Brigitte Kowanz. Mathematische Poesie des Lichts
Nur zu verführerisch wäre es, allein vom Licht zu sprechen, auch wenn dies der erste Moment ist, der einem vielleicht in den Sinn kommt, wenn man sich das Œuvre von Brigitte Kowanz vor Augen ruft. Es würde nahe liegen, hat die Künstlerin doch eine singuläre Position in genau diesem Bereich der Moderne errungen, deren ästhetische Erfahrungen auf der Verstofflichung dessen beruhen, was seit dem 19. Jahrhundert als eines der medialen Elexiere des Urbanen gilt: auf der Leuchtkraft der Elektrizität.
Die Arbeit von Brigitte Kowanz ist eine technologische, nach rationalen Prinzipien organisierte Kunst, deren Werke aber zumeist eine Sphäre des Magischen, eine Aura des sinnlich Anziehenden und Poetischen aufbauen. Von hier aus weiter vorzudringen, führt auf ein Terrain der Dichotomien. So wie sich die Präsenz des Lichts vor allem über ihren Kontrast zur Finsternis manifestiert, so wie der vorgegebene Gegensatz zwischen hell und dunkel als eine ursprüngliche Polarisierung gelesen werden kann, sind die Werke der Künstlerin zwischen dem Festen und dem Liquiden angesiedelt. Sie nehmen ihren Ausdruck nicht bloß über das ungreifbare, nur schwer in Worte zu fassende Erstahlen von Helligkeit an, sondern ebenso über die jeweils ausgewählten Leuchtmittel – zumeist über die Technik speziell geformter Leuchtstoffröhren oder LED-Lampen mit bestimmten Farbwerten.
Der Dualismus zwischen der empirischen Erfahrung des Lichts als unmittelbar präsentes Phänomen und der Materialität seiner Quellen findet seine Entsprechung in jener bemerkenswerten Eigenheit, Licht sowohl in Form von Wellen als auch als Teilchen abbilden zu können, wie aus der Praxis der Quantenphysik bekannt ist. Dieses paradoxe Nebeneinander als Gleichzeitigkeit von Gegensätzlichem lässt sich in das mathematische Modell des aus 0 und 1 bestehenden binären Codes transformieren.
Entlang dieser Tangente liegt für Brigitte Kowanz der Übergang vom energetischen Prozess zum in Zahlen formulierten mathematischen und sprachlichen Code. Dem Textverlauf der Sprache vergleichbar, fungiert auch Licht als Trägermedium für Zeichen und Botschaften. In beiden Fällen handelt es sich um Informationsformen, die durch ihren zeitlichen Ablauf gekennzeichnet sind. Kowanz führt beide Ebenen zusammen, vor allem in jenen Arbeiten, in denen sie die Idee alphabetischer Schriftzeichen in Neon zurücklässt und – sich noch weiter in Richtung Abstraktion voran bewegend – Morsezeichen in unterschiedlichen Formen der Visualisierung einsetzt. Solche Übersetzungen des Morsealphabets kehren an zahlreichen Stellen im Werk von Brigitte Kowanz wieder – in Form teils rhythmisch abgeklebter Neonröhren etwa, wie sie in ihrer großen Personale im mumok in Wien (2010) elaboriert zeigte.
Klare Strukturen
Atmosphärisch cool und punktgenau in Szene gesetzt, führte sie dort die zentralen Themen ihrer Arbeit, die auf der Reflexion von Licht, Sprache und architektonischem Raum beruhen, in einem Resonanzfeld zusammen. Wie Baumaterial platzierte sie wand-übergreifende, einander gegenüber montierte Spiegel. Weniger, um die hypnotische Anziehungskraft des eigenen Spiegelbildes auf die Besucher im Sinne der Studien Jaques Lacans deutlich zu machen, sondern eher um die Faszinationskraft der Verdoppelung und Vervielfachung des Raumes darzustellen und die feinen, in endloser Dynamik sich übereinander legenden Linien der gespiegelten Echobahnen sich verflüchtigender Lichtströme einzufangen.
In vielen Fällen verwendet Brigitte Kowanz Glas außerdem als Werkstoff für ihre Installationen und Objekte. Nicht nur dessen luzide Qualitäten interessieren sie dabei, sondern auch das Potenzial, aus einem jeweils bestimmten Winkel heraus präzise Spiegelungen von Lichtstrukturen entstehen zu lassen, wobei der Eindruck von Transparenz sich mit dem Abbild sich wiederholender oder visuell geschichteter Zeichen auf den durchsichtigen Flächen überlagern kann.
