Kunsthaus Graz

Ingrid Wiener, Martin Roth | Von weit weg sieht man mehr

Zwei Künstler, zwei Generationen, zwei Visionen und was „beide eint, ist der inkludierende und ewig staunende Blick aus der Distanz“ so die Kuratorin Katrin Bucher Trantow, die gemeinsam mit Michaela Leutzendorff Pakesch diese Schau gestaltet hat. Wer mit der Rolltreppe in den Space 01 des Kunsthaus Graz fährt, taucht in einen ganz besonderen Kosmos ein. Vogelstimmen erfüllen den Raum, in dem spannende und inhaltsreiche Kunstwerke zu entdecken sind.


Ein Bonsai, ein überkultivierter Baum, vom Menschen beschnitten und gebunden, wird durch natürliches Vogelgezwitscher beschallt und damit am Leben gehalten. Die Vogelstimmen kommen allerdings aus dem Untergrund, sie leben/ lebten – weil sie wurden wenige Tage nach der Vernissage der Ausstellung in eine Voliere des Tierparks Herberstein übersiedelt – in Käfigen im Untergrund des Hauses. Das war es, was der, 2019 viel zu früh und viel zu jung verstorbene Künstler Martin Roth, wollte: „Kunst sollte gefangenen Tieren, die aus dem Handel kommen, ein besseres Leben bescheren.“ Und somit ist Katrin Bucher Trantow gefordert. „Ich muss als Kuratorin, das Wort kommt übrigens von curare, sich kümmern, dafür sorgen, dass die Werke am Leben erhalten bleiben. In Zeiten der Klimakrise ein wunderbarer Auftrag. We have to care."

Kunst sollte gefangenen Tieren, die aus dem Handel kommen, ein besseres Leben bescheren.

Martin Roth

In unmittelbarer Nachbarschaft zu dieser Arbeit hängt Ingrid Wieners jüngster Teppich. „Es sind die alltäglichen, scheinbar nebensächlichen Schauplätze, denen Ingrid Wiener ihre Aufmerksamkeit schenkt, denen sie mit einer der ältesten Handwerkstechniken und viel Ausdauer Dauerhaftigkeit verleiht“ sagt Michaela Leutzendorff Pakesch, die Co-Kuratorin, die die 80-jährige Künstlerin gut kennt und sich bereits lange schon mit ihr beschäftigt hat. In aufwendigen Bildkompositionen und unter Zuhilfenahme von mehreren Duzend verschiedenfarbigen Fäden webt Ingrid Wiener in monatelanger Arbeit ihre Kunstwerke. Vom ersten Goblin aus 1985, der den Titel Windowview trägt, bis zum genannten jüngsten, den sie erst im heurigen Jänner als Dialogstück zu Martin Roths Arbeiten fertiggestellte, lassen sich ihre Teppiche beinahe wie Tagebücher lesen. Das aufregende Leben an der Seite ihres Ehemanns Oswald Wiener, das die beiden von Wien nach Berlin, über Island nach Kanada, Richtung Nordpol und nach vielen Jahren wieder zurück geführt hat, ist in bildreichen Sequenzen verarbeitet.

Es sind die alltäglichen, scheinbar nebensächlichen Schauplätze, denen Ingrid Wiener ihre Aufmerksamkeit schenkt.

Michaela Leutzendorff Pakesch

Ingrid Wiener, „Norden“, 2010-2012, Tapisserie, 12-teilig, Courtesy Belvedere, Wien, Leihgabe der Österreichischen Ludwig-Stiftung, Wien, Foto: Ingrid Wiener

Beeindruckend ist auch ihre frei im Raum hängende, monumentale Zusammenarbeit mit dem Schweizer Dichter, Grafiker, Aktions- und Objektkünstler Dieter Roth. Dem Schachbrett nachempfunden, bilden 64 gleich große, kleinformatige Goblins den Briefwechsel der beiden Künstler in Form von stofflichen und gewebten Inhalten nach. Unweit dieser Arbeit ist eine nicht weniger monumentale Installation von Martin Roth. Ein 6 x 10 Meter großes Trümmerfeld, aus dem einige scheinbar antike Torsi und ein paar Büscheln Unkraut ragen, weckt Assoziationen. In der Needle des Kunsthaus Graz ist auch noch der bereits öfters ausgestellte Perserteppich zu sehen, aus dessen Muster tatsächlich Gras wächst. Der doppelte Sinn dieses Werks liegt darin, dass Perserteppiche in ihrem Herkunftsland als gewebte Gärten gesehen werden. Martin Roth hat seine Arbeiten einem Credo untergeordnet: „Mein Interesse an der Zusammenarbeit mit der Natur hat damit zu tun, dass ich wollte, dass meine Kunst lebendig ist. Sie soll ein Eigenleben führen und sich ständig verändern und weiterentwickeln können.“ Diese Vision wird nun nach seinem Tod weitergetragen: ein kuratorischer Auftrag.

Martin Roth, „Untitled (Persian Rugs)“, 2012, Courtesy Archiv Martin Roth, Foto: Louis B. James Gallery © Bildrecht, Wien 2023

Universalmuseum Joanneum - Kunsthaus Graz

Lendkai 1, 8020 Graz
Österreich

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