Vienna Biennale For Change 2021

Climate Care

Zehn Jahre wird es noch dauern. Dann werden die Auswirkungen der Klimakrise irreversibel sein. Wie der Übergang von einer digitalen zu einer Klima-Moderne gelingen kann und welche Rolle die Kunst dabei spielt, darüber spricht MAK-Direktor und Leiter der Vienna Biennale for Change Christoph Thun-Hohenstein im PARNASS Interview.


Sowohl für die Erarbeitung von Gestaltungsoptionen als auch für das erforderliche Transformationsdesign sind wir auf neue Avantgarden von Künstlern und Kreativen und deren Zusammenarbeit mit Kunsteinrichtungen angewiesen.

Christoph Tun-Hohenstein

PARNASS: „Klimafürsorge im Digitalen Zeitalter“ steht bereits im Titel der diesjährigen VIENNA BIENNALE FOR CHANGE. Aber: Digitalisierung und Klimaschutz – ist das nicht ein Widerspruch?

CHRISTOPH THUN-HOHENSTEIN: Nein, überhaupt nicht! Weil die Digitalisierung seit zwei bis drei Jahrzehnten der wichtigste Innovationstreiber ist und es in Zukunft noch stärker sein wird. Daher können und müssen wir gerade die Digitalisierung wesentlich stärker für den Klimaschutz einsetzen. Wir müssen diese Innovations-Freudigkeit in Richtung Klimaschutz lenken. Und da geht es um viel mehr als nur um Dekarbonisierung.

P: Die Ellen MacArthur Foundation – eine in England ansässige Wohltätigkeitsorganisation, welche die Kreislaufwirtschaft fördert – hat dazu ein Grundgerüst an Handlungsmaximen ausgearbeitet. Laut diesem können viele reale Produkte durch digitale Angebote ersetzt werden.

CTH: Genau, zum Beispiel Bücher, CDs oder DVDs. Ich glaube aber nicht, dass dieser Weg das einzige Erfolgsrezept ist; wir müssen auch nachdenken, wie wir digitale Innovationen ganz gezielt einsetzen können, um zum Beispiel eine ganz andere Qualität der Bildung, der „literacy“ [engl.: Fähigkeit, Kenntnis], zu den großen ökologischen Fragen zu erreichen, um dabei zu helfen, das Thema in die Köpfe und in die Herzen der Menschen reinzukriegen. Mit der Digitalisierung können wir auch Wertschöpfungsketten transparent machen, um schwarze Schafe von jenen zu unterscheiden, die wirklich bemüht sind, ökologisch sauber zu agieren, und den Endverbraucher*innen generell eine viel stärkere Stellung einräumen. Zum Beispiel im Supermarkt: Man hält sein Gerät über einen Artikel und erhält blitzschnell die Auswertung, woher er kommt und wie hoch der Fußabdruck ist. Diese erhöhte „literacy“ trägt auch dazu bei, dass man neugieriger wird und geradezu nach solchen Apps und anderen Tools verlangt, die uns über Themen der Nachhaltigkeit informieren.

Sie [die Kunst] hat eine enorm große Bedeutung! Weil wir einfach alternative Bilder und Narrative brauchen, wie Leben in Zukunft, in einer dekarbonisierten Welt, sein könnte.

Christoph Tun-Hohenstein

P: Die Digitale Moderne muss sich zu einer ökologisch und sozial nachhaltigen Klima-Moderne weiterentwickeln. Welche Rolle kann dabei die Kunst spielen?

CTH: Sie hat eine enorm große Bedeutung! Weil wir alternative Bilder und Narrative brauchen, wie Leben in Zukunft, in einer dekarbonisierten Welt, sein könnte. Mit der Kraft der Kunst hier Vorstellungsräume zu öffnen, halte ich für ganz entscheidend. Nicht alle Künstler*innen müssen sich diesem Thema widmen, aber je mehr es tun, umso besser.

P: Für eine Greenpeace-Aktion hat der italienische Komponist Ludovico Einaudi 2016 ein Konzert auf einer Eisscholle in der Nähe eines norwegischen Gletschers gegeben. Ein Protest gegen die Zerstörung der Arktis.

