Gallery Diary - ZELLER VAN ALMSICK | Jonny Niesche
Die aktuelle Situation bedeutet eine enorme Belastung für die Kultur- und Kreativwirtschaft und auch für uns als Kunstmagazin. In dieser Zeit wollen wir unseren Beitrag leisten und geben Ihnen täglich Einblicke in die Ausstellungen der derzeit geschlossenen Galerien.
Aktuell würde die Galerie ZELLER VAN ALMSICK neue Werke Jonny Niesches zeigen. PARNASS Autor Klaus Speidel betrachtet Jonny Niesches "welthaltige Abstraktionen im Zeitalter des Digitalen" ausgehend von einem Zitat Daniel Birnbaums.
Daniel Birnbaum kündigt hier eine Bewegung an, an der Jonny Niesche Teil hat – nicht nur (oder in erster Linie) weil er oft Werke an der Grenze zwischen Malerei und Skulptur schafft, sondern wegen der Rolle, die digitale Technologie für seine Arbeit spielt. Wollte man nämlich heute Birnbaums Liste der Medien aktualisieren, in denen malerische Praktiken auftauchen, müsste darin digitale Kunst prominent auftauchen – sogar digitale Retusche weist bei genauer Betrachtung viele Symptome des Malerischen auf.
Niesche selbst verbirgt den Gebrauch nicht, den er von Photoshop macht, aber unterstreicht ihn auch nicht. Wir können seine Arbeit in der Tradition des New York Minimalism, Frank Stellas, Mark Rothkos, James Turrells, Josef Albers oder Heimo Zobernigs, seines Lehrers an der Kunstakademie Wien, betrachten. Aber wenn wir nur diese Beziehung ins Auge fassen, übersehen wir einige Aspekte, die Niesche für aktuelle Fragen der Kunst relevant machen. Außergewöhnlicher als sein Interesse an seinen Vorläufern in der der abstrakten Kunst, ist die Faszination des Künstlers für Glamästhetik, zu der er Zugang fand, als er mit seiner Mutter als Kind in die Schminkabteilung ging, wo er sich von den Farben, Formen, Materialien, Oberflächen und Spiegeln faszinieren ließ.
Obwohl sie sich in Abstraktionen äußern, sind seine Bezüge zur Populärästhetik sehr konkret, so konkret, dass sie sich kaum ohne digitale Techniken realisieren ließen. Im Rahmen einer früheren Ausstellung hat er beispielsweise mit Photoshop eine Palette geschaffen, die vom Makeup der Blondie Sängerin Debbie Harry ausging. Für seine erste Ausstellung bei Zeller van Almsick standen unter anderem Sissy Zierteller mit Goldrand und das Johann Strauß Denkmal im Wiener Stadtpark Pate. Auch das Makeup David Bowies kommt immer wieder als Bezugspunkt vor. Aber in Niesches Kunst ist der Kosmos nicht weniger wichtig als die Kosmetik. Während in früheren Ausstellungen Referenzen wie australische oder kalifornische Sonnenuntergänge aufschienen, greift er auf Cosmos Cosmetics Vol II bei Zeller van Almsick auf eine Sternenstaub Farbpalette zurück. Dass seine vielfältigen
Referenzen in eigentlich abstrakt wirkenden Werken konkret spürbar werden, liegt an der großen formalen Präzision mit der der Künstler arbeitet. So gelingen ihm Werke mit einer neuen Art von Welthaltigkeit: Sie übermitteln zielsicher die Emotionen konkreter Ereignisse, Zeiten, Orte oder kultureller Tendenzen, ohne dass diese selbst explizit zur Darstellung kämen. Wie bei einem Déjà-Vu kann das bei den Betrachter ein geradezu unheimliches Gefühl des Wiedererkennens auslösen.
Niesches welthaltige Abstraktionen sind originell und leben von seinem hohen formalen Anspruch. Manchmal macht er Hunderte von Tests bevor er für eine Ausstellung genau die Farb- und Formkombinationen findet, die er sucht. Gelegentlich nimmt er ein Werk für einige Tage mit nach Hause, um zu beobachten, wie es zu unterschiedlichen Tageszeiten in einer privaten Umgebung wirkt. Mit seiner besonderen Form von Weltbezug, den man auch „indexikalisch“ nennen könnte, ist ein erster wichtiger Aspekt seines Schaffens benannt.
