Kunsthistorisches Museum Wien

Beethoven bewegt

Zum 250. Geburtstag Ludwig van Beethovens erproben zahlreiche Institutionen mögliche Lesarten des großen Komponisten. Couragiert stellt sich das Kunsthistorische Museum der Aufgabe, indem es Beethoven zwischen Rebecca Horn, Tino Sehgal und John Baldessari als Zeitgenossen präsentiert, als Vorreiter nicht nur der Romantik, sondern als Impulsgeber bis hin zur Gegenwart.


Wien und Bonn stehen heuer im Zentrum dieses Beethoven-Jahres zum 250. Geburtstag des Komponisten. Wien, Beethovens Wahlheimat ab 1792 bis zu seinem Tod 1827, widmet sich nicht nur einzelnen Episoden seines Lebens und Schaffens, sondern vordergründig auch Beethovens geistigem Erbe, seiner oft zitierten Rolle des Visionärs. Sehenswert geschieht dies im Kunsthistorischen Museum, das eine Hommage an den Komponisten aufschlägt, indem es dessen Beziehung zur Geschichte der Kunst kritisch beäugt. Denn wo sind die Bezugspunkte zwischen Beethoven und dem Museum? Auch wenn es Erzählungen gibt, er habe vor dem Vermeer-Gemälde der Sammlung in einem privaten Salon musiziert, steht Beethoven generell wohl nicht in direkter Korrespondenz mit der bildenden Kunst und auch nicht mit dem 1891 eröffneten Haus. Doch ergibt sich ein interessantes Momentum, wenn man den Musiker und das Museum zusammendenkt:

Wenn man über Beethoven spricht, wird oft gesagt, dass er mit allem, was vor ihm kam, gebrochen hat – er schrieb die Dinge um. Und das, womit er bricht, ist im Grunde alles, was wir haben – 5.000 Jahre voller Objekte bis 1800. Das, was wir haben, ist das, was er hinterlassen hat, es ist fast so, als ob das Museum und all seine Sammlungen das Podest sind, auf das Beethoven steigt und ein neues Kapitel verkündet“, erklärt Jasper Sharp, einer von vier Kuratoren der Ausstellung. Beethoven kannte also die Welt, die in der Gemäldegalerie des Museums konserviert wird und über die der Besucher seine Zeitreise in die Jahre Beethovens begehen kann.

Der Moment, in dem wir aufhören, ist wirklich der Moment, in dem Beethovens Kapitel beginnt

Jaspar Sharp

John Baldessari (1931–2020) Beethoven’s Trumpet (with Ear) Opus, 2007, Harz, Fiberglas, Bronze, Aluminium, Elektronik, L. 179 cm, B. 110 cm, H. 42 cm (Ohr); L. 224 cm, B. 130 cm (Rohr) © John Baldessari Courtesy of the artist, Sprüth Magers and Beyer Projects, Foto: KHM-Museumsverband

In den Räumen der Gemäldegalerie treffen in vier Takten die Kunstgeschichten der letzten 200 Jahre aufeinander und stellen sich dem Dialog mit den historischen Werken der Sammlung. Hinzu kommen zwei neue Auftragswerke, die den Diskurs um Beethoven bis ins Jubiläumsjahr erweitern.

Es war wichtig, dass wir neue Werke in Auftrag geben, denn Beethoven wurde sein ganzes Leben lang beauftragt. Der Prozess der Auftragsvergabe war für ihn von existenzieller Bedeutung, so setzen wir diese Tradition nun fort und verhelfen neuen Kunstwerken zum Leben

