Ein Rundgang

Kritik aus Berlin: Gallery Weekend 2022

Am vergangenen Wochenende ging in Berlin das Gallery Weekend über die Bühne. Jan Gustav Fiedler berichtet für PARNASS aus Berlin und empfiehlt die eine oder andere Ausstellung, die man auch über das Event hinaus noch besuchen kann.


52 Galerien, unzählige Off-Spaces und Initiativen, Performances und open studios wetteifern mit Previews, Dinnern, Konzerten, private Tours oder sonstigen Events darum, ein möglichst einzigartiges Kunsterlebnis für den Besucher zu kreieren. Überall in der Stadt begegnet man Gruppen und Einzelpersonen mit dem charakteristischen grünweißen Stadtplan des Gallery Weekends in der Hand auf dem Weg zur nächsten Station. Die einzelnen Spaces sind zumeist gut besucht, nur das internationale Publikum ist noch nicht wieder auf pre-pandemischen Niveau. Bei dem Rundgang durch einen Großteil der etablierten Galerien jedoch wirken die gezeigten Positionen aus der Zeit gefallen, ihre Ästhetik und Aussagen erscheinen überholt. Angesichts von mehr als zwei Jahren Pandemie und insbesondere den letzten Wochen mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine wirkt ein unreflektiertes business as usual befremdlich. Und doch waren auch dieses Jahr wieder einige bemerkenswerte Ausstellungen und Künstler:innen zu entdecken:


Secundino Hernández

 „It´s good to be back!“

29. April – 31. Juli 2022

Miettinen Collection

In der privaten Atmosphäre eines Salons präsentiert die Miettinen Collection Werke von Secundino Hernández unter dem Titel „It´s good to be back!“. Die Arbeiten entstammen größtenteils der Sammlung Miettinen und werden ergänzt durch Leihgaben des in Madrid lebenden Künstlers. Der Titel bezieht sich auf die erstmalige Rückkehr an seine frühere Wirkungsstätte nach beinahe einem Jahrzehnt. Für einige Jahre hatte Hernández ein Atelier in dem Haus in der Marburger Straße 3 und die Werke aus unterschiedlichen Schaffensperioden erscheinen wie für die Räumlichkeiten geschaffen. Ein Zyklus der 12 Apostel, abstrahiert auf der Grundlage der Bilder El Grecos in Toledo, großformatige „palette paintings“ (mit Unmengen an Farben beladenen Leinwände) oder maximal reduzierte Werke, bestehend aus Weiß und Grau Schattierungen, bieten einen umfangreichen Einblick in den kreativen Prozess des Künstlers.

Secundino Hernández, „It's good to be back“, Courtesy by the artist and The Miettinen Collection


Horst Antes

„7 Häuser“

30. April bis 11. Juni 2022

Galerie Friese

Nur einige hundert Meter von der Miettinen Collection entfernt am Fasanenplatz steht das prachtvolle Stiegenhaus der Galerie Friese in starkem Kontrast zu der minimalistisch kuratierten Ausstellung „7 Häuser“ von Horst Antes. Sieben Bilder verteilt auf sieben Räume. Jedes von ihnen zeigt eines oder mehrere Häuser, in ihrer monolithischen Blockhaftigkeit eher Skulptur als Wohnraum. Die reduzierte Farbpalette der Werke sowie die gemalte Architektur, implementiert in die großzügige Raumfolge der Galerie fügen sich zusammen zu einer überaus stimmigen und stimmungsvollen Präsentation.

Exhibition view of Horst Antes: 4 Häuser / 4 Houses, 2006, Acrylic with sawdust on plywood, 220 x 480 cm, four-part, © Galerie Friese 2022, courtesy Horst Antes, Photo: Eric Tschernow


Barbara Anna Husar

„Be the presence that puts realities into autocorrect“- Emotionale Wärmefelder

29. April – 20. August 2022

Hilleckes Gallery

Die Hilleckes Gallery überzeugt als eines der jüngsten Mitglieder der Berliner Galerienszene mit „Be the presence that puts realities into autocorrect“, einem schrillen Raum im besten Sinne, in dem sich nach Überwindung der ersten Reizüberflutung, (eine Seltenheit an diesem Wochenende) die gesamte Vielschichtigkeit und Poesie in Barbara Anna Husars Kunst entfaltet.