Der Blick auf seinen Schaffensprozess macht einen zweiten Gesichtspunkt deutlich: Niesches Verwendung von Photoshop lässt ihn zu einem der Pioniere einer neuen Art des Malens werden. Nachdem er eine Photographie in Photoshop lädt und dann ein fotographisches Farbsample vervielfältigt, kann er auch mit Sunset-Rot, Eye Shadow-Schwarz, Blush-Rosa oder Sternstaub-Violett arbeiten. So führt er nicht nur neue Farben ein, die der traditionellen abstrakten Kunst fremd waren, sondern aktiviert auf intelligente Weise das besondere Darstellungspotential der neuen Technologien.
Wo traditionelle Computergraphiken sich vom Abstrakten zum Konkreten vorarbeiten, so dass realistische Bilder scheinbar aus dem Nichts entstehen, tut Niesche das Gegenteil: Er verwandelt konkrete Bilder in Farbstaub. Dabei wird aus dem, was Nelson Goodman „Denotation“ nennt, Exemplifizierung: Seine Werke vermitteln Frabmuster ihrer Bezugsobjekte. Allerdings sind Niesches Werke im Raum keine analogen Platzhalter für eigentlich digitale Werke. Im Gegenteil: die Wirkung der Reproduktionen auf einem Bildschirm bleibt weit hinter der Faszination zurück, die von den Arbeiten ausgeht, wenn wir ihnen im Raum gegenübertreten.
Viele andere Künstler, die Werke mit Photoshop komponieren, schwächen ein eigentlich digitales Werk konzeptuell ab, wenn sie es ausdrucken und es so künstlich in handel- und hängbare Flachware verwandeln. Niesches Werke dagegene sind keineswegs vollendet, bevor sie im Raum installiert werden, auch wenn die digitale Vorarbeit wesentlich ist. Dafür sind zwei Gründen verantwortlich: Ihre Formatierung und ihre optische Wirkung. Erstere hat oft kein digitales Äquivalent. Manche Konstellationen evozieren Paravants, andere beispielsweise Schminktische. So evozieren sie durch die Art, wie sie Raum nehmen und wie wir uns im Verhältnis zu ihnen erfahren, Welt jenseits des Galerieraums.
Noch beeindruckender ist aber ihre optische Qualität. Manche Ensembles bilden Halos, die sie über den Rahmen hinaus auf die Wand abstrahlen lassen. Sie wirken so doppelt gerahmt und zugleich entgrenzt. Die Flügel seiner Diptychen oder Triptychen strahlen je nach Lichteinfall auf unterschiedliche Weise auf einander ab, und verändern so die optischen Farben an den Rändern der jeweils anderen Flügel. Auch ohne elektrische Energiezufuhr – nur durch die perfekte Abstimmung der Arbeiten auf unseren Wahrnehmungsapparat – beginnen einige Oberflächen zu pulsieren. Die Bildwirkung
verändert sich, wenn wir uns im Verhältnis zu den Bildern bewegen und immer wieder hat man das Gefühl, die Farbe im Bild strömte in eine bestimmte Richtung oder es habe sich ein Portal im Raum geöffnet, das einen Sog aufbaut. Einige Effekte, wie das Glitzern des Glitters, das Spiegeln der Oberflächen oder das Neblige des Sternenstaubs hat Niesche „von draußen“ importiert und fokussiert oder verstärkt, andere haben keine direkte Entsprechung außerhalb des Ausstellungsraumes, sei es nun im Alltag oder in Computergraphiken.
Insgesamt legen Niesches originelle Werke zumindest drei Herangehensweisen nahe: Wir können uns an ihrer besonderen Art des Verweises auf abstrakte Kunst, geschmückte Körper und natürliche und kulturelle Kontexte erfreuen, ihre autonomen visuelle Qualitäten erforschen oder versuchen, sie in Bezug auf digitales und analoges Schaffens zu reflektieren. Das macht sie im konkreten und übertragenen Sinne zu vielschichtigen Werken, die uns formal und intellektuell immer wieder aufs Neue herausfordern.