Ein Gespräch zwischen jetzt und damals

Günter Brus wird 85

Im September wird Günter Brus 85. Jahre alt. Zu diesem Anlass besuchte PARNASS den Künstler in seinem Hause in der Steiermark. Seit den 1980er-Jahren lebt er dort gemeinsam mit seiner Frau Anna, Tochter Diana und mit seinen Katzen.


Zwischen Kaffee, Bier und einer E-Zigarette ist die Befindlichkeitsfrage nach Günter Brus' Gesundheit mit einem Satz vom Tisch. Als Kater Mogli auf die Küchenspüle springt, erzählt Brus, dass immer ein Tier im Haus sein muss, sonst ist die "Abstufung", wie er sagt, zu gewaltig. Tiere beruhigen ihn.

PARNASS: Herr Brus, im Herbst werden Sie 85 Jahre alt. Sie haben viel erlebt, gemacht, und gesehen. Sind Sie noch künstlerisch tätig?

Günter Brus: Ja, ich habe zuletzt Aquarelle gemacht. An die 2.000 bis 3.000 Stück.

P: Haben Sie die jeden Tag gemacht? Mehrere täglich?

GB: Ja, seit der Pandemie habe ich beinahe jeden Tag gearbeitet. Jetzt habe ich aber eine Pause eingeschaltet. Es war auch das Wetter so grau. Das war nicht animierend für die künstlerische Tätigkeit.

P: Sie und Ihre Frau Anna Brus sind seit den frühen 1960er-Jahren zusammen. Aus gesundheitlichen Gründen kann sie leider beim Gespräch heute nicht dabei sein.

GB: Wir sind sehr lange zusammen, seit 1960. Anna war immer unterstützend an meiner Seite, hat wichtige Aktionen mit mir gemacht und sich um alle geschäftlichen Belange gekümmert. Das hat bis heute so gehalten.

P: Würde sich Ihre Frau selbst als Künstlerin bezeichnen?

GB: Nein, sie hat sich nie als Künstlerin gesehen, obgleich sie in der Zeit des Aktionismus sicher eine Mitstreiterin war.

Günter Brus, Foto: Nikola Milatovic

P: Was ist Ihr Selbstverständnis als Künstler?

GB: Besessenheit. Mein künstlerisches Tun ist nicht von Gefühlslagen abhängig. Ich meine ein Besessen-Sein im Sinne eines kontinuierlichen Nachdenkens und Pläne Schmiedens in Bezug auf meine Arbeit.

P: Was war der Beweggrund für Ihre erste Aktion Anfang der 1960er-Jahre? 

GB: Das war eine notgedrungene Konsequenz. Ich bin damals weg von der Akademie während des Semesters. Über die informelle Malerei haben sich Fragen nach dem Tafelbild, nach dem Weiterkommen in der Kunst, gestellt aber auch, ob man überhaupt gut genug ist,  um Künstler zu sein. Die Professoren waren damals konservativ. Über die Wandmalerei bin ich zur Selbstbemalung und dann zur Aktion gekommen.

P: Erinnern Sie sich noch an Ihre erste verkaufte Arbeit?

GB: Eine Firma in der Herrengasse hat zu Akademiezeiten ein Rosenbild von mir angekauft, gemalt im Stil von Emil Nolde,. Ich habe damals gar nicht ans Verkaufen gedacht, das war eine Vermittlung durch einen Professor.

P: Was war Ihre wichtigste Arbeit bzw. Aktion?

GB: Die Aktion mit meiner Tochter Diana war sehr wichtig für mich. Es wurden die Rollen vertauscht, ich war der Embryo in Weiß und Diana der neue Mensch, gerade sechs Monate alt. Es war eine sehr berührende Aktion.

P: Wissen Sie, wie Ihr Spaziergang Richtung Stephansdom, den Sie weißbemalt antraten, auf den Radar der Polizei kam? Sind Sie so sehr aufgefallen? Hat jemand die Polizei gerufen?  Oder standen dort sowieso Polizisten herum?

GB: Eine Streife wurde auf mich aufmerksam. Der Spaziergang war sehr kurz, da ich schnell festgenommen wurde.

P: Haben die Medien dabei eine Rolle gespielt?

