Portrait Erwin Wurm, 2014 © Inge Prader

Im Interview mit Sabrina Möller spricht Wurm über die Entwicklung und Erweiterung des Skulpturbegriffes, über den Ursprung seiner figurativen Werke sowie über die kürzlich bekannt gewordene Teilnahme an der 57. Ausgabe der Biennale di Venezia 2017.


Die Grenzen eines Mediums neu auszuloten und zu erweitern, ist zu jeder Zeit eine Herausforderung. Erwin Wurm hat das geschafft. Mit seinen temporären Körperskulpturen, den One Minute Sculptures, hat der Österreicher es an die Spitze der international erfolgreichen Gegenwartskünstler geschafft.

Gegen den klassischen Skulpturbegriff

Ende der 1970er-Jahre hat Rosalind Krauss ein Modell entwickelt, mit dem sie eine Ordnung für das Medium der Skulptur schaffen wollte. Es ist ein schmaler Grad, den man betritt, wenn man versucht ein Medium neu zu ordnen, zu begrenzen und zeitgleich die Freiheit des Künstlers einzufordern. In dem Essay „Sculpture in Expanded Field“ wurde ihre Definition der Skulptur vielmehr zu einer Frage danach, was sie nicht ist: „Sie war das, was auf oder vor einem Gebäude, aber nicht das Gebäude war, oder das, was in der Landschaft aber nicht die Landschaft war.“ Folglich verwendete sie die Begriffe „Nicht-Architektur“ und „Nicht-Landschaft“, aus deren Kombination sich der Terminus der Skulptur ergibt. Wie würde die heutige Definition des Begriffes Skulptur Ihrer Meinung nach aussehen?

Dazu muss man sagen, dass Rosalind Krauss einen sehr klassischen Skulpturbegriff verwendete. Die ganze Geschichte der Skulptur ist genau das, was sie beschreibt. Erst etwas später habe ich damit begonnen, das Phänomen der Zeit in meine Arbeit miteinzubringen. Bis in die 60er-Jahre wurde vielfach Michelangelos Meinung vertreten: Eine Skulptur muss einen Berg hinunterrollen können, ohne dabei zerstört zu werden. Sie muss dauerhaft sein.

Schnelllebigkeit und Kurzlebigkeit sind prägnante Eigenschaften, die ich mit in meine Arbeit einflechten wollte. Also habe ich beschlossen Arbeiten zu machen, die einen Beginn, aber auch ein definitives Ende haben. Das Kunstwerk ist auf eine bestimmte Dauer reduziert. Anfangs war das noch die Dauer einer Ausstellung, doch das habe ich immer weiter radikalisiert, bis ich zu den One Minute Sculptures kam. Durch die Einbindung eines Objektes und eines Subjektives, führte das zu einer kurzen, fast affineren Existenz des Kunstwerkes.

Schnelllebigkeit und Kurzlebigkeit sind prägnante Eigenschaften, die ich mit in meine Arbeit einflechten wollte.

Erwin Wurm

Im Vergleich zu Richard Serra, Robert Smithson oder Bruce Nauman gehen Sie noch einen Schritt weiter, und ordnen ebenso die Fotografie, die Malerei, das Performative, Video und Zeichnung dem Medium der Skulptur zu. In den One Minute Sculptures fungiert die Fotografie als einzige Dokumentation oder Überbleibsel der auf 60 Sekunden begrenzten Körperskulptur. Dass aufgrund der Temporarität eine Zuschreibung der Fotografie zum Medium Skulptur und damit eine Erweiterung vollzogen wird, erscheint zunächst nachvollziehbar. Doch inwieweit kann eine Malerei oder eine Zeichnung Skulptur sein?

Ich hab das aus programmatischen Gründen für mich so definiert, denn eigentlich wollte ich ja Maler werden. Man hat mich aber nicht in die Malereiklasse, sondern in die Bildhauerklasse gesteckt. Damals habe ich versucht das zu hinterfragen, und zugegeben, anfangs war ich sehr verunsichert. Doch nur bis ich zu der Überlegung kam, programmatisch zu hinterfragen, was Skulptur eigentlich ist.

Die Definition der Skulptur wollte ich hinsichtlich sozialer Aspekte untersuchen und habe das Interesse an Skulpturen wie einen roten Faden, der sich durch das Werk zieht, angelegt. So kam es, dass ich alles was ich mache – ob Zeichnung, Video, Performance, Fotos, Malerei – als Skulptur definiere. Weil es sich immer um dreidimensionale Phänomene handelt.

Portrait Erwin Wurm, 2014 © Inge Prader

Portrait Erwin Wurm, 2014 © Inge Prader

Kritischer Humor und One Minute Sculptures

Selbstporträts als Essiggurkerl, Sportwagen mit Adipositas – Ihre Arbeiten sind von Ironie und Zynismus geprägt. Worin hat das seinen Ursprung?