Ausstellungsansicht, Barbara Anna Husar, Courtesy Hilleckes Gallery


Sterling Ruby

„IN WARM SHROUD. KISSING THE BLOOM CRUX. A FROST WINDOW.“

29. April – 30. Juni 2022

Sprüth Magers

Die eindrucksvollste Ausstellung des Wochenendes findet sich in den Räumlichkeiten von Sprüth Magers. Bei Sterling Rubys „IN WARM SHROUD. KISSING THE BLOOM CRUX. A FROST WINDOW“ liegt ein dezidierter Fokus auf der Materialität an sich. Insbesondere die monumentalen „Quilts“, großformatige Wandarbeiten aus diversen Textilien, erscheinen als Referenz auf Jane Bennetts Theorie der „Lebhaften Materie“. Demzufolge ist alles ist miteinander verwoben und jede Materie als aktiv handelnder Aktant anzusehen mit wechselseitiger Beeinflussung.

Sterling Ruby IN WARM SHROUD. KISSING THE BLOOM CRUX. A FROST WINDOW. Installation view, Sprüth Magers, Berlin, April 29–June 30, 2022. Photo: Timo Ohler and Ingo Kniest


Galerie Droste X KPM BERLIN

GRUPPENAUSSTELLUNG — CHRONICLES VOL 4

Im zweiten Jahr in Folge organisierte die Düsseldorfer Galerie Droste eine Gruppenausstellung in der Königlichen Porzellan Manufaktur. Aus der sehr gelungenen Zusammenstellung von 23 Künstler:innen bleibt insbesondere Christiane Pescheks hauchzartes, auf Seide gedrucktes Porträt „Avatar 4“ in Erinnerung, eine meditative Arbeit über digitale Selbstoptimierung und virtuelle Verletzlichkeit.

Ausstellungsansicht, Chronicles Vol 4, Courtesy Galerie Droste


Ateliers

Neben den Galerien und Sammlungen bieten die Ateliers, welche für die Dauer des Wochenendes überall in der Stadt ihre Türen öffnen, einen seltenen Einblick in den Entstehungsprozess und die Arbeitsweise der unterschiedlichen Künstler. Zum Beispiel bei den perfekt inszenierten Studios von Jorinde Voigt, Alicja Kwade und Anselm Reyle, die zum zweiten Mal nach 2019 gemeinschaftlich in ihre Hallen in Oberschöneweide eingeladen haben. Oder auch das Atelier des finnischen Malers Ville Kylätasku, in dem ehemaligen Hauptquartier des Operativ-technischen Sektors der Stasi in Lichtenberg. Nach endlosen Gängen, vorbei an zahllosen Türen betritt man ein unvergleichliches Universum, zum Bersten gefüllt mit Fabelwesen, Blumen, Gesichtern, Zuckerbäckerei und Techno. Bilder aus verschiedenen Zyklen in allen erdenklichen Formaten und Fertigungsgraden stehen hinter und nebeneinander gestaffelt, alle miteinander verbunden durch die charakteristische Ästhetik Ville Kylätaskus.

Atelier © Ville Kylätasku

Neben den offiziellen und inoffiziellen Ausstellungen sind es solche Orte und Begegnungen, die dem Gallery Weekend ein besonderes Flair verleihen. So wie die kleineren Spaces von der Zugkraft der etablierten Galerien und Institutionen profitieren, so sind es die Entdeckungen und Engagements abseits der ausgetretenen Pfade, die das Gallery Weekend zu dem machen, weswegen sich tausende an diesem Wochenende hinaus auf die Straßen Charlottenburgs, Mittes, Schönebergs und Kreuzbergs begeben.

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