CHRISTOPH THUN-HOHENSTEIN | Foto Sabine Hauswirth/MAK

CTH: Auch „Rhonegletscher II“ von Thomas Wrede, eine Fotografie von Gletschern, die mit Planen bedeckt werden [Anm.: zu sehen in der Ausstellung „Climate Care“], ist ein Bild, das sehr, sehr viel auslöst. – Weil es aufzeigt, wie enorm die Gletscher an Substanz verlieren, dass Handlungsbedarf da ist, während wir gleichzeitig dem Ganzen ein bisschen hilflos begegnen. Aber ich glaube auch, dass die Kunst da noch in einem relativ frühen Stadium ist. Ólafur Elíasson ist ein Künstler, der zu diesem Thema schon sehr viel gemacht hat, von dem ich mir aber noch viel mehr erwarte – sein aktuelles Projekt in der Fondation Beyeler ist überwältigend. Ich glaube auch, dass wir für das Klimabewusstsein ähnliche immersive Installationen benötigen wie jene zur Malerei von van Gogh, die auch mit Film, digitalen Videos einschließlich der Virtual Reality arbeiten und wo man mitten drinnen sitzt im Geschehen. Eine Mega-Erfahrung, die ein breites Publikum anspricht.

P: Dass sich die Kunst mit dem Weltklima beschäftigt, ist nichts Neues. Schon der Romantiker Achim von Arnim hat vom „Verschwinden der Wälder“ gesprochen. Geholfen hat es scheinbar wenig. Heute ist die Fridays-for-Future-Bewegung nahezu täglich in den Medien präsent. Resultiert aus dem dauernden Anprangern der Öko-Krise vielleicht eine Trendumkehr, ein Overkill?

CTH: Natürlich kann das sein. Aber man muss Fridays-for-Future zugutehalten, dass die Bewegung eine radikale politische Wende ausgelöst hat. Ohne Greta Thunberg, die ich aus heutiger Sicht für die wichtigste Person des 21. Jahrhunderts halte, hätte es nicht diese Ökologisierung fast aller Parteien, in nationalen Parlamenten wie im Europaparlament, gegeben. Völlig klar ist aber auch, dass gewisse Mechanismen, und Dystopie zählt dazu, auf Dauer nicht funktionieren, weil sie die Menschen abstumpfen lassen. „Uplifting“ zu sein, Aufbruchsstimmung zu vermitteln, ist viel, viel schwieriger. Aber meine Hoffnung ist, dass es jetzt passiert. Die Richtung, in die wir aus Corona heraus starten, ist ganz klar vorgegeben. Die USA stellen den Klimaschutz bereits in den Mittelpunkt ihrer umfassenden Programme, Europa muss da noch zulegen.

CLIMATE CARE, Stellen wir uns vor, unser Planet hat Zukunft, Julian Charrière, We Are All Astronauts, 2013 © Julian Charrière; VG Bild-Kunst, Bonn, Deutschland

...dieser Dreiklang „Effizienz- Konsistenz-Suffizienz“ ist enorm wichtig, und aus meiner Sicht hat die Suffizienz – das Maßhalten – immer Vorrang vor der Effizienz.

Christoph Thun-Hohenstein

P: Die ökologische Krise nährt sich jedoch nicht nur aus dem Klimaschutz. Ein großes Thema der diesjährigen VIENNA BIENNALE wird die Kreislaufwirtschaft sein.

CTH: Es ist viel komplizierter, als wir glauben. Wir wissen zum Beispiel, dass die Batterien von Elektrofahrzeugen derzeit einen katastrophalen Fußabdruck haben. Und wenn wir jetzt alle Verbrenner durch E-Autos ersetzen, dann haben wir wieder eine neue zusätzliche Materialanhäufung, während nur ein verschwindend geringer Teil der Verbrennungsmotor-Autos Kreisläufen zugeführt wird. Natürlich sind E-Autos den Verbrennern vorzuziehen, aber wir sollten Mobilität überhaupt neu denken, also wesentlich weniger Autos als bisher und ein Umlenken der Mobilität auf Öffis, Fahrräder, Gehen und vieles andere, was im urbanen Bereich leicht möglich ist. Das heißt, dieser Dreiklang „Effizienz- Konsistenz-Suffizienz“ ist enorm wichtig, und aus meiner Sicht hat die Suffizienz – das Maßhalten – immer Vorrang vor der Effizienz.

Das heißt, es geht nicht darum, den Menschen etwas zu verbieten, sondern diesen Umbruch so schmackhaft zu machen, dass er angenommen wird. Und dafür brauchen wir alle Hebel, gerade auch jene der Künste.

