Im Reich der Cyborgs
Cyborg-Fantasien, Architekturutopien und ganz viel Perlen: Der Berliner Gropius Bau zeigt eine Retrospektive der 1964 geborenen koreanischen Künstlerin Lee Bul. Ihre Skulpturen, Installationen und Bilder beeindrucken mit Komplexität, emotionalem Tiefgang und ihren Umgang mit konträren Materialien.
Wann ist man endlich wieder draußen? Wie geht es hier überhaupt weiter? Muss man am Ende etwa wieder zurück? Und wie oft hat man sich hier jetzt schon im Spiegel gesehen? Wie schaut das eigentlich von außen aus, wenn man in diesem Labyrinth herumtapst? Oder wie von oben? Und hoffentlich vergeht dieser leichte Schwindel, der sich gerade einstellt, bald wieder!
Koreanischer Superstar
„Meine Arbeiten sind wie Reisen an einen anderen Ort, in eine andere Zeit. Wir reisen, aber die Landschaft trägt Geschichten in sich und man kann sehen, dass es sich immer um denselben Ort handelt“, sagt Lee Bul.
Die Künstlerin, geboren 1964 in Südkorea, weiblicher Kunst-Superstar des Landes, führt das Publikum ihrer großen wie großartigen Ausstellung im Berliner Gropius Bau (vielsagender Titel: „Crash“) auf eine Reise in ein verstörendes Labyrinth aus Spiegeln, aus denen kein Entkommen ist.
„Via Negativa II“ heißt ihr Wunderwerk aus Alu, Stahl, LED-Lampen und Spiegeln, in dem man als Besucherin so hervorragend die Orientierung verlieren kann. Da passt dazu, dass am Äußeren der Installation ein Text aus dem Buch „Der Ursprung des Bewusstseins durch den Zusammenbruch der bikameralen Psyche“ gedruckt ist.
Überhaupt rückt einem Lee Buls Kunst oft auf den Leib, oder sie macht sich im Raum breit. Zwischen den Stockwerken des Gebäudes, noch bevor man die eigentliche Ausstellung betreten hat, begrüßt einen eine riesige hängende Skulptur, ein silbriger Zeppelin. Wie vieles in der Ausstellung steht dieses Objekt metaphorisch für die Zerrissenheit zwischen technischem Fortschritt und Scheitern: Die euphorisch gefeierte „Hindenburg“ verbrannte 1937, mit ihr 35 Passagiere.
Faszination und Grauen
Viele der Arbeiten dieser Künstlerin, die als Kind in einer Militärdiktatur sozialisiert wurde und später den demokratischen – und kapitalistischen – Umbruch erlebte, oszillieren zwischen Faszination und Grauen an der technologischen Entwicklung und an Utopien. In einer ihrer Installationen lässt sie reale und fiktive Gebäude aufeinander treffen: „Weep into Stones/Fables Like Stones/Our Few Evil Days“ heißt ein Gebilde, das an Chris Burdens „Pizza City“ ebenso denken lässt wie an die Architekturvisionen von Isa Genzken oder Bodys Isek Kingelez.
Die Arbeit ist benannt nach einem Gedicht eines britischen Gelehrten über den Kampf gegen die Sterblichkeit. Neben einem Wolkenkratzer aus einem Science-Fiction-Roman ragt die Hagia Sophia auf. Im Raum gleich nebenan hängt, dicht über dem – mal wieder verspiegelten – Boden eine Art Luster, auf dem sich Architekturmodelle emporrecken.
Zauber des Materials
Wie so oft bei Lee Bul ist die Arbeit aus den unterschiedlichsten Materialien gezaubert: Perlen aller Art (Kristall, Glas, Acryl), Aluminium- und Kupfergewebe, PVC-, Stahl- und Aluminiumketten. „After Bruno Taut (Devotion to Drift)“ heißt dieses Konglomerat, das sich auf einen visionären Glaspavillon Bruno Tauts bezieht, aber auch an idealisierte asiatische Landschaftsmalerei erinnern soll – zwei utopische Vorstellungen, die hier zu Boden gezogen werden.
Der besondere Umgang mit den Materialien zeigt sich auch in anderen Arbeiten, wo Pailletten und Haare, Seide und Samt zum Einsatz kommen. Im Gespräch mit Gropius-Bau-Chefin Stephanie Rosenthal sagte die Künstlerin: „Oftmals haben Dinge widersprüchliche Bedeutungen oder Bedeutungsebenen. Seide und Haare etwa, oder die Art und Weise, wie Perlmutt entsteht. Ich möchte das offenlegen, oder den Konflikt und die Konfrontation zeigen. Dabei bevorzuge ich komplexe Materialien gegenüber einfachen. Ich lasse sie in meinen Arbeiten aneinandergeraten oder in einen Kontrast treten.“
BEDEUTUNG DER PERLEN
Die präzise und aufwändige Herstellung der Kunstwerke, in denen sie häufig Perlen verarbeitet, hat einen biografischen Bezugspunkt, der von einer gewissen Tragik geprägt ist. Denn die Mutter von Lee Bul, die als Dissidentin nicht in einem Betrieb arbeiten durfte, verlegte sich auf Heimarbeit:
„Sie verzierte Taschen mit Perlen und strickte Kleider. Ich war ein kränkliches Kind und kann mich gut daran erinnern, wie ich die Perlen mit ihren leuchtenden Farben und die gestrickte Kleidung um mich herum beobachtete. Ich wuchs damit auf, Frauen beim Verrichten solcher Arbeiten zuzusehen.“ Halb im Scherz sage sie oft, „dass ich mein Gefühl für Farben und Texturen dieser Zeit verdanke. Wegen dieser Erinnerungen verwende ich Perlen in meinen Arbeiten. Menschen halten sie allzu schnell für Verzierung oder Luxusgüter. Für mich stehen sie für harte Arbeit.“
Die Cyborg Skulpturen
Zu den bekanntesten Arbeiten Lee Buls zählen ihre cyborgartigen Skulpturen, amputierte Hybride zwischen Frau und Maschine („Cyborg W1-W4“). Auf unterschiedlicher Höhe hängen die weißen Gebilde von der Decke, Hände wie Krallen, Füße wie Roboterteile, die Brust mit einem dicken Panzer versehen, kopflos.
Diese Arbeiten, 1998 entstanden, werden stets in Zusammenhang mit Donna Haraways „Cyborg Manifesto“ (1985) gelesen, konterkarieren deren Vorstellung allerdings: Denn wenn die Theoretikerin in ihrem wegweisenden und visionären Text davon sprach, dass sich im Cyborg die Geschlechtergrenzen auflösen, so heben Lee Buls Figuren weibliche Formen eigens hervor.
Durch deren Amputation und deren prekäre Platzierung, schwebend im Raum, verkörpern auch sie Triumph und Scheitern in einem. Die Ausstellung im Gropius-Bau lässt den Skulpturen, Installationen, Bildern und Performances Lee Buls viel Raum, als retrospektiv angelegter Parcours mit rund 100 Exponaten. Sie punktet mit starken Bildern ebenso wie mit komplexen Erzählungen.
Gropius Bau
Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin
Deutschland
Lee Bul - Crash
bis 13. Januar 2019