Ein Interview mit Nina Schedlmayer

Marina Abramović

Marina Abramović © PARNASS


Erst kürzlich eröffnete Marina Abramović (*1946) in Bonn eine große Retrospektive, jetzt sitzt sie in der Wiener Galerie Krinzinger und gibt in ihrer neuen Ausstellung Interviews. Am Abend nach dem Treffen mit PARNASS wird sie den GlobArt-Award im Kunsthistorischen Museum erhalten. Die Performancekünstlerin, die mit ihrer Ausstellung im MoMA 850.000 Gäste anzog und mittlerweile zu einer Ikone wurde, scheint über unendliche Energiereserven zu verfügen. Mit PARNASS sprach sie über gefährliche Situationen, die einstigen Kollegen im Rollstuhl und ihre Kinder.


PARNASS: In Ihrer neuen Fotoserie „Miracle“, die hier präsentiert wird, erscheinen Sie als eine Kreuzung aus Priesterin, Chirurgin und Zauberin. Was ist das für ein Ritual, das da geschieht?

Marina Abramović: Das trifft zu. Die Rolle ist ambivalent, doch im Wesentlichen geht es um die Entstehung des Lebens.

Was diese Figuren gemeinsam haben, ist ihre Macht. Was bedeutet das für Sie?

Was ich mache, hat mehr mit Energie zu tun. Mein Publikum wird immer größer, meine Performances immer länger. Für eine Performance von einer oder zwei Stunden reicht es, die Kraft des Willens zu nutzen. Für drei Monate braucht man weitaus mehr Anstrengungen. 

Sie haben das ja bereits ausführlich trainiert. 

Das schon. Für mich ist Energie jedenfalls wichtiger als Macht. Das ist das, was das Publikum fühlen kann. Wenn man den richtigen Moment verpasst, dann bleibt nichts übrig. Und in meinen Objekten kondensiert sich das: Dieser Kopf, den ich hier zeige, besteht aus Salz. Wenn Wasser darüber geschüttet wird, löst er sich in Nichts auf. Er sieht massiv aus, ist aber extrem fragil.

Ich will keine Großmutter sein, sondern eine Amazone, eine Kriegerin! Eine Oma sitzt im Stuhl und strickt Pullover.

Marina Abramović

In „Miracle“ verwenden Sie Eingeweide. Die Frage liegt nahe, hier in Wien: Welchen Bezug haben Sie zu Hermann Nitsch?

Kennen Sie Chaim Soutine? Er hat sich lange vor Nitsch mit Kadavern und Fleisch befasst. Ich habe früh mit Blut und Selbstverletzung gearbeitet. Das hatte nichts mit Nitsch zu tun, sondern mit dem Kommunismus. Aber es gibt eben diese Assoziationen, wenn wir Kunst betrachten. Ein sehr gutes Beispiel ist auch meine Arbeit Dragon Head hier in der Galerie. 

…eine Videoarbeit, bei der sich eine Boa Constrictor um Ihren Körper schlängelt, während Sie regungslos in die Kamera schauen…

Die Schlangen erzeugen das Bild. Dennoch gibt es so viele Bezüge zur Kunstgeschichte. Aber man sieht etwas, das man in Erinnerung hat.

Die Arbeit mit den Schlangen war wie viele Ihrer Arbeiten sehr gefährlich. Hätten Sie sich bewegt, wäre es wohl aus gewesen, oder?

Es gab einen Moment, der wirklich brandgefährlich war. Da wickelte sich eine der Schlangen um meinen Hals, weil sie mich für einen Baum hielt. Ich geriet in Panik. Dabei bewegte ich mich zwar nicht, aber mein Blutdruck ging in die Höhe, mein Herz raste. Mir wurde gesagt, ich solle mich entspannen, mein Herz beruhigen, trotz meiner Angst. Das war wirklich schwierig! In drei Sekunden hätte mich die Schlange töten können. 

1975 haben Sie in der Galerie Krinzinger die Performance Thomas Lips gezeigt, eine ebenfalls grenzgängerische Arbeit. Wie erinnern Sie sich an die Situation damals?

Ich habe die Arbeit ja später im Guggenheim Museum wiederholt. Bei Krinzinger dauerte die Performance eine Stunde, später sieben Stunden. Da war ich bereits fast 60 Jahre alt. Vorher hätte ich das in dieser Länge nicht machen können. Aber damals, da kann ich mich erinnern, wie das Publikum mich weggebracht hat, Wintermäntel über mich gelegt hat. Es gab eine unglaubliche Energie.

Marina Abramović © PARNASS

Marina Abramović © PARNASS

Kürzlich hat Ihre Retrospektive in der Bundeskunsthalle Bonn geöffnet. Wie ist das für Sie, wenn Sie Ihre ersten Performances sehen?

Sie werden wieder aufgeführt, aber nur von jungen Künstlerinnen und Künstlern. Für mich ist das großartig! Ich sehe, dass meine Kinder eine Zukunft haben. Es ist nicht dieselbe Arbeit, aber es ist besser, sie in einem Re-Enactment zu sehen als sie in alten Büchern.

Meine Generation hat schon längst aufgehört zu performen. Jetzt sind alle krank, im Rollstuhl, haben Herzinfarkte hinter sich oder trinken zu viel. 

 

Marina Abramović

Als Sie angefangen haben, war Performance eine ganz neue Kunstform, jetzt ist sie ein wesentlicher Teil des Kunstbetriebs.

Ja, ich habe 50 Jahre dafür gebraucht!

War das Ihr Ziel: Performance groß zu machen?

Natürlich! Ich gebe niemals auf. Meine Generation hat schon längst aufgehört zu performen. Jetzt sind alle krank, im Rollstuhl, haben Herzinfarkte hinter sich oder trinken zu viel. 

Sie arbeiten an Ihrem Marina Abramović Institute viel mit jungen Performancekünstlerinnen und -künstlern. Welche Themen interessieren sie?

Sie müssen zuerst mit einer eigenen Idee kommen. Sie kommen aus ganz unterschiedlichen Sparten, aus Theater, Musik und vielen anderen Bereichen. Es ist unglaublich frisch. Was mir aber sehr wichtig ist: Ich will keine anderen Marina Abramovićs produzieren. 

Das klingt nach einer echten Herausforderung. 

Ist aber sehr wichtig. Und versprechen Sie mir eines: Bitte bezeichnen Sie mich nicht als „Großmutter der Performance“. Ich habe mich vor zwanzig Jahren einmal im Scherz so bezeichnet. Aber ich will keine Großmutter sein, sondern eine Amazone, eine Kriegerin! Eine Oma sitzt im Stuhl und strickt Pullover.

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