Christoph Tun-Hohenstein

P: Was brauche ich wirklich zum Leben ist eine Frage, die sich zwar mittlerweile viele stellen. Das Motto unserer Konsumgesellschaft lautet dennoch weiterhin: „Geiz ist geil.“ Das Wesen des Menschen scheint also nicht gerade auf Verzicht und Reduktion, sondern vielmehr auf Ausdehnung angelegt zu sein.

CTH: Ich bin ein großer Fan des deutschen Soziologen Hartmut Rosa und seiner „Resonanztheorie“. Er meint: Wir haben eine Dynamik der ständigen Steigerung unserer persönlichen „Weltreichweite“ und streben nach Statuskonsum. Was wir bewerkstelligen müssen, ist daher genau die Umkehrung, also einen minimalistischen Statuskonsum, indem wir auf Qualität schauen und langlebige Produkte bevorzugen – also das, was die Wiener Werkstätte schon vor hundert Jahren gepredigt hat. Klima-Kultur – ein vom Breathe Earth Collective geprägter schöner Begriff – muss nicht unpopuläre Verzichtskultur sein, sondern ist Kultur wohlüberlegten Handelns und reflektierter Zukunftsfähigkeit. Das ist ein Stück Arbeit, das wir leisten müssen, aber Klima-Kultur muss keine Spaßbremse sein, sondern versteht sich als freudiger Aufbruch zu nachhaltiger Lebensqualität. Das heißt, es geht nicht darum, den Menschen etwas zu verbieten, sondern diesen Umbruch so schmackhaft zu machen, dass er angenommen wird. Und dafür brauchen wir alle Hebel, gerade auch jene der Künste. Von Rosa inspiriert, würde ich die Herausforderung so auf den Punkt bringen: Wie viel Weltreichweite benötige ich wirklich für ein erfülltes Leben? Oder noch treffender formuliert: Wie wenig Weltreichweite genügt mir für ein gutes Leben?

Ausstellungsansicht, CLIMATE CARE, Stellen wir uns vor, unser Planet hat Zukunft im Vordergrund: Maximilian Prüfer, A Gift From Him, 2019 © Stefan Lux/MAK

Im Gegensatz zur Coronakrise müssen wir uns bei der Klimakrise nicht nur durch veränderten Lebensstil einbringen, sondern auch durch unseren Aktivismus.

Christoph Tun-Hohenstein

P: Bräuchten wir da, abseits der Kunst, nicht auch ein stärkeres Bewusstsein für das Kollektiv? Seit der Aufklärung geht es in Europa doch verstärkt um das „Ich“ in der Gesellschaft …

CTH: In der VIENNA BIENNALE wird es auch darum gehen klarzumachen, dass wir nur Teil eines großen Systems vieler Spezies sind, dass es also eine „mehr als menschliche“ Haltung braucht. In der großen CLIMATE CARE-Ausstellung versuchen wir verständlich zu machen, warum uns ein konstruktives Zusammenwirken mit anderen Spezies zugutekommt. Fakt ist: Wir leben in der größten Krise der Menschheitsgeschichte. Die Erderwärmung, das Artensterben, die Übernutzung der Erde, die Zerstörung von Ökosystemen sind längst bekannte Herausforderungen, aber irgendwie sind wir in der Krisenbewältigung nach wie vor linear unterwegs und machen vielfach „business as usual“. Dabei haben wir gerade noch ein zehnjähriges „window of action“, bis wirklich irreversible Prozesse einsetzen, die die Qualität für die Menschen auf unserem Planeten radikal verschlechtern. Im Gegensatz zur Coronakrise müssen wir uns bei der Klimakrise nicht nur durch veränderten Lebensstil einbringen, sondern auch durch unseren Aktivismus; gemeinsam können wir immer mehr erreichen, und das betrifft auch den dringend notwendigen systemischen Wandel. Das Gemeinschaftsgefühl – aus dem „Ich“ werden „Wir“ – ist entscheidend.

CLIMATE CARE, Stellen wir uns vor, unser Planet hat Zukunft, Thomas Bayrle, Greta Thunberg (Blutkörperchen), 2019, Pigmentdruck auf Baumwolle © Thomas Bayrle/VG Bild-Kunst, Bonn, Courtesy the artist and neugerriemschneider, Berlin

MAK

Stubenring 5, 1010 Wien
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