Jaspar Sharp

Eine der neuen Arbeiten begrüßt den Besucher schon vor dem Eintreten in das Museum – eine Soundinstallation von Ayşe Erkmen an der Fassade. Sodann vollzieht sich „Beethoven Bewegt“, so der Ausstellungstitel, in vier Sälen und auf der Innentreppe des Hauses. Zunächst begegnet man ebenda einer faszinierenden Arbeit John Baldessaris. Der kürzlich verstorbene Vater der Konzeptkunst schuf mit „BEETHOVEN‘ S TRUMPET (WITH EAR) OP. #133“ für eine Beethoven-Retrospektive 2007 ein paradoxes skulpturales Werk – ein Klangstück über einen Komponisten, der taub war. Im ersten Raum stehen aber zunächst der jugendliche Aufbruch Beethovens und damit seine Piano-Sonaten im Zentrum. Der Saal wird von einer Skulptur Auguste Rodins und Rebecca Horns „Concert for Anarchy“, einem alle paar Minuten aktivierten von der Decke hängenden Flügel, sowie einer zentral platzierten grazilen Zeichnung von Jorinde Voigt zusammengehalten. Der zweite Saal ist dem Drama in Beethovens Leben gewidmet – seiner Taubheit. Ein stiller Raum, symbolisch abgeschirmt, wie auch der Musiker es war, gibt dem Boden aus seiner Sterbewohnung ebenso Platz wie einer Arbeit Anselm Kiefers. Im nächsten, dritten Saal wird die Taubheit schließlich überwunden, und die radikalen Neuschöpfungen stehen im Fokus. Nicht nur die großartige Videoarbeit „Nummer Acht, everything is going to be alright“ von Guido van der Werve ist hier zu sehen, sondern auch atemberaubende Werke von J. M. W. Turner und eine Auswahl mehrerer Meisterwerke Caspar David Friedrichs.

Eine Symphonie erklingt in diesem dritten Galeriesaal, die im letzten Raum sodann von einer Solostimme abgelöst wird – Tino Sehgals eigens für die Ausstellung konzipierte Performance wird während der gesamten Ausstellungsdauer rund um die Uhr zu sehen sein. Sie zeigt eine tanzende und singende Live-Performerin. Etwa die Hälfte der gezeigten Arbeiten steht in direktem Bezug zu Beethoven, so etwa die Arbeit von Idris Khan, einem hierzulande noch weitreichend unbekannten britischen Künstler. Die zweite Hälfte wurde von den vier Kuratoren in Bezug zu Beethoven gebracht, „aufgrund einer Atmosphäre, einer Stimmung, einer Botschaft, die sie kommunizieren, die perfekt für das Verständnis von Beethoven ist“, so Jasper Sharp, der die Schau gemeinsam mit Andreas Kugler vom Theatermuseum, dem Leiter der Gemäldegalerie Stefan Weppelmann und dem Leiter der Kunstvermittlung Andreas Zimmermann konzipierte.

REBECCA HORN | Concert for Anarchy, 1990, Klavier, Hydraulikzylinder, Kompressor, 150 × 106 × 155 cm | Foto: Attilio Maranzano, Copyright 2019: Rebecca Horn / VG Bild Kunst

Einer der wichtigsten Aspekte war für das Team, Elemente der „kollektiven Erfahrung“ in der Ausstellung zu verweben. „Es war uns wichtig, dass der Besucher nicht über Kopfhörer, sondern auch live etwas erlebt – ein kollektives Erlebnis, wie Beethovens Musik seit jeher. Die ganze Ausstellung hindurch wird Musik gespielt. Aber auch, wenn wir alle dieselbe Musik zur selben Zeit erleben, haben wir doch möglicherweise unterschiedliche Reaktionen darauf “, so Sharp. Ebenso gilt dies wohl für das theatralische, bühnenhafte Ausstellungsdisplay von Tom Postma. „Riskant“, so Jasper Sharp, sind auch die Modi der Ausstellungsvermittlung – bewusst wird auf Bilder oder die Lebensdaten Beethovens verzichtet, die Didaktik zurückgestellt. So begegnet man in den Ausstellungsräumen auch keinem kuratorischen Begleittext an den Wänden, sondern Beethovens Stimme. In Zitaten spricht er zum Betrachter, wodurch die Epochen noch weiter ineinandergreifen und weitere Brückenschläge gelingen. Möglichst niederschwellig Leute zu begeistern, war wohl im Sinne des großen Komponisten, so soll von ihm auch der Ausspruch stammen: „Die Kunst? Was ich ohne sie wäre? Ich weiß es nicht. Doch mir graut – seh ich doch was ohne sie Hundert‘ und Tausende sind!“

Die Kunst? Was ich ohne sie wäre? Ich weiß es nicht. Doch mir graut – seh ich doch was ohne sie Hundert‘ und Tausende sind!

Ludwig van Beethoven

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