Lois Weinberger: Tote Katzen bringen Glück

Lois Weinberger, Ohne Titel, 2014, Katzenmumie, 18. Jahrhundert, Fotoarbeit, 60 x 90 cm | Foto: Paris Tsitsos © Studio Weinberger

Magisch anziehend, sind sie die eigentlichen Volkskundemuseen und Platzhalter unserer Familienstammbäume: die Dachböden alter Häuser. Lois Weinberger hat die Schätze und Grausamkeiten vergangener Zeiten ausgehoben und inszeniert sie mit distanziertem, doch poetischen Blick.


Lois Weinberger spricht von „Trümmer Feldern“ und „Erkundungen im Abgelebten“. Eigentlich geht es aber um sein Zuhause. Es ist eine Bestandsaufnahme der Relikte des alten Bauernhofes seiner Eltern. Weinberger, der 1947 in Stams in Tirol geboren wurde ist bekannt für seine Aktionen außerhalb von Atelier und Museum. Bereits 2009 für den österreichischen Pavillon der Venedig Biennale eingeladen und 1997 sowie 2017 zur documenta, ist ein Pionier der sogenannten „künstlerischen Feldforschung“.

So bepflanzter er bei der documenta X ein stillgelegtes Bahngleis mit Neophyten und schuf damit eine Metapher für die Migrationsprozesse unserer Zeit oder entwarf in den 1990ern den sogenannten „WILD CUBE“ – eine Torstahl-Einfriedung, in der die Aufforstung durch Spontanvegetation ohne menschliches Zutun erfolgte. In der in Basel gezeigten Serie vermengt Weinberger nun Land Art, Archiv und Archäologie wie gewohnt mit ästhetischer Inszenierung und humorvoller Umgebungsbeobachtung.

Bis heute bewirtschaftet seine Familie den Hof dessen Geschichte von katholischen, wie abergläubischen Einflüssen geprägt ist. „Debris Field“ hat die Form einer Ausgrabung, die sich in den sedimentierten Zeitschichten der Dach- und Zwischenböden vollzieht“, lautet es im Text zur Ausstellung im Museum Tinguely in Basel. Denn die Zeit hat Geschichten in das Haus eingeschrieben, die sich in kuriosen Artefakten nacherzählen lassen und somit eine „Archäologie des Behausten“ oder aber ein Kuriositätenkabinett, vergleichbar mit einer bäuerlichen Wunderkammer zusammentragen.

Lois Weinberger, Ohne Titel, 2014, Katzenmumie, 18. Jahrhundert, Fotoarbeit, 60 x 90 cm | Foto: Paris Tsitsos © Studio Weinberger

Lois Weinberger, Ohne Titel, 2014, Katzenmumie, 18. Jahrhundert, Fotoarbeit, 60 x 90 cm | Foto: Paris Tsitsos © Studio Weinberger


Archiv des Lebens

Zu den faszinierendsten Relikten zählen Funde, die ihren Ursprung in volkskulturellen Ritualen zur Abwehr von Unheil haben. Zum Beispiel sollte das einmauern lebendiger Katzen in vergangenen Jahrhunderten Krankheiten abwehren. Weinberger barg eine solche gut erhaltene Katzenmumie, die zwischen den Wänden nicht verweste, sondern austrocknete. Der Künstler barg gleich mehrere solcher parareligiösen Objekte, darunter Tierschädel, Hundepfoten oder im Zwischenboden aufbewahrte Einzelschuhe von Verstorbenen. Daneben stehen Zeugnissen des christlichen Glaubens wie heilige Schriften, Ablassbilder und Beichtzettel, Pilgerzeichen oder Reliquienbehältnisse.

Weinberger begegnet diesem über Jahre gefundenen „Alltags-Surrealismus“ seiner Vorfahren nun mit Objekten, Zeichnungen, Texten und Fotoarbeiten. Einerseits dokumentarisch abbildend, andererseits spielerisch assoziativ und offen für neue Bedeutungsebenen. Eine biografische Arbeit die zwischen Nähe und Distanz wechselt – auch im Betrachter, der die eine oder andere persönliche Berührung wohl kaum vermeiden kann.

Weinberger barg eine solche gut erhaltene Katzenmumie, die zwischen den Wänden nicht verweste, sondern austrocknete.

Paula Watzl

Die aktuelle Ausstellung im Museum Tinguely, die gemeinsam mit dem Künstler vom Direktor des Museums Roland Wetzel kuratiert wurde, sieht auch einen Dialog mit dem Werk von Jean Tinguely vor. Diese Ausstellung ist die dritte in einer Reihe, die den Dialog mit Tinguelys Mengele-Totentanz (1986) sucht und die Vielschichtigkeit dieses späten Hauptwerkes hervorheben will. Mit der Präsentation von „Debris Field“ wird ein Dialog rund um die unterschiedlichen Bauernhof-Biografien eröffnet, die den Werken der beiden Künstler jeweils als materielle Quelle dienten.

Museum Tinguely

Paul Sacher-Anlage 1, 4002 Basel
Schweiz

Lois Weinberger – Debris Field

bis 1. September 2019

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