Martin Roth verstorben
Die Kunstwelt trauert um Martin Roth (1977–2019). Mit nur 41 Jahren verstarb der steirische Künstler Martin Roth vergangene Woche in seiner Wahlheimat New York, wie die Yours, Mine & Ours Galerie mitteilte. Mit ihm verliert die Kunstwelt einen Pionier der ortsspezifischen Intervention zwischen Natur und Kunst.
Erst Ende letzten Jahres trafen wir den umtriebigen Künstler im Rahmen unserer New York Strecke zum Gespräch. Lesen Sie unseren Text hier noch einmal, in Erinnerung an einen großen, inspirierenden Künstler, der unseren Zeitgeist stets sensibel analysierte und humorvoll zu karikieren wusste. Der im Kleinen die große Welt nachvollziehbar machte und dessen stetige Neugierde, die immer wieder nachhaltig Diskurs stiftete, unvergleichbar fehlen wird. Voraussichtlich soll die in diesem Herbst im Kunst Haus Wien geplante Ausstellung auch nach Roths Ableben stattfinden, schließlich hat der Künstler, dessen Todesursache noch nicht bekannt ist, bis zuletzt daran gearbeitet.
Margareta Sandhofer und Paula Watzl über MArtin Roth, Dezember 2018:
„Bereits seit 20 Jahren lebt der 1977 in Graz geborene Martin Roth in New York. Die Stadt war nicht als permanente Wohnstädte geplant, das hat sich so ergeben. Inzwischen ist Roth, bekannt vor allem durch seine Ausstellungen mit lebenden Organismen, aber angekommen im „Concrete Jungle“ und schätzt die Energie der Großstadt am Hudson: „Ich finde es interessant, in New York zu arbeiten und auszustellen – die Stadt selbst inspiriert mich. Sie ist sehr schnell, zum Beispiel verändert sich die Skyline ständig. Das heißt, die Stadt ist wie ein sich ständig verändernder Organismus, der wächst, von dem aber auch Teile wieder absterben. […] Es herrscht eine Beschleunigung, die abschrecken und gleichzeitig inspirieren kann.“
Nach mehreren Umzügen hat Roth kürzlich ein Studio-Office in Chinatown, Manhattan, bezogen. Es ist weniger Atelier als vielmehr ein „Labor für Ideen“, so der Künstler, denn der Großteil seiner Werke vollzieht sich ortsspezifisch und gar nicht starr, sondern quicklebendig. Ehemalige Labormäuse, befreite Wellensittiche oder Frösche bevölkerten schon den Galerien- oder Museumsraum, signifikante Pflanzen wie Obstbäume oder ein Bonsai waren Protagonisten seiner Interventionen, in denen auch Klanglandschaften und Gerüchen bedeutsame Rollen zukommen.
Martin Roth konstruiert Szenerien im weißen Ausstellungsraum, der zum Schauplatz eines dynamischen Bezugsnetzes zwischen dem Werk, dem Raum, dem Künstler und den Rezipienten wird. Eine eigenständige Entwicklung zwischen dem lebenden Werk und dem ihn umgebenden Kontext wird angestoßen. Roth übernimmt die Aufgaben des Betreuens und Versorgens dieses oft sehr sensiblen Gefüges, das sich unter seiner Obhut entfaltet. Er tritt als Künstler hinter diesen Prozess zurück, erteilt dem Geniekult eine Absage und setzt an die Stelle der Repräsentation die vieldeutige Inszenierung. Die Begrifflichkeit des Kunstwerks balanciert im vielschichtigen Bezug zwischen Architektur, Kultur, Natur und Zeit.
Themen von Dislokation, Substitution, Verfall und Entropie klingen an und ziehen das Publikum unmittelbar in ihren Diskurs. „Ich arbeite mit Spinnen, Schnecken, Wellensittichen, die nicht Elemente aus der Wildnis oder aus einem Bild von Caspar David Friedrich sind, sondern eher Elemente, die man im Garten oder in einem Haus findet“, erklärt Martin Roth. Ihn interessiert die Domestizierung der Natur – das also, was wir Menschen aus unserer Umwelt machen und wie wir sie „gezähmt“ haben.
Von Landschaftsbildern kam er zur „Landschaftsgärtnerei“, weil es ihn mehr interessiert, wenn die Bilder leben, als wenn sie das Leben bloß abzubilden versuchen, erklärt er. So ließ er bereits Gras aus Teppichen wachsen und intervenierte im Metropolitan Museum, indem er ein Biotop-ähnliches Becken im chinesischen Garten des Museums zum Lebensraum für seinen Goldfisch erkor.
Zusammen mit seiner Berliner Galerie Dittrich & Schlechtriem zeigte er auf der Kunstmesse Armory die Arbeit „Untitled (Donald Judd II)“: Auf den ersten Blick ist die fast neun Meter große Skulptur identisch mit jener ikonischen Stapel-Arbeit Donald Judds, auf den zweiten Blick zeigen sich schließlich erst die Schnecken, die die Plexiglasboxen beherbergen und die jeden Morgen vor Messebeginn von Roth gefüttert wurden. 2017 legte er im Österreichischen Kulturforum New York ein Lavendelfeld an und machte die Intensität der Beleuchtung sechs Wochen lang vom Twitter-Konto Donald Trumps abhängig – je mehr Tweets und Retweets, umso mehr Licht.
Aktuell befasst sich der Künstler mit der 400 Kilometer langen Plastikwüste aus Gewächshäusern im spanischen El Ejido. Das Aufzeigen dieser artifiziellen Landschaft – gebaut, um Exportgemüse zu züchten, betrieben von Billiglohnarbeitern – ist nicht nur eine Metapher für den drastischen menschlichen Eingriff in die Natur, dort, wo eine optimierte Landschaft aus Plastik unfruchtbar gewordenes Agrarland ersetzt, sondern auch ein politisches Statement. Die meisten der Arbeiter in den Treibhäusern sind illegale Immigranten, denn so werden Kosten gespart. Roth möchte diesen schwächsten Gliedern des Kreislaufs eine Stimme verleihen und zeigen, dass Immigration zwar politisch instrumentalisiert wird, um Angst zu erzeugen, gleichzeitig aber eine Lebensrealität darstellt, die unsere alltägliche Konsumwelt trägt.
Die gerade entstehende Arbeit zu diesem Thema wird auch ein Soundelement in sich tragen, ebenso wie das Projekt, das Roth im Oktober im KUNST HAUS WIEN plant. „In October 2019 I listened to animals imitating humans“ thematisiert, wie Tiere artifizielle Geräusche nachahmen, etwa ein Vogel den Klang einer Kettensäge. Das fokussiert die Fragestellung auf das, was der Mensch hinterließe, wenn er verschwände und nur seine Geräusche in der veränderten Natur zurückblieben.“ (Aus PARNASS 4/2018)