Das hat seinen Ursprung in der Kunst der 60er- und 70er-Jahre, wo es einige Leute gegeben hat, die durch Pathos aufgefallen sind: Darunter beispielsweise Richard Serra. Ich glaube, dass Pathos die Leute klein macht und erdrückt. Durch kritischen Humor hingegen wird Leichtigkeit erzeugt. Und das erhebt uns eher.

Das figurative Moment, die Körperlichkeit einer Skulptur, wird in Ihren One Minute Sculptures auf die Spitze getrieben, indem Sie die Besucher und ihre Körper als Teil der temporären Skulpturen einbinden. Und das nicht nur im Sinne einer Aktivierung der Skulptur durch den Besucher wie bei Serra, sondern indem Sie tatsächlich den Körper als eine Art Material verwenden, der die Skulptur mit konstruiert. Eine Überlegung, die Krauss Ende der 70er-Jahre so sicher noch nicht in Theorien berücksichtigt hatte. Erzählen Sie mir von Ihrer ersten One Minute Sculpture. Wie kam es dazu?

Das war „Do It“, anlässlich einer Ausstellung von Hans Ulrich Obrist. Das Foto gibt es noch: Da sitzt jemand in einer Badewanne mit einer Schüssel am Kopf. Es ist nur ein kleiner Spalt für die Augen frei zwischen Badewannenrand und dem oberen Rand des Gefäßes.

Zuvor hatte ich mit Hausstaub, Kleidungsstücken und Holzabfällen gearbeitet, doch ich wollte meine Arbeit radikal erweitern. So wurde alles, was mich umgibt, potenzielles künstlerisches Material. Nächstes Jahr ist das jetzt 20 Jahre her. Irgendwie erstaunlich, denn die One Minute Sculptures werden ungebrochen von Museen angefragt, wie kürzlich von der Tate Modern, London.

Wurm bespielt den österreichischen Pavillion in Venedig

Kürzlich wurde bekannt, dass Sie neben Brigitte Kowanz im nächsten Jahr den österreichischen Pavillon bespielen werden. Die Kommissärin Christa Steinle hat bei der Pressekonferenz verkündet, dass Architektur Thema sein wird. Sie haben jedoch am Ende der PR Konferenz gesagt, dass Sie prinzipiell nicht auf Architektur in Ihrem Werk reagieren, was Steinle offensichtlich irritiert oder zumindest überrascht hat.

Nein, das ist eine Unterstellung bestimmter Medien. Ich habe gesagt, dass ich nicht auf die Architektur des Österreichischen Pavillons reagieren werde. Das wurde ja in mehreren vergangenen Biennalen ausführlich praktiziert.

Man hat mich gefragt ob ich mitmachen wolle und ich habe meine Bedingungen genannt.

Erwin Wurm

Inwieweit ist ein Boot auf dem Hotel Daniel oder ein Haus auf dem mumok keine Reaktion auf Architektur? Weil Sie damit nicht auf die spezifische Architektur oder die Charakteristika des jeweiligen Bau’s reagieren?

Natürlich habe ich damit auf die jeweils bestimmte Architektur, aber auch auf das Haus als Ikone bzw. das Haus als Ort des "Hausens" verwiesen. Außerdem ist ein wesentlicher Teil die plastische Qualität von Architektur, die mich reizt. Das habe ich bei Häusern von Adolf Loos, Mies van der Rohe oder Frank Lloyd Right praktiziert.

Was sind Ihre ersten Überlegungen, so kurz nachdem Sie die Einladung zur Biennale erreicht hat?

Es war wichtig klarzustellen, wie wir unsere jeweilige Position ohne Abstriche  und Einschnitte vertreten können. Ich wollte den Pavillon bespielen und Brigitte hatte eine tolle Idee für den Hof. Das hat sich sehr gut ergeben.  Außerdem freue ich mich, dass Brigitte Kowanz dabei ist, wir kommen sehr gut miteinander aus. Natürlich gibt es bereits auch erste Ideen, doch wir werden erst einmal nach Venedig fahren und uns vor Ort umschauen.

Es wurde viel diskutiert. Unter anderem wurde kritisiert, dass wieder einmal keine Frau die Gelegenheit hat, den Pavillon allein zu bespielen. Oder aber, dass diese beiden künstlerischen Positionen schwer kombinierbar seien, wodurch sie ja auch in getrennten Bereichen gezeigt werden. Was würden Sie der Kritik entgegensetzen?

Man hat mich gefragt ob ich mitmachen wolle und ich habe meine Bedingungen genannt.


Das vollständige Interview mit Erwin Wurm lesen sie im PARNASS 2/2016.

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