Ein Art Car mit gesellschaftspolitischer Nachhaltigkeit
Seit fast 50 Jahren verfolgt die BMW-Gruppe das Kunstprojekt der Art Cars: Nach Editionen von Künstler-Stars wie Calder, Warhol, Stella, Holzer oder Lichtenstein wurde am 21. Mai 2024 der 20. Bolide im Pariser Centre Pompidou vorgestellt: Kreiert von der renommierten, äthiopisch-amerikanischen Künstlerin Julie Mehretu. PARNASS war zur Enthüllung in Paris.
BMW Art Car 2024
Der Fahrtzeitrechner ist erbarmungslos. Die satellitenunterstützten Displays in den Limousinen sind heutzutage derart exakt, dass Versuche einem Stau zu entkommen, nur mit zusätzlich aufgebrummten Fahrminuten enden. Der Computer weiß es einfach besser und errechnet die schnellste Route. Es hilft nicht, wenn Chauffeure einen vermeintlichen Abstecher versuchen. Bumm, wieder ein paar Minuten mehr! Daher dauerte die Anfahrt vom Flughafen zum Hotel zur Präsentation des Kunstrennwagens aufgrund des täglichen Pariser Staus mehr als zwei Stunden. Die Durchschnittsgeschwindigkeit der feinen BMW-Limo, die wahrscheinlich bei 250 km/h Höchstgeschwindigkeit abgeriegelt wurde, betrug 15 km/h. Der lehreiche Auftakt zur spannend-interessanten wie kontrovers-aufschlussreichen Weltpremiere des neuen Art Cars.
Das Projekt ist auf unterschiedlichen Ebenen ein smarter Move von Julie Mehretu.
BMW Art Car #20 by artist Julie Mehretu. Photo: Andreas Hempel © BMW AG (05/2024)
Seit fast 50 Jahren – der erste Wagen von Alexander Calder wurde 1975 präsentiert – verfolgt der Münchner Automobilkonzern das Kunstprojekt mit profundem Engagement. Eine international besetzte Jury, der von BMW absolute Unabhängigkeit in der Entscheidung zugestanden wird, wählt bekannte Künstlerinnen (bis dato sind erst vier Frauen in der Riege vertreten) und Künstler wie Frank Stella, Keith Haring, Roy Lichtenstein, Jenny Holzer, Cao Fei oder Keith Haring aus. Beim 20. Boliden bestand das Auswahlkomitee unter anderen aus Koyo Kuoh (Direktorin des Zeitz MOCAA in Kapstadt), Hans-Ulrich Obrist (Leiter Serpentine Galleries, London) oder der Kuratorin Cecilia Alemani. Die letzte Auswahl wurde bereits vor mehr als sechs Jahren getroffen: Julie Mehretu – und die lehnte die erste Anfrage des Unternehmens einmal ab.
Von dieser Absage ließ sich der Leiter des Kulturengagments der BMW-Gruppe, der erfahrene wie dynamische Kulturmanager Thomas Girst (er ist seit 2003 Chef der Abteilung) jedoch nicht entmutigen und 2018 stimmte die Künstlerin letztendlich zu. Vielleicht aus deswegen, weil ihr, wie sie im Gespräch mit einem Lächeln erzählt, eine Freundin und Galeristin geraten hat, »mal das Auto an und nimm‘ das Geld!«
BMW Art Car #20 by artist Julie Mehretu. Photo: Andreas Hempel © BMW AG (05/2024)
Ein gesellschaftspolitisches Nachhaltigkeitsprojekt
Jedoch konnte danach von einem schnellen Anmalen eines Autos nicht die Rede sein: Denn einerseits sind bei einem Rennwagen, der für das 24-Stunden-Rennen in Le Mans angemeldet ist, selbstverständlich Regulatorien, die Aerodynamik und Sicherheitsvorschriften zu berücksichtigen. »Also einfach das Chassis zu bemalen oder ein Graffito 'draufzusprühen' ging nicht«, erläutert die Künstlerin ihren technischen Lernprozess. Andererseits verpflichtete die weitsichtige wie sozialpolitisch engagierte Künstlerin den Automobilkonzern zu einem kulturellen wie gesellschaftspolitischen Nachhaltigkeitsprojekt: Gemeinsam mit der Emmy-nominierten Produzentin, Autorin und Mitbegründerin des Realness Institutes (Ziel: Stärkung des Medienökosystems in Afrika), Mehret Mandefro, wurden die PanAfrican Media Workshops ins Leben gerufen.
Im Laufe des Jahres 2025 werden unter der Patronanz der BMW Group Culture zumindest in fünf afrikanischen Metropolen (Dakar [Senegal], Lagos [Nigeria], Kigali [Ruanda], Marrakesch [Marokko] und Kapstadt [Südafrika]) Workshops organisiert, »um Künstlerinnen wie Künstlern und Filmschaffenden einen Raum für Begegnung, Austausch und Zusammenarbeit auf translokale Weise zu eröffnen«, wie Mandefro unterstreicht. Die Ergebnisse der Workshops werden zusammen mit dem 20. BMW Art Car im Zeitz Museum of Contemporary Art Africa in Kapstadt präsentiert. Das Projekt ist auf unterschiedlichen Ebenen ein smarter Move von Julie Mehretu: Sie nimmt sich damit nicht nur aus der Schusslinie möglicher Kritik, die das Themengebiet »Kunst & Automobil« als nicht mehr opportun erachtet, sondern sie erinnert einen internationalen Konzern auch an seine Verpflichtungen im Rahmen der PPP, der Private-Public Partnerships.
Performative Painting
Und der BMW-Rennwagen selbst? Das »Biest«, wie Julie Mehretu das Art Car (Höchstgeschwindigkeit weit über 400 km/h) bezeichnet, ist ein unglaublich lässiges, farblich-furioses Meisterwerk geworden. Betrachtet man die Vorderseite des Langstreckenprototyps M Hybrid V8 – so die offizielle Bezeichnung –, dann könnte sich die Betrachterin, der Betrachter vorstellen, dass dieser Bolide durch eines der großformatigen, aktuellen Exponate, die gerade in der fulminanten Soloshow »Ensemble« der Künstlerin im Palazzo Grassi in Venedig präsentiert werden, gerast ist und teilweise von den charakteristischen »Nieren« des Wagens eingesogen wurde. Die Künstlerin selbst bezeichnet ihre Arbeit am Art Car als »performative painting« und setzt den Schlussstrich des »Work in Progress« erst mit der Zielflagge des 24-Stunden-Rennens Mitte Juni 2024. Sie hofft, dass »das Biest zumindest ein paar Schrammen und geringe Deformationen aus dem Rennen mitnehmen wird.« Nichts Schlimmes, natürlich. Ein Mehr an Skulpturalem soll das Art Car damit generieren.
Auf jeden Fall ein Hinweis, der dazu führt, dass sich der Autor zum ersten Mal in seinem Leben das 24-Stunden-Rennen in Le Mans ansehen wird – also zumindest Teile davon.
Julie Mehretu, artist of the 20th BMW Art Car. Photo: Tereza Mundilová © BMW AG (05/2024)
Everywhen, 2021-2023, Ink and Acrylic on Canvas, 304.8 x 304.8 cm. Courtesy of the artist, White Cube, London and Marian Goodman Gallery, New York Photo: Tom Powel Imaging © Julie Mehretu (05/2024)
