Abstrakter Expressionismus in Zürich

Philip Guston – Die wiederkehrende Neuerfindung des malerischen Ich

Philip Guston in his Woodstock studio, 1970 . Photograph by F. K. Lloyd . Image courtesy of The Guston Foundation and Hauser & Wirth

Der US-amerikanische Maler Philip Guston (1913 Montréal CA – 1980 Woodstock NY, USA) gehörte zu den bedeutendsten Vertretern des Abstrakten Expressionismus. Der Maler erfand sich aber in seiner formalen Bildsprache immer wieder neu, so auch in der letzten Dekade seines Schaffens. Aus dieser sind aktuell ein Dutzend großformatige Bilder bei Hauser & Wirth in Zürich zu sehen.


Geschichtenerzählende Werke

Die Ausstellung «Philip Guston, Singularities» in Zürich wurde mit seiner Tochter, Musa Mayer (*1943 Iowa, USA), der Präsidentin der «The Guston Foundation», kuratiert. Sie war auch an der Eröffnung, in der Galerie Hauser & Wirth anwesend, die Gustons Nachlass verwaltet. Das Eingangsbild zur Ausstellung, «Painter’s Forms» (1972), zeigt neben dem menschlichen Profil mit geöffnetem Mund eine Art poetische Anordnung der wesentlichen Gegenstände des Malers: Schuh, Flasche, Zigarette und Staffelei. Es ist, wie wenn der Maler all das aus seinem Inneren hervorwürgte. Die Bilder der letzten Dekade Gustons bergen eine Art metaphysische Bildsprache voller Allegorien. Es sind Geschichten, welche die Bilder erzählen, eine Art bildnerische Dokumentation der Welt, die Guston umgab. Auch zeitverschoben erzählen diese Bilder noch immer Geschichten, die auch in unserer Zeit Geltung haben. Der oft auftauchende Fuss, der Schuh und die Schuhsole bergen auch ein poetisches Wortspiel im Englischen, da sie da fast gleich tönen: sole (Sohle) und soul (Seele).

Philip Guston, Painter’s Forms, 1972, Oil on panel, © The Estate of Philip Guston, Courtesy the Estate of Philip Guston and Hauser & Wirth, Photo: Christopher Burke

Philip Guston, Painter’s Forms, 1972, Oil on panel, © The Estate of Philip Guston, Courtesy the Estate of Philip Guston and Hauser & Wirth, Photo: Christopher Burke

Diese Verwandtschaft zwischen einer Form (Sohle) und einer metaphysischen Grösse (Seele) ist sinnbildlich für das Spätwerk Gustons. Trotz der rätselhaften Symbole und Formen, welche die Bilder dieser letzten Dekade bevölkern, wirken sie alle sehr geerdet, verankert im bewusst erlebten Jetzt des Malers. Sein Ausdruck

I really only love strangeness

mag sinnbildlich für diese letzte Schaffensphase sein.

Vielleicht ist es aber auch ein Gefühl, das seine russisch-jüdische Herkunft spiegelt, die er mit seinem Namenswechsel von Goldstein zu Guston aus Anlass seiner Heirat mit Musa McKim (1908 Pennsylvania USA – 1992 Woodstock NY, USA) unkenntlich machte. Für seine Malerkollegen des abstrakten Expressionismus wie Pollock, De Kooning und Rothko war seine letzte Phase, sein kompletter Bruch mit allem was der Abstrakte Expressionismus verkörperte, nicht wirklich verständlich. Auch Sammler fand der bis anhin hoch gehandelte Maler kaum mehr mit seiner neuen Ausdrucksweise. In dieser Phase wurden für Gutson denn auch Begegnungen mit Schriftstellern und vor allem Dichtern wichtig. Es ist vielleicht der Dichter in ihm, aus dem heraus diese eigenartige Bildwelt entsteht, die es zwischen den Formen - wie bei einem Gedicht zwischen den Zeilen - zu lesen gilt. Sein ikonisches Bild «Aegean» (1978) zeigt eine Art geballte Fäuste, die gegen eine Art Schutzschilde drücken. Es sind kriegerische Attribute, die der Maler hier verwendet, vielleicht eine Erinnerung an einen Einbruch in sein Atelier und an die persönlichen Gewalterlebnisse mit dem Ku-Klux-Klan als er noch in Los Angeles lebte.

Installation view, ‘Philip Guston. Singularities’ at Hauser & Wirth Zurich, Limmatstrasse until 7 September 2024. © The Estate of Philip Guston. Courtesy the Estate of Philip Guston and Hauser & Wirth. Photo: Jon Etter

Installation view, ‘Philip Guston. Singularities’ at Hauser & Wirth Zurich, Limmatstrasse until 7 September 2024. © The Estate of Philip Guston. Courtesy the Estate of Philip Guston and Hauser & Wirth. Photo: Jon Etter

Die Namensgebung referiert vielleicht auch an den Peloponnesischen Krieg. Die Anordnung der Formen, die sich oft aneinander reiben und gegeneinander aufgestellt sind, spiegelt ein umfassendes Weltgeschehen, das damals wie heute von Krieg, Unruhen und Schmerz aber auch von Zuflucht und Zärtlichkeit bestimmt ist. In einigen Bildern scheint auch ein der italienischen Renaissance entliehener Finger Gottes, der zur Erde zeigt, anwesend zu sein. Überhaupt sind die Alten Meister indirekt oft präsent.

Installation view, ‘Philip Guston. Singularities’ at Hauser & Wirth Zurich, Limmatstrasse until 7 September 2024. © The Estate of Philip Guston. Courtesy the Estate of Philip Guston and Hauser & Wirth. Photo: Jon Etter

Installation view, ‘Philip Guston. Singularities’ at Hauser & Wirth Zurich, Limmatstrasse until 7 September 2024. © The Estate of Philip Guston. Courtesy the Estate of Philip Guston and Hauser & Wirth. Photo: Jon Etter

Was in Gustons Bildern auch und vor allem in dieser letzten Schaffenszeit offensichtlich wird, ist seine Leidenschaft für die Malerei: Pastos aufgetragene Farbe, deutliche Pinselstriche, mit bewegtem Pinselduktus gearbeitete Flächen und eine Linie, die an sein zeichnerisches Können erinnert.  Die Farbtöne der Bilder haben ein Kadmiumrot als Grundlage, oft mit Weiss zu einer Art Altrosa aufgefrischt. Daneben fungiert ab und an ein helles Himmelblau als Kontrast. Die Kuratierung und Präsentation des Dutzends grossformatiger Werke dieser letzten Schaffensphase Gustons ist luftig und wird auch von Zitaten des Malers unterbrochen. Die hohen Räume der Galerie Hauser & Wirth in Zürich und der industrielle Touch unterstützen die Aussagen, die Poesie und verhelfen diesen rätselhaften Formwelten zu neuem und aktuellem Leben

Installation view, ‘Philip Guston. Singularities’ at Hauser & Wirth Zurich, Limmatstrasse until 7 September 2024. © The Estate of Philip Guston. Courtesy the Estate of Philip Guston and Hauser & Wirth. Photo: Jon Etter

Installation view, ‘Philip Guston. Singularities’ at Hauser & Wirth Zurich, Limmatstrasse until 7 September 2024. © The Estate of Philip Guston. Courtesy the Estate of Philip Guston and Hauser & Wirth. Photo: Jon Etter

Hauser & Wirth Zürich

Limmatstrasse 270, 8005 Zürich
Schweiz

PHILIP GUSTON

SINGULARITIES

bis 7. September 2024

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