Von den Freiheiten und Eigenheiten des (Sonn-) Täglichen

Domenica

Mir fehlt das Meer, P. Chiereghin, 2013, Foto: G. Gava

"Mir fehlt das Meer" prangert in dicken Lettern über dem historischen Portal des prunkvollen Palais Metternich. Ein Ausspruch der, mitten in Wien, Hauptstadt des Binnenlandes Österreichs, wohl kaum treffender platziert werden kann, als auf der Botschaft der mediterranen Nachbarn Italien – dem Sehnsuchtsort aller urlaubenden Österreicher. Ein Anblick doch der auf einem Gebäude, gewidmet dem bürokratischem Dialog und der politischen Etikette, mehr irritiert als anderswo.


Irritation ist wohl eines der Leitmotive der Ausstellung "Domenica". Hier wird alles zum rituellen Spiel. Wie der Sonntag selbst – frei von Ernst, Pflicht und Rahmen. Eine scheinbare Atempause ehe mit dem Montag allwöchentlich der verpönte und doch generell (zu) wenig hinterfragte Alltag wiederkehrt.

Für die dritte große Ausstellung innerhalb des Zyklus zeitgenössischer Kunst im Palais Metternich lud Kurator Marcello Farabegoli die drei Künstler Pablo Chiereghin, Aldo Giannotti und Massimo Vitali ein. Die Ausstellung, die auch gezielt die Funktionen einer Botschaft, einer Landesvertretung Italiens in Österreich befragt, entstand im Auftrag des italienischen Botschafters Giorgio Marrapodi.

Hier wird alles zum rituellen Spiel

Paula Watzl

 

© Photo G. Gava

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Vor dem Hintergrund seines Palais wurden die Künstler eingeladen spezifische Antworten auf wiederkehrenden Fragen zu finden. Was ist Freizeit? Wie rituell sind ihre Konzepte behaftet? Und – liegt im Widerspruch Woche/Wochenende tatsächlich eine nötige Abgrenzung? Mutig nimmt man auch die allem zugrundeliegende Frage einer Ausstellung nicht aus: Was ist eigentlich Kunst? Und vom wem wird sie gemacht? Vom Künstler selbst oder doch von wichtigen Vertretern die großzügig Reden und Preise verleihen? Rituale die unsere Identität und Weltsicht bestimmen. Pablo Chiereghin, Aldo Giannotti und Massimo Vitali kritisieren sie humorvoll, ironisch und mit viel Spielraum zur Interpretation. Der Dialog mit dem Besucher nämlich ist es erst, der diese Ausstellung vollendet.

© Photo G. Gava

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Sonntag: Freizeit im Terminkalender

Was bedeutet uns der Sonntag? Meer, Fußball und Abstand zu den streng gefassten Regeln und Rhythmen in denen wir uns bewegen. Wie etwa Terminvereinbarungen. "Die Installation "Die Räumlichkeiten des Botschafters" von Pablo Chiereghin ist vorläufig geschlossen und nur nach Terminvereinbarung zu besichtigen" kann man da beispielhaft lesen. Nur einer von zahlreichen Coups Pablo Chiereghins der bei der Eröffnung unter anderem Wein in Plastikbechern servieren und die botschaftlichen Sitzmöbel mit Plastik beziehen ließ – Stimulierte Verwirrung normativer Verhaltensweisen. 

Die großen Fotoaufnahmen Massimo Vitalis begleiten unterdessen Gedanken an einen Sonntag am Meer. Gezeigt wird ein Teil seiner Strände-Serie – auf den ersten Blick festgehaltene Sehnsuchtsorte, gebannt von der Kraft der Natur, auf den zweiten aber gedrängte, von Menschenhand enteignete, übersättigte Massenschauplätze.

Die beiden jungen, in Wien lebenden Künstler Pablo Chiereghin und Aldo Giannotti wurden eingeladen zwischen der historistischen Palais Architektur und Vitalis Fotokulissen side-spezifisch zu vermitteln.

Österreicher in Italien – an Pfingsten in Lignano feiern, am Trevi Brunnen das Glück durch Münzregen herbeiführen und aufgereiht am Strand liegen – das ist Freizeit. Das ist Leben. Italiener in Österreich greifen diese Topoi humorvoll auf und halten uns in ironischen Kommentaren den Spiegel vor ohne sich dabei selbst kategorisch auszunehmen. Unter anderem bieten sie dabei "Platzhalter-Vorschläge" für Urlaubsphantasien. So landen die Münzen hierzulande einfach in einem handelüblichen Planschbecken anstelle des spätbarocken Brunnens von Nicola Salvi. Und macht es tatsächlich einen so großen Unterschied? 

© Photo G. Gava

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Als Lösungsvorschlag der Diskrepanz von Freizeit und Arbeitszeit bieten sie auch eine Restriktion der Freiheiten im Allgemeinen an. So wurden am Eröffnungsabend die Reisehinweise den Österreichischen Bundesminsiterium für Itaien verlesen und Aldo Giannotti gab zeichnerische Anweisungen über eine Reihe eigens konzipierter Skizzen. Unter drei schemenhaften Figuren heißt es da etwa "Three influential people from the Viennese art scene were paid by me to speak highly of this exhibition for its entire duration". Die Rituale der Kunstwelt, gegenübergestellt Alltagsbeobachtungen, wie dem Kreislauf ">Go to work, to be able to > buy a car > to be able to > go to work“ oder dem "Alternativen Anfang", "... and on the seventh day he started to work".

Die Ausstellung als Verhaltenspsychologische Studie, präsentiert nicht nur die Beobachtungen der Künstler, sondern regt das Publikum vor Ort an weiter Teil der Performance zu werden.

Paula Watzl

 

© Photo G. Gava

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Und während all dem der Geruch von frisch gemähtem Gras in der Nase. Tritt man in den barocken Festsaal ändert sich der Untergrund und man beginnt zu verstehen woher er weht. Die Großinstallation "Pitch Invasion" von Pablo Chiereghin und Aldo Giannotti transportierte für die Tage um die Ausstellungseröffnung ein Stück Fußballfeld aufs Parkett. Ohne ihnen groß eine Wahl zu lassen, verführten die Künstler die Besucher so zum wortwörtlichen "Sturm auf das Spielfeld" – auch wenn diese erst nur zögerlich folgten und erst hinter den angedeuteten Fußballfeldkreidelinien verharrten. Regelverstöße fallen uns scheinbar manchmal schwerer als im Rahmen zu bleiben. Die Ausstellung als Verhaltenspsychologische Studie, präsentiert nicht nur die Beobachtungen der Künstler, sondern regt das Publikum vor Ort an weiter Teil der Performance zu werden.

Die Künstler nehmen ihre Ausstellungsbesucher scheinbar auf den Arm während sie diese eigentlich an die Hand nehmen indem sie ihnen einen Sonntag schenken und mit ihm die Idee, dass jeder Tag sich genau aus den gleichen 24 Stunden zusammensetzt, 24 Stunden für jeden einzelnen von uns, alles andere sind abstrakte Muster, selbstauferlegt.

© Photo G. Gava

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