die jeweilige Zeit geprägt haben und unter welchen ökonomischen Verhältnissen die Künstlerinnen und Künstler gearbeitet haben. So vermittelt sie auch Gesellschaftsgeschichte.

P: Dies ist in der Neuaufstellung der Sammlung in der Tat besonders gelungen. Doch richtet sich diese Perspektive ja durchaus auch auf das heimische Publikum, Stichwort Bildungsauftrag: zu zeigen, dass sich in die Kunst stets auch die Themen der jeweiligen Zeit eingeschrieben haben.

SR: Wenn Sie das so wahrnehmen, bin ich froh, denn genau das ist unser Ziel. Bildungsauftrag ist ein Begriff, der vielleicht für manche altmodisch klingen mag, aber zu dem wir uns sehr stark bekennen. Es ist wichtig, auch Grundfragen – was kann Kunst uns vermitteln, wie liest man ein Gemälde, warum gibt es überhaupt Malerei – anzusprechen und zu vermitteln, dass Kunst eine zutiefst menschliche Ausdruckform ist. Künstlerinnen und Künstler sind wache Zeitgenossen und drücken ihre Haltungen in Form von visuellen Zeugnissen aus. Es ist unser Auftrag, zu zeigen, welches Potenzial Kunst hat.

Stella Rollig, Generaldirektorin und Wissenschaftliche Geschäftsführerin Belvedere, Foto: Gianmaria Gava, Belvedere, Wien

Es ist wichtig, auch Grundfragen – was kann Kunst uns vermitteln, wie liest man ein Gemälde, warum gibt es überhaupt Malerei – anzusprechen und zu vermitteln, dass Kunst eine zutiefst menschliche Ausdruckform ist.

Stella Rollig

P: Auch Klimt wird in einen neuen Kontext gesetzt anhand internationaler Beispiele und der Gegenüberstellung mit Werken von Künstlerinnen.

ST: Wir zeigen, dass Klimt nicht nur ein Künstler war, der in seinem Atelier mit seinen Modellen Kunst geschaffen hat. Sondern auch ein aktiver Motor der damaligen Kunstszene, der im Austausch mit internationalen Künstlern stand. Im Spirit unserer Ausstellung „Stadt der Frauen“ sind in dem Raum, wo Klimts berühmter „Kuss“ hängt, auch Werke von Künstlerinnen zu sehen, um zu betonen, dass sie ein wesentlicher und aktiver Teil der Kunstszene um 1900 waren.

Außenansicht Oberes Belvedere, Foto: Lukas Schaller / Belvedere, Wien

P: Das Belvedere stellt sich im Rahmen des „Österreichischen Umweltzeichens“ dem vielfältigen Bereich der Nachhaltigkeit. Dazu kommt jedoch auch die Erwartungshaltung an Besucherzahlen, Ankäufe etc. Ist das nicht ein bisschen viel an Ansprüchen, die ein Museum erfüllen soll?

SR: Lassen Sie mich das scheinbar Selbstverständliche betonen: Ein Museum ist eine Institution, die der Kunst gewidmet ist. Diese ist per se schon sehr vielfältig – und wir müssen sie sammeln, bewahren und vermitteln. Doch darüber hinaus ist jedes Museum eben auch ein Akteur in seiner Gegenwart und eine Bildungseinrichtung. Wenn wir von Nachhaltigkeit sprechen: Die Museen haben seit den 1980er-Jahren mit dem Beginn der Großausstellungen unglaubliche Ressourcen verbraucht und mit einem Riesenaufwand Kunstwerke um die Welt geflogen. Ökologie war in den letzten Jahrzehnten kein Thema. Und jetzt sehen wir uns zu Recht nicht zuletzt auch durch die Klima- Aktivistinnen und Aktivisten damit konfrontiert. Wir müssen und wollen Maßnahmen ergreifen – sei es im Bereich Beleuchtung, Ausstellungsgestaltung oder in Sachen Energiegewinnung. Eine Maßnahme, die bereits in greifbare Nähe gerückt ist, ist die Installierung einer Photovoltaikanlage auf dem Belvedere 21.

Innenansicht Belvedere 21, Foto: Lukas Schaller © Belvedere, Wien

P: Das Jubiläumsjahr wurde auch für andere bauliche Maßnahmen genutzt, Renovierungen wurden durchgeführt und im Oberen Belvedere wurde eine Lounge eingerichtet, gestaltet von der Künstlerin Sascha Reichstein.

SR: 300 Jahre Geschichte und auch der große Erfolg des Hauses bedeuten schlicht und einfach, dass man dauernd etwas reparieren muss. Wir haben jetzt vor allem die Digitalisierung und deren Chancen als großes Zukunftsthema benannt. Aber es gibt auch im Bereich der baulichen Maßnahmen ein essenzielles Thema: das neue Besucher-Zentrum. Ich hoffe, dass diese wichtige bauliche Erweiterung noch innerhalb meiner Direktion möglich ist – im Sinne der Service- und Aufenthaltsqualität. Es gibt dazu bereits Pläne, die bis zum Ausbruch der Pandemie weit gediehen waren, die Südseite vor dem Oberen Belvedere unterirdisch auszubauen. Hier bestehen durch die alten Luftschutzkeller baulich gute Voraussetzungen. Trotzdem ist es ein Riesenprojekt, zu dem wir aus unseren Mitteln beitragen können, aber auch Mittel des Bundes und von Sponsoren benötigen. Doch es ist eine unumgängliche Investition für die zukünftige Attraktivität des Belvedere.  

Drei Standorte – 800 Jahre Kunstgeschichte

Entdecken Sie die Schausammlung mit Highlights der Wiener Moderne und dem weltberühmten Kuss von Gustav Klimt im Oberen Belvedere, die Wechselausstellungen im Unteren Belvedere oder zeitgenössische Kunst im Belvedere 21.

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