Vienna Biennale For Change 2021

DIGITAL & CIRCULAR | Wege in die Kreislaufgesellschaft

„Wie kreislauffit ist Österreich?“, fragt das mehrteilige Projekt DIGITAL & CIRCULAR, in dem das Designstudio / Social Enterprise EOOS NEXT und das Design Studio Process gemeinsam mit einer Arbeitsgruppe, geleitet von Professor Helmut Haberl (Institut für Soziale Ökologie der BOKU Wien), Materialflüsse erforschen. Bevor es in eine Ideenfindung mit Kreislaufanspruch geht, sollte der Ist-Zustand der Materie in Österreich festgemacht werden.


Dabei konnte rasch festgestellt werden, dass wir uns mit dramatisch viel Material umgeben. 2020 kam es überhaupt zum Kippmoment – erstmals war global betrachtet mehr vom Menschen gemachtes Material im Umlauf als Biomasse. Der Mensch hat also mehr Künstliches in die Welt gebracht als aktuell an lebenden Bioorganismen auf der Erde existieren, und das, obwohl die menschliche Masse nur rund 0.01 Prozent der globalen Biomasse ausmacht. Das Künstliche sticht die Natur längst aus: Es gibt inzwischen mehr Häuser als Bäume, in Österreich ebenso viele Straßen wie Häuser und überhaupt weltweit doppelt so viel Plastik wie Tiere. Wie wird das alles gemessen? In Materialgewicht. Im Durchschnitt wird das Äquivalent des eigenen Körpergewichts jedes Menschen wöchentlich in künstlicher Masse reproduziert. Beton, Schotter, Ziegel, Asphalt sind hier einige der Hauptakteure.[1]

Wenn man sich die Daten ansieht, merkt man, dass wir eigentlich keine Wegwerfgesellschaft sind, sondern wir häufen Unmengen an Material an“, erklärt der Designer und Designtheoretiker Harald Gründl von EOOS NEXT das Phänomen „stockpiling“. „Das Digitale kann helfen, die Lage zu veranschaulichen“, erklärt er das Projekt der Vienna Biennale. Mit Hilfe von Satellitendaten wurde ein Machine-Learning-Algorithmus programmiert, der anhand von Fotos Österreichs Materialflüsse dokumentiert. Das Design Studio Process hat die Daten in eine Landkarte verwandelt, in der mittels Pixeln in unterschiedlichen Grautönen die Materialität wortwörtlich gewichtet werden kann. Neben der Universität für Bodenkultur gibt es auch einen Austausch mit der Technischen Universität Wien, die anhand der Beschaffenheit der dokumentierten Häuser das Material noch weiter aufschlüsseln kann und beispielsweise Holz- und Ziegelbauweise gewichtet.

DIGITAL & CIRCULAR, Wege in die Kreislaufgesellschaft, Karte Bäume (Ausschnitt Donau/Melk/Krems) © EOOS NEXT/Process – Studio for Art and Design

Es ist eine Gestaltungsaufgabe, die sich ergibt. Es geht darum, nicht dauernd neue Sachen zu machen, sondern alte umzuwidmen. Cradle to Cradle, also von Wiege zu Wiege, ist ein ideales Designprinzip.

Harald Gründl

Eine Idee der Designer ist es, das Projekt des Datensammelns langfristig zu etablieren und konstant mit neuen Daten zu speisen, um so besser Herr über die Raumplanung im Land zu werden. Überhaupt geht es darum, achtsamer und gezielter mit Material umzugehen. „Es ist eine Gestaltungsaufgabe, die sich ergibt. Es geht darum, nicht dauernd neue Sachen zu machen, sondern alte umzuwidmen. Cradle to Cradle, also von Wiege zu Wiege, ist ein ideales Designprinzip“, erklärt Harald Gründl. Mit der Gründung von EOOS NEXT als Zweig der ursprünglichen Designfirma EOOS, die weiterhin besteht, setzte er bewusst einen Schritt in Richtung Social Design. „Es ist eine Organisation, die ein gesellschaftliches Ziel hat“, beschreibt Gründl auch die für ihn aktuelle Rolle und Aufgabe von Design überhaupt. EOOS NEXT fokussiert sich auf die grundlegenden Themen – wie beispielsweise Kochen, Verdauung und Mobilität – und will in diesem Bereich bessere Lösungen schaffen, nämlich solche, die lokal und ressourcenschonend hergestellt werden können. Ein dazu passendes Projekt, der ZUV, ein 3D-gedrucktes Lastenfahrrad, ist in der Hauptausstellung CLIMATE CARE zu sehen, während im Zuge von DIGITAL & CIRCULAR noch ergebnisoffen mögliche Lösungsansätze debattiert werden – durch einen interdisziplinären Expertenkreis erfolgt im Frühling 2021 eine Ideenfindung, mit welchen digitalen Ansätzen die Verankerung der Kreislaufgesellschaft effektiv vorangetrieben werden könnte.

MAK

Stubenring 5, 1010 Wien
Österreich

[1] Emily Elhacham, Liad Ben-Uri, Jonathan Grozovski, Yinon M. Bar-On & Ron Milo, “Global human-made mass exceeds all living biomass”, Nature, 9. Dezember 2020: https://www.nature.com/articles/s41586-020-3010-5 basierend auf: Fridolin Krausmann, Dominik Wiedenhofer, Christian Lauka, Willi Haasa, Hiroki Tanikawab, Tomer Fishman, Alessio Miatto, Heinz Schandl, Helmut Haberl, “Global socioeconomic material stocks rise 23-fold over the 20th century and require half of annual resource use”, 26. August 2016; Interview mit Harald Gründl, 21. April 2021

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