Olaf Nicolai

Olaf Nicolai, Foto: Hans-Günther Kaufmann, München, Courtesy: Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin

Drei Ausstellungen – ein Werküberblick. Der 1962 in Halle/Saale geborene und in Berlin lebende Künstler Olaf Nicolai zeigt in diesem Sommer sein Werk in drei parallelen Ausstellungen. Die Wiener Ausstellung hat ihre Zentrale in der Kunsthalle, doch Nicolai plant mehr. Ein Atelierbesuch.


Olaf Nicolais Mitarbeiterin hat jetzt Umzugskisten bestellt, viele Umzugskisten, denn auch Nicolai ist ein Opfer des Berliner Baubooms. Rings um das Atelierhaus, das sich der Künstler mit mehreren Kollegen teilt, entstehen neue Bürohäuser neben gläsernen Autohäusern. In einem Monat soll auch für das alte Fabrikgebäude, das wie ein Monument des Berlins der Brachen und unkomplizierten, kreativen Möglichkeiten in der Nähe des Tiergartens steht, leergezogen und abgerissen werden. Die Kräne ringsum bedrängen es bereits. Doch wohin er ziehen wird, weiß der Künstler noch nicht. Schließlich braucht er viel Platz für Bücher, Materialien, Kisten und Kästen. Eine Regalwand ist voller säuberlich beschrifteter schwarzer Kisten. Jede gehört zu einem Werk und versammelt Materialien, Skizzen, Rezensionen. Auch ein Meteorit ist darunter. Den will der Künstler demnächst den Ausstellungsbesuchern der Wiener Kunsthalle in die Hand geben, damit sie dieses Material, das Nicolai so faszinierend findet, weil es auf der Erde nicht existiert, ein wenig herumtragen können.

Die Wiener Schau ist eine von drei gleichzeitig in diesem Sommer gezeigten Ausstellungen, die zusammen als Retrospektive verstanden werden können –  auch wenn Olaf Nicolai Retrospektiven nicht mag. Das habe so etwas Endgültiges. „Ich bin ja nicht tot“, sagt Nicolai. Und so unterwandert er den Rückblickcharakter, gibt jeder Ausstellung ihr eigenes Thema und entwickelt für jede neue Arbeiten. Zusammen werden die drei Ausstellungen in Bielefeld, Sankt Gallen und Wien trotzdem einiges vom Entstehen und Funktionieren der Arbeit von Olaf Nicolai erzählen können. In Sankt Gallen soll es um die Werkentwicklung gehen. Nicolai wird eine Wüste in der Lokremise entstehen lassen. In Bielefeld will er sich mit der Architektur der Kunsthalle von Philip Johnson, mit Distanz und Raum, mit Ausschluss und Einschluss beschäftigen. Außerdem fährt er demnächst zu Johnsons Glashaus nach Connecticut und wird dort die Fenster putzen – mit aktuellen Zeitungen aus der Region, die er dann in Bielefeld ausstellt.

Diese innere Stimme entspricht dem romantischen Konzept der verborgenen Nachricht. Der, der das Stück spielt, liest diese Noten mit und wird auf diese Weise gestimmt.

Olaf Nicolai

In Wien dagegen soll es mehr um die Nicolai-Methode, Werke entstehen zu lassen, gehen. Für die Kunsthalle plant er einen neuen Fußboden, auf dem Kollegen, Straßenmalern ähnlich, Bilder malen. Die Vorlagen sind Zeitungsfotos, die Olaf Nicolai gesammelt hat. Außerdem will er das Freud-Museum und das Kindermuseum in seine Ausstellung einbeziehen, ebenso wie das Schaufenster der Buchhandlung Georg Fritsch. Und auch das von ihm entworfene Denkmal für Deserteure am Ballhausplatz wird Schauplatz eines neuen Werks.

Die keineswegs vollständige Aufzählung dieser Ausstellungsplanungen führt ein wenig in die Vielfalt der Interessen, die Offenheit des Denkens, die kreative Unbegrenztheit von Olaf Nicolais Werk. Das wird – aus Mangel an anderen Bezeichnungen – als Konzeptkunst bezeichnet. Der Künstler hat nichts dagegen. Wenn er erzählt, wie eine Arbeit entsteht, gibt es allerdings nicht viel zu verallgemeinern, auch wenn am Anfang oft das steht, was er „Ideen töten“ nennt.

Olaf Nicolai, Parafulmine mobile, 2015, Messing, Stativ 19,5 x 12,5 cm; 135 cm inkl. Stativ, Foto: Uwe Walter, Berlin/VG Bildkunst, Bonn 2018, Courtesy: Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin

Olaf Nicolai, Parafulmine mobile, 2015, Messing, Stativ 19,5 x 12,5 cm; 135 cm inkl. Stativ, Foto: Uwe Walter, Berlin/VG Bildkunst, Bonn 2018, Courtesy: Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin

Jede neue Idee wird erst einmal verworfen. Kommt sie wieder, wird sie wieder verworfen. „Nur die, die immer wieder kommen, die mich nicht loslassen, mit denen beschäftige ich mich irgendwann“, sagt Nicolai und erzählt von der „Inneren Stimme“. Robert Schumann hat sie in seine „Humoreske“ Opus 20 von 1839 hineinkomponiert. Es ist eine kleine Melodie, die in einer zusätzlichen Notenzeile zwischen den Klaviernoten steht und nicht mitgespielt wird. Sie ist nur für den Notenlesenden gegenwärtig. „Diese innere Stimme entspricht dem romantischen Konzept der verborgenen Nachricht. Der, der das Stück spielt, liest diese Noten mit und wird auf diese Weise gestimmt“, sagt Nicolai, der lange nicht wusste, was er aus seiner Begeisterung für diese Schumann-Komposition machen sollte. Zehn Jahre trug er die Faszination mit sich herum, dann strich er die Haupt-Klaviernoten weg, ließ die „Innere Stimme“ übrig und bat eine Sängerin, ihm die Melodie vorzusingen. Aus der kleinen, elegischen Melodie wurde eine Performance, in der mehrere Sänger in einem ansonsten leeren Ausstellungsraum stundenlang diese Melodie wiederholen...

Die Besucher wussten manchmal gar nicht, woher der Klang kam. Das hatte den Effekt, dass sie mit der Frage konfrontiert waren, was Innerlichkeit ist

Olaf Nicolai

Kunsthalle Wien

Museumsquartier
Museumsplatz 1
1070 Wien
Österreich

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