Ihre Objekte basieren auf mathematisch klaren Strukturen und stellen oft komplex verschachtelte Systeme des Innen und Außen in der Kommunikation des Werks und seinen immanenten Tiefendimensionen mit dem räumlichen Umfeld her. Dies sind nicht nur die spezifischen Eigenheiten des Ausstellungsraums, der durchaus aufgeladen sein kann mit tradierten Zeichensystemen einer anderen Epoche, wie im Falle einer Intervention im barocken Marmorsaal des Oberen Belvedere in Wien (2008): Die Künstlerin realisierte dort ein sich auf die Formensprache des Barocks beziehendes pyramidales Objekt mit geschlungenen Neonlichtschleifen. Dieses wurde komplementär ergänzt von einem vom Plafond herabhängendem Spiegel. Auch die Konzepte für Arbeiten im Außenraum, wie etwa "Beyond Recall" (2011) aus semitransparenten Spiegelkuben auf den Brückensockeln der Salzburger Staatsbrücke, entstanden in Auseinandersetzung mit dem jeweiligen topografischen Kontext. In diesem einen Fall ist der historische Hintergrund hochpolitisch aufgeladen. Die Brücke wurde 1941 bis 1945 von Hunderten Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern errichtet. Kowanz nimmt in den Schriftzügen, die in den Kuben zu lesen sind darauf Bezug. Einer der Texte "Zum Gedenken an die Hunderten Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter, die von 1941 bis 1945 gegen ihren Willen und unter großen Opfern an der Errichtung dieser Brücke arbeiten mussten" wurde der Gedenktafel am Brückenkopf entnommen.
"Another Time Another Place"
Ebenfalls mit der Einbringung von Schrift in den Kontext eines öffentlich genutzten Ortes arbeitete Brigitte Kowanz im Rahmen ihres Kunst am Bau-Projekts "Another Time Another Place" für den Bahnhof Baden bei Wien im Zuge des Neubaus durch Henke Schreieck Architekten 2004 und 2005. Als dauerhaft präsentes Lichtobjekt konzipierte die Künstlerin für diesen Ort einen Schriftzug mit eben diesem Text, wobei – den Bewegungen Reisender entsprechend – jeweils ein Teil nur von einer Richtung aus richtig und sonst spiegelverkehrt, und vice versa, lesbar ist.
Viele der verbalisiert oder numerisch zum Ausdruck kommenden Botschaften in diesen Lichtschriften haben Geschwindigkeit, haben Abläufe, die in der Zeit erfolgen, Wahrnehmungsformen also unter dem Paradigma von Zeit und Raum zum Thema. Deshalb ist eine Reihe von Arbeiten sehr nüchtern auf Basis klar lesbarer Zahlencodes formalisiert, welche sich auf die Ausbreitung von Licht über bestimmte Distanzen beziehen. Darin drückt sich insofern ein Paradigmenwechsel aus, als Licht in der klassischen Malerei noch als gegeben und anwesend, nicht aber als Medium in Bewegung wahrgenommen wurde.
Licht als darstellendes Medium
Von Anfang an jedoch war Brigitte Kowanz an Fragen nach Gegenwart und Aktualität interessiert, anstatt sich den männlich heroisch inszenierten Bewegungen der Malerei anzuschließen, welche in den 1980er-Jahren als "Neue Wilde" auftraten. Außerhalb der Akademien, in dem Fall der Angewandten, klang noch der Sound von New Wave nach und Techno galt als innovativ, als in den neuen Bars tatsächlich kühles Neon Kult wurde. Vor dem Hintergrund der Kunstrevolutionen der 1960er- und 1970er-Jahre waren zeit- und lichtbasierte Medienformen wie super8 und Video en vogue geworden.
Doch Brigitte Kowanz wählte damals, in einer Phase, als sie zwischen 1979 und 1984 mit Franz Graf zusammen arbeitete, einen dritten Weg und suchte die analytische Auseinandersetzung mit lichtbezogenen Phänomenen der Wahrnehmung. Zwar bewegte sie sich noch in der Nähe der Malerei als um 1980 fluoreszierende und phosphoreszierende Bilder entstanden, doch wurden diese bereits räumlich aufeinander bezogen platziert, während durch die Herstellung von Flaschenobjekten mit eingefüllten selbstleuchtenden Substanzen neue Formen der Wahrnehmung erprobt wurden. Schon zu diesem Zeitpunkt also betrieb die Kowanz Grundlagenforschungen, die in die Richtung ihrer später naturwissenschaftlich, wahrnehmungstheoretisch fundierten künstlerischen Arbeit wies und rückte Licht in eine neue Position, in der es selbst zum darstellenden Medium wurde. Textlich tautologisch brachte sie dies in einer Arbeit für Basel "Light is what we see" (1994–1996) zum Ausdruck.
Dieser Prozess korreliert mit der Vereinnahmung des Stadtraums durch Leuchtschriftreklame in der westlichen Welt seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Dan Flavin machte dies extensiv zum Thema, indem er Neonröhren als Material einsetzte. Die Überlegungen sind auch in Spielformen des ausufernd Transmedialen der verkabelten Fluxus Bewegung enthalten. Deren Ansätze wiederum leiten über zur kritischen Reflexion zeitbasierter Medien. Als Folge der Auseinandersetzung mit dem Phänomen wachsender Beschleunigung und der Verdichtung sprachlicher und visueller Informationsflüsse konzipiert Brigitte Kowanz nun vielschichtige, zunehmend komplexer verdichtete Objekte, strebt in deren Realisierung allerdings ein Höchstmaß an Transparenz und Klarheit an. In der konkreten Realisierung des Ungreifbaren, sich unentwegt Ausbreitenden oszilliert dieses faszinierende Konzept zwischen rigider Präzision und schwebender Poesie.