Junge Kunstkritik

Edmund Kalb: Ein Avantgardist ohne Sinn für Selbstmarketing

EDMUND KALB, Selbstbildnis, 1929 © Privatbesitz, courtesy Rudolf Sagmeister Foto: Privatbesitz, courtesy Rudolf Sagmeister

Esperanto, Pflanzenzucht und Geometrie: Diese Interessen dominieren das Schaffen des Vorarlberger Künstlers Edmund Kalb. Der isolierte Selbstversorger verkaufte Zeit seines Lebens kein einziges Werk. Das Leopold Museum in Wien zeigt nun zum ersten Mal das umfassende Œuvre des Einzelgängers.


Porträtsitzung mit der Braut eines Freundes. Edmund Kalb zeichnet, die Porträtierte erzählt. Der Bräutigam wolle ihr einen Staubsauger kaufen. Edmund Kalb ist erzürnt, der Staubsauger würde mehr kosten als seine Zeichnung. Das nimmt der Künstler nicht in Kauf und weigert sich, die Zeichnung herauszugeben.

Ein Streit, der kompromisslos zu Ende ging, wie so viele Episoden aus Kalbs Leben. Die Wünsche der Porträtierten waren ihm genauso gleichgültig wie die Vermarktung seiner Zeichnungen. In den rund 600 erhaltenen Selbstporträts zeigt sich Edmund Kalb ohne Attribute, er bedient sich keiner Metaphern. Das ist bei seinen Zeitgenossen anders: Richard Gerstl stellt sich im Halbakt als Märtyrer und Heiland dar, Egon Schiele rückt einzelne Körperteile in den Vordergrund und präsentiert sich mitunter als Eremit im Mönchshabit.


Die Linie verbindet das Gefühlserlebnis

Der Vorarlberger Künstler war abseits des Mainstreams tätig, wie auch die 125 Exponate umfassende Werkschau im Leopold Museum zeigt. Seine Zeichnungen sind gleichzeitig Untersuchungen – ohne Farbe. So wollte er in einem Selbstporträt herausfinden, wie sich sein Gesicht nach der Lösung eines mathematischen Problems verändert hatte. Die Welt nahm er als reine Energie war und er selbst war dafür Empfangsgerät. Als solches zeigt er sich auch in einem Selbstbildnis mit Parabolspiegel und weit aufgerissenen Augen. „Bei Kalb geht es geht es um die Darstellung des Denkens und wissenschaftlich um die Mittel der Kunst“, sagt Kurator Rudolf Sagmeister. Die Untersuchung der Linie, des Denkens und der Energie führe bei ihm zu vollkommener Abstraktion.

Bei Kalb geht es geht es um die Darstellung des Denkens und wissenschaftlich um die Mittel der Kunst

Rudolf Sagmeister, Kurator

Damit sei Kalb bereits 30 Jahre weiter als seine Kollegen. „Er ist ein Avantgardist gewesen in dem was er gemacht hat. Er hat gearbeitet wie zeitgenössische Künstler heute arbeiten“, so Sagmeister. Eintragungen in Edmund Kalbs Skizzen- oder Tagebücher belegen, dass er ein „Gefühlserlebnis“ aufs Papier bringen wollte. Kalb beschränkt sich daher oftmals nur auf die wesentlichen Gesichtspartien, wie die Augen, Mund und Nase. Schraffierungen, das Spiel von Licht und Schatten: Vieles davon fällt zu Gunsten von Kalbs Analysen weg.

Edmund Kalb, Porträt eines Kindes, um 1938, Grafit auf Papier, Privatbesitz Rudolf Sagmeister. Foto: Privatbesitz Rudolf Sagmeister

Edmund Kalb, Porträt eines Kindes, um 1938, Grafit auf Papier, Privatbesitz Rudolf Sagmeister. Foto: Privatbesitz Rudolf Sagmeister


„Den ganzen Tag habe ich mit der linken Hand (…) gemalt“

Nach dem Studium in München kehrt Edmund Kalb an den Hof seines Vaters in Ebnit, einem Bergdorf im Süden Dornbirns, zurück. In dieser Zeit bricht auch sein künstlerisches Schaffen ab. Er muss auf dem Feld, im Wald und im väterlichen Malerbetrieb mithelfen. Die Dekorationsmalerei, also die reine handwerkliche Tätigkeit, schätzt Kalb gering. Er malt den ganzen Tag mit der linken Hand und setzt nur für die künstlerische Tätigkeit die rechte ein, wie die rückseitige Beschriftung eines Selbstbildnisses zeigt.

In Vorarlberg wird der Zeichner immer mehr zum Außenseiter, es fehlt ihm jeglicher Kontakt zu regionalen Künstlergruppierungen. Stattdessen ist er über den Esperanto-Club mit Künstlern aus aller Welt in Kontakt. Mit ihnen diskutiert er über Kunst und schickt auch Fotos seiner Arbeiten mit. Bis er sich dann an der Kunst abgearbeitet hat. In den 1940er- Jahren scheint es, als hätte sich Kalb bereits mit allen Fragestellungen, die er durch Kunst lösen wollte, beschäftigt. Akribisch genau, kompromisslos und mit seiner ganzen Energie stürzt er sich nun auf einen gänzlich anderen Bereich: die Pflanzenzucht.


Kunstkritik ist dann gut, wenn sie sich ihren eigenen Raum sichert, eine Geltung beanspruchen kann und ohne sekundäre Begründung auskommt. (Stefan Lüddemann). Im besten Fall gibt die Kunstkritik der Kunst selbst einen neuen Raum. Fakt ist jedoch, dass sie nicht unabhängig von einem medialen Umfeld situiert werden kann und eine Praxis des Schauens, Beurteilens und Schreibens erfordert. In diesem Sinne geben wir auf unserer Website im Format "Junge Kunstkritik" jungen Autoren und Autorinnen die Möglichkeit ihre Kritiken zu veröffentlichen.

Leopold Museum

Museumsquartier
Museumsplatz 1
1070 Wien
Österreich

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