Gallery Diary - Galerie am Stein | Gisela Stiegler

Kompromisslos setzt sich Monika Perzl mit ihrer Galerie am Stein in Oberösterreich seit über 30 Jahren für die Gegenwartskunst ein. Seit Februar 2021 tritt Gisela Stiegler mit ihren starkfarbigen Skulpturen von radikaler Präsenz in Interaktion mit der außergewöhnlichen Architektur der Räumlichkeiten im Augustiner-Chorherrenstift Reichersberg.


Betritt man die barocke Klosteranlage, die sich um zwei Höfe gruppiert, stellt sich mit den beidseitigen Arkadengängen, dem marmornen Michaelsbrunnen und den zwiebelbekrönten Erkern ein Gefühl der Ruhe ein. Inmitten dieses Ambientes von geometrischer Geschlossenheit und Harmonie sind es vor allem die zahlreichen Säulen des Klosters, die zur Rhythmisierung und Dynamisierung des architektonischen Gesamtgefüges beitragen. Die österreichische Künstlerin Gisela Stiegler (*1970 Suben/Schärding) setzt sich in ihrem bildhauerischen Werk seit einigen Jahren mit den zahlreichen Formen und Symboliken dieses seit der Antike „tragenden“ Stilelements der Säule auseinander.ontemplieren lässt.

Vor den Eingang der Galerie stellt sie eine fünf Meter hohe violette Säulenskulptur als weithin sichtbares Monument, das sowohl auf die Architektur des Stiftes Bezug nimmt, als sich auch selbstbewusst als Bildelement dagegen behauptet. Das Spiel von Bildhaftem und Objekthaftem, von Fläche und Volumen, von Affirmation und Emanzipation architektonischer Gegebenheiten setzt sich im Innenraum der Galerie fort. Lose gruppiert Stiegler fünf violette Säulen in den hohen Ziegelgewölberaum, der trotz seiner Nutzung als Ausstellungsraum sakrale Wirkung entfaltet. Nachdem keine der Säulen die Decke berührt, werden sie eindeutig als eigenständige Skulpturen wahrgenommen. Industriell hergestellte Zylinder und Reifen aus Polystyrol erlauben es Gisela Stiegler, die Elemente frei zu kombinieren, um proportionale Verhältnisse verschiedener Säulenordnungen auszuloten. Eine der Säulen mutiert zu einem hoch aufragenden Sockel, auf dessen Spitze eine gelbe handgeschnitzte Styroporskulptur ruht, die in Farbe und Form an eine überdimensionale Zitrone erinnert. In Verbindung mit dem auratischen Raum wirkt die Skulptur wie die surreale Verkehrung einer seit der Antike existierenden Form von freistehender Säule, die als Weihgeschenkträger in Heiligtümern aufgestellt war.

Gisela Stiegler wurde ursprünglich als Malerin ausgebildet. Bis 2005 setzte sie sich mittels inszenierter fotografischer Schwarz-Weiß-Stillleben mit Fragestellungen um Fläche und Raum, Licht und Schatten sowie Realität und Illusion auseinander. Schließlich verselbständigten sich die gemalten geometrischen Hintergründe ihrer Fotografien und fanden als geschnitzte Polystyrolreliefs den Weg an die Wand. Zunächst in Bezug zu ihren Fotografien, vorwiegend in Schwarz, Weiß oder silbermetallischen Farben lackiert und als Bildobjekte an die Wand rückgebunden, setzte der allmähliche Einsatz von poppigen Farbkontrasten ein Nachdenken über Volumen, Körper und die Wirkung der Farben in Gang. Mit scharfen Messern und kraftvoll-konzentrierten Hieben schnitzte die Künstlerin tief in das weiche Material und schuf Objekte von berückender Lebendigkeit.

Gisela Stiegler, O.T. Polystyrol, Amierspritzputz, Acryl, 2021, Höhe 5 Meter Durchmesser 85 cm, Courtesy by the artist

Das Licht fängt und bricht sich in den Einkerbungen, die grellbunten Farben verstärkten die voluminöse Wirkung dieser Reliefs, während der geschlossene Farbauftrag den Körper wieder in die Fläche rückbindet. Die Emanzipation des Objekts an der Wand von der freistehenden Skulptur im Raum war nur konsequent und verstärkte die Reflexion der Künstlerin über das Verhältnis von Skulpturen untereinander und ihren Bezug zur Architektur und deren Betrachtern. Dominierte in früheren Arbeiten ein Formenvokabular, das eine abstrakt geometrische Grundhaltung einnahm, zeigt Stiegler in der Galerie am Stein neue Skulpturen mit einem offenen Bezug zur Gegenständlichkeit: Ein comicartiges Wandrelief eines Mundes mit herausgestreckter Zunge oder eine überdimensionale Skulptur eines Granatapfels, beides in der charakteristischen Schnitztechnik der Künstlerin, mit wuchtigen Rundungen und tiefen Kerben ausgearbeitet. Neu ist die gestaltende Wirkung der Farben, die sich vermehrt an natürliche Farbgebungen anlehnt.

Gisela Stiegler hat sich auch als Bildhauerin ihren malerischen Zugang bewahrt. Es gelingt ihr, Gattungen wie Malerei, Skulptur und Architektur zu überspielen und mit dreidimensionalen Bildobjekten und wie Zeichnungen im Raum wirkenden Skulpturen ¬¬¬auf die produktive Lücke zwischen Bildhaftem und Objekthaftem zu verweisen. „Das Nachdenken über kunstimmanente Fragestellungen ist immer auch ein Nachdenken über die menschliche Existenz“, beschreibt Gisela Stiegler ihren künstlerischen Zugang. – Eine Existenz, über die sich im sakralen Raum der Galerie am Stein trefflich kontemplieren lässt.

Gisela Stiegler, O.T , Polystyrol, Gummiacryl, 2021, 110x160x70 cm, Courtesy by the artist

Galerie am Stein

Stift Reichersberg, 4981 Reichersberg am Inn 1
Österreich

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