Meisterwerke #7

Girl with Balloon

Schredder-Affäre. Vor zweieinhalb Jahren mischte Banksy abermals den Kunstmarkt auf. Halb zerstört ist "Girl with Balloon" inzwischen noch mehr wert als vor der Auktion. Bloß ein Streich oder ein Kräftemessen zwischen Künstler und Markt?


5. Oktober 2018. Der Saal ist bis auf den letzten Platz gefüllt, Mitarbeiter*innen von Sotheby´s London nehmen an den Telefonen eifrig Gebote entgegen. Die Stimmung ist aufgeheizt. Die Auktion für Zeitgenössische Kunst nähert sich dem Lot mit der Nummer 67: Dem „Balloon Girl“ des britischen Graffiti Künstlers Banksy (*1974). Ruf: 200.000 bis 300.000 GBP. Bei 1,04 Millionen Pfund (ca. 1,2 Millionen Euro) fällt schließlich der Hammer.

Going, going, gone

Banksy

Wenige Sekunden später erklingt ein leiser Alarm, ein verdächtiges Surren ist zu hören. Ein im viktorianischen Rahmen versteckter Schredder wurde aktiviert und beginnt langsam, aber unaufhaltsam das Bild in Streifen zu schneiden.

Später schreibt Banksy auf einem Instagram-Account dazu einen knappen Kommentar: „Going, going, gone“ (die englische Version von „Zum Ersten, zum Zweiten und zum Dritten“). Zudem zitiert er Pablo Picassos Ausspruch „Der Drang zu zerstören ist auch ein kreativer Drang“.

Girl with Balloon

2006

Banksy

Stil: Street Art

Technik: Sprühfarbe und Acryl auf Leinwand

Ursprüngliches Motiv: Schablonen-Graffiti

Format: 101 × 78 cm × 18 cm

2018 verkauft für: 1,04 Millionen Pfund

Neuer Titel ab 2018: Love in the Bin

Auch interessant: Sotheby’s nannte es das erste Kunstwerk der Geschichte,
das live während einer Auktion entstand

Heute: Europäischer Privatbesitz, Dauerleihgabe Staatsgalerie Stuttgart

© PARNASS

Offensichtlich richtet sich die Aktion kritisch gegen den Markt und den Warencharakter der Kunst. Doch auch wenn sich Banksys Intervention an andere autodestruktive Performances (zum Beispiel Gustav Metzger, der mit Säure malte) anlehnt, so ist ihr doch ein Eintrag im Kanon der Kunstgeschichte sicher. Die Aktion hat den Duchampschen Begriff des „Readymades“ auf ein neues Level gehoben – das teilweise geschredderte Bild gilt fortan als das erste Kunstwerk der Geschichte, das live während einer Auktion entstanden ist. Ein Blatt aus einer hohen Auflage hat sich in ein Unikat verwandelt, Zerstörung in Neukreation.

Der Drang zu zerstören ist auch ein kreativer Drang

Picasso

Ob man Banksys Kunst – im speziellen diese Aktion – nun mag oder nicht, ignorieren lässt sie sich nicht. Ebenso wenig die Janusköpfigkeit dahinter. Denn während sich der Künstler vehement gegen die luxuriöse Domestizierung von Streetart und die Kommerzialisierung von Kunst einsetzt, erzielen seine Werke immer höhere Preise.  Banksy und der Markt, beide sind Nutznießer dieses „Aufmerksamkeits-Marketings“.

zerstörtes werk = Neues Werk?

Der Antikapitalist, der stets dagegen wettert, dass Kunstwerke keine Objekte sind die beliebig den Besitzer wechseln, hat das geschredderte Exemplar auch nicht aus seinem Werkkatalog gestrichen. Das „Ballon Girl“ heißt nun „Love is in the Bin“ (dt.: Die Liebe ist im Eimer), der Wert des Bildes hat sich – laut Experten – sogar verdoppelt. Von diesem Paradoxon ließ sich auch ein privater Sammler dazu verleiten, sein „Ballon Girl“-Exemplar zu schreddern. Das darf aber nur der Künstler. Preissteigerung durch Beschädigung gab es in diesem Fall keine.

Die Schredder-Affäre hat den Mythos Banksy um eine Geschichte reicher gemacht, sein Meta-Werk beziehungsweise seine „soziale Plastik“ (Beuys) einen Schritt weiter in Richtung gesellschaftsverändernder Kunst getrieben. Doch der finale Kampf zwischen Markt, Marketing und Künstler ist noch nicht geschlagen. Gong zur nächsten Runde.

© PARNASS

Literatur

Gare Shove/Patrick Potter/Xavier Tapies: BANKSY PROVOKATION. Street Art als politisches

Statement: Überblick über Banksys Werke & Entwicklung als Künstler (Midas Verlag AG 2021)

Alessandra Mattanza: Street Art: Legendäre Künstler und ihre Visionen (Prestel 2018)

Alan Ket: Planet Banksy: The man, his work and the movement he inspired (O Mara Books Ltd 2014)

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