Galerie Crone

Huda Takriti: „Was ist die Grenze eines Bildes?“

Sie erhielt den Vordemberge Gildewart Award, den Preis der Kunsthalle Wien – und stellt noch bis 25. August 2023 in der Galerie Crone aus: Huda Takriti, 1990 in Syrien geboren, gehört zu den vielversprechenden Newcomern der Wiener Szene. PARNASS erreichte sie in ihrer Residency in Cassis (Südfrankreich) für ein Gespräch.


PARNASS: Huda Takriti, Sie haben ab 2012 in Damaskus studiert. Wie kamen Sie zur Kunst?

Huda Takriti: Wie jedes Kind malte und zeichnete ich gerne. Meine Eltern ermutigten mich: Meine Mutters schickte mich immer in Sommerschulen für Kunst. Nach der Schule bewarb ich mich an der Kunstakademie und wurde gleich aufgenommen.

P: Sie haben dann Malerei studiert?

HT: Ja, vier Jahre lang. Das System in Syrien ist anders als in Österreich: Dort studiert man im ersten Jahr Skulptur, Malerei, Grafikdesign, Druck und Innenarchitektur. Erst im zweiten Jahr entscheidet man sich für ein Fach. Bei mir war das die Malerei. Auf der Kunstuniversität haben wir nach Modellen gemalt, jeden Tag, nine to five. Es war auch verpflichtend, Kunstgeschichte und Critical Studies zu studieren. Dafür bin ich heute dankbar. Der Unterricht war zwar auf das 19. und 20. Jahrhundert beschränkt, aber ich habe daraus ein Werkzeug für mein Denken entwickelt. Ich hatte eine junge Professorin, Buthayna Ali, die in Frankreich studiert hat und Installationen macht. Das hat mich sehr interessiert – abgesehen davon war das Ziel der Universität in Damaskus, Rembrandts aus uns zu machen.

Huda Takriti © Beniamin Urbanek, Bildrecht Wien, 2023

P: Nach dem Studium in Damaskus haben Sie in Wien studiert. Wie kam es dazu?

HT: 2014 hatte ich über Kulturkontakt eine Residency für drei Monate. Da wurde ich auf das TransArts Department an der Universität für angewandte Kunst aufmerksam. Allerdings war die Bewerbungsfrist schon abgelaufen. Dann ging ich zurück nach Syrien, was ein Fehler war: Galerien waren geschlossen, es gab nichts mehr. Also bewarb ich mich erneut für ein Stipendium und war 2016 Artist in Residence in der Steiermark. Dann bewarb ich mich bei TransArts, und es funktionierte!

P: Eine Ihrer jüngeren Videoinstallationen, „of cities and private living rooms“, arbeitet sehr stark mit Bezügen zu Ihrer Familie. Zudem beziehen Sie sich auf eine Theorie, der zufolge jede Landschaft politische Macht ausdrückt. Wie entwickelte sich diese Arbeit?

HT: Viele meiner Arbeiten resultieren aus Begegnungen. Bei dieser stand ein Gespräch mit meinem Bruder am Anfang – und zwar über ein Familiengeheimnis, über das ich nichts wusste. Zuerst wollte ich eine Doku machen, in der ich es preisgebe.

P: Das Geheimnis war, dass Ihre Urgroßmutter Fatima eigentlich Victoria hieß und aus Polen stammte ...

HT: … oder aus Russland, das weiß man nicht genau. Das hat sich aber in der Erzählung des Films nicht direkt niedergeschlagen. Ich habe meine Mutter danach gefragt. Sie hat von einem Traum über ihre Großmutter erzählt. So beginnt auch das Video: mit einem Treffen mit ihr. Am Ende wird klar, dass es ein Traum ist, weil der Großmutter Flügel wachsen und sie wegfliegt. Die Geschichte meiner Familie ist kompliziert, mit Wurzeln in Palästina, dem Libanon und Kuwait – wegen des libanesischen Bürgerkriegs und des Golfkriegs. Russland und Polen kamen dazu.