GB: Nicht dass ich wüsste. Einmal war ein gewisser Herr Muschik von der Zeitung „Neues Österreich“ bei einer Aktion von mir. Das kann man sich heute gar nicht vorstellen, wir waren ausgeschlossen von allem, vom Kulturbetrieb, der Presse und auch von den meisten Künstlern. Bei manchen Aktionen war auch niemand dabei, weil niemand davon wusste, nur ein Fotograf. Als ich die Aktion auf der Straße gemacht habe, hat ein Schulkollege zu mir gesagt, „na, eine gute Idee war das“. Er hat es als Werbung für meine Ausstellung in der Galerie Junge Generation verstanden.

GÜNTER BRUS | ZERREISSPROBE, 1970/2001, 12 Farbfotografien, Fotograf: Klaus Eschen, je 49 × 39 cm Courtesy Galerie Konzett und W&K Wienerroither & Kohlbacher

Ich habe meine Kunst nie als Verkaufsobjekt gesehen! Meine Aktionen sind als Erweiterung meiner Kunst zu verstehen.

Günter Brus

P: Waren die Aktionen ein bewusster Schritt weg vom Anfertigen von Verkaufsobjekten?

GB: Ich habe meine Kunst nie als Verkaufsobjekt gesehen! Meine Aktionen sind als Erweiterung meiner Kunst zu verstehen. Damals gab es auch nur drei Galerien in Wien: die Galerie im Griechenbeisl, die Galerie nächst St. Stephan und die Junge Generation der SPÖ, die eigentlich keine Verkaufsgalerie war, da sie sich für damals aktuelle Kunst interessierte.

P: Wenn wir die damalige Aufbruchsstimmung der Nachkriegszeit der 1950/60er-Jahre mit heute vergleichen, da wir vor allem mit der Umweltkrise, dem Ukrainekrieg sowie mit Identitätspolitik, die eine Art diskursive Zensur hervorruft, konfrontiert sind: Welche situativen Möglichkeiten gab es damals für die Kunst?

GB: Wir haben quasi im Untergrund agiert, wortwörtlich, denn die meisten Aktionen haben im Perinetkeller stattgefunden. Wie gesagt, es gab nur drei Galerien in Wien und auch sonst keine Möglichkeiten Aktionen durchzuführen. Zudem war die Presse nur an Skandalen interessiert und nicht an unseren Aktionen. Wir strebten danach, die Kunst zu verändern, und vielleicht hatten wir unterbewusst auch die Hoffnung, dadurch die Gesellschaft ein wenig zu verändern. Mir ist aufgefallen, dass es heute im Vergleich zu den 1970er- und 1980er-Jahren konservativ geworden ist. Also echt prüde. Diese Zeit war von einer gewollten sexuellen Befreiung geprägt, die nicht gelungen ist.

GÜNTER BRUS | Kassette »ANA«, AZIONE VIENNA 1964, INKLUSIVE GOUACHE »ANA 17: SCHUTZRAUM ......?«, 1964/1973 Kassette mit 8 Vintage Fotografien der Aktion »Ana« 1964, Papierarbeit, Farbstift und Gouache auf Packpapier Courtesy Galerie Konzett und W&K Wienerroither & Kohlbacher

P: Gibt es eine Frage, die Sie noch nicht in der Öffentlichkeit stellen konnten?

GB: Warum ich nie auf die Biennale geschickt wurde. Keiner der Aktionisten wurde je eingeladen. Aber das meine ich auch wieder nicht so todernst. Damals hätte man gleich Aktionismus auffahren müssen; das wäre eine Sensation gewesen.

P: Aber bei der documenta waren Sie dafür mehrmals dabei.

GB: Meine Arbeiten wurden drei Mal in Kassel gezeigt. Eigentlich stimmt es nicht so ganz, dass ich nicht bei der Biennale dabei war. Meine Arbeiten wurden im Palais, einer Außenstelle zur Zeit der Biennale, in Venedig gezeigt. Rudolf Schwarzkogler, Cindy Sherman, ich, und noch zwei andere, deren Namen ich vergessen habe, hatten dort eine Abteilung. Aber eingeladen, Österreich zu repräsentieren, wurden wir Aktionisten nicht.

Ausstellungen Im HERBST


HOMMAGE AN GÜNTER BRUS ZUM 85. GEBURTSTAG

Galerie KONZETT UND WIENERROITHER & KOHLBACHER

21. September bis 20. Oktober 2023

 

SICHTWEISEN SICHTWEITEN

Galerie Sommer

22. September bis 28. Oktober 2023

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