HUDA TAKRITI | of cities and private living rooms, Film Installation and Photo Archive, Installationsansicht Kunsthalle Wien, 2020 | © Kunsthalle Wien

P: In dem Werk treffen dokumentarische Fotos auf poetische filmische Sequenzen. In einer davon sieht man Blumen langsam herunterfallen. In welcher Beziehung stehen diese Bilder zueinander?

HT: „of cities and private living rooms“ ist eine Zweikanal-Projektion, die von einer Diaprojektion ergänzt wird. Die Bilder für die Dias habe ich von Facebook heruntergeladen, weil ich die Originale nicht auftreiben konnte. Ich wollte mit dieser Umwandlung den Eindruck eines Archivs erwecken und die Frage nach der Wahrheit des Materials stellen. Die Szene mit den Blumen bezieht sich auf ein Foto, auf dem Blumen zu sehen sind – eine Aufnahme der Hochzeit meiner Großeltern.

P: Das Interesse an der Frage, was Bilder aussagen, zieht sich durch Ihre Arbeit. Auch die Installation „Refusing to Meet Your Eye“ dreht sich darum. Ausgangspunkt ist ein Foto der Flugzeugentführerin Leila Khaled bei ihrem Prozess. Dazwischen erzählen Texteinschübe über Bilder. Einmal heißt es: „Dieses Bild versteckt mehr, als es enthüllen sollte.“ Ist das ein Schlüsselsatz für Ihre Kunst generell?

HT: Dem würde ich zustimmen. In diesem Fall war es so, dass für ein Magazin eigentlich ein anderes Foto gemacht werden sollte. Doch dazu kam es nicht. Daher stellt sich die Frage: Was ist die Grenze eines Bildes?

Still, Refusing to Meet Your Eye, One Channel Video and Photo Archive, 13’33”, HD, Color, Black&White, Sound, 2022. Photo © the Artist

P: In der Arbeit kommt ein anderes starkes Bild vor: ein Archiv, das von Wasser geflutet ist.

HT: Damit stelle ich die Frage, was Kontamination ist. Kann sie auch eine Form des Widerstands sein? Das spricht Anna L. Tsing in ihrem Buch „Der Pilz am Ende der Welt: Über das Leben in den Ruinen des Kapitalismus“ an. Ungefähr ein Monat vor der Flugzeugentführung landete Apollo 11 auf dem Mond. Als ich an dem Video arbeitete, las ich einen Artikel darüber, dass die Wissenschaft dachte, einen Krater am Südpol des Mondes gefunden zu haben, der Wasser enthält. Da es mehr als zwei Milliarden Jahre kein Sonnenlicht gesehen haben sollte, kam mir das Bild eines unbekannten Archivraums an einem unbekannten Ort in den Sinn, der mit Wasser gefüllt ist.

Still, Refusing to Meet Your Eye, One Channel Video and Photo Archive, 13’33”, HD, Color, Black&White, Sound, 2022. Photo © the Artist

P: Wie sehr forschen Sie selbst in Archiven?

HT: Ich versuche es. Aber die Archive, die mich interessieren, sind manchmal zu weit weg, dann wieder habe ich Probleme, mit meinem syrischen Pass ein Visum zu bekommen. Momentan arbeite ich in französischen Archiven, doch es sind nicht alle zugänglich, wegen militärischer Geheimhaltung. So greife ich oft auf Onlinequellen zurück.

P: Woran arbeiten Sie gerade?

HT: An einer Arbeit über die Female Freedom Fighters im algerischen Unabhängigkeitskrieg. In dem Film „Schlacht um Algier“ kommen Frauen nur kurz vor – sie sprechen nicht, sie nehmen lediglich Befehle entgegen. Die historische Realität hat anders ausgesehen, wie meine Recherchen ergeben haben. Grundlage für den Film waren die Memoiren von Yacef Saâdi, einem der Anführer der Front de Libération Nationale (FLN). Der Film marginalisiert die Rolle der Frauen und später die Erinnerung an den Freiheitskampf. In meiner Arbeit hinterfrage ich die Repräsentationsstrategien und die Reproduktion historischer Narrative als eine Suche der Reflexion über die Beziehungen zwischen Geschlecht, Nationalität und verborgenen Geschichten.

Galerie Crone

Getreidemarkt 14 , 1010 Wien
Österreich

Huda Takriti
bis 25. August 2023

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