Eine der interessantesten Kunstmessen im Jahr

ARTISSIMA 2022

Jeroen Jongeleen, Upstream Galerie Amsterdam, Foto: PARNASS

Einmal mehr erwies sich die Artissima in Turin Anfang November im Oval Lingotto als eine der inspirierendsten und erfreulichsten Kunstmessen im Jahreskalender. In diesem Jahr – unter der der Leitung des neuen Direktors Luigi Fassi – zeigte sie sich qualitativer und fokussierte als in der letzten Ausgabe und bot einmal mehr eine Plattform für Entdeckungen.


Die Messe wird gemanagt durch die Artissima srl, ein Unternehmen, das verbunden ist mit der Fondazione Torino Musei, die Marke selbst gehört der Region Piemont und der Città Metropolitana di Torino und Città di Torino. Unterstützt wird die Artissima durch große Kooperationspartner, wie der Fondazione per l’Arte Moderna e Contemporanea CRT, Fondazione und anderen. Diese spezielle Konstellation, das Engagement von Privatsammlungen und Museen der Region garantieren einen programmatischen Ansatz und kuratorischen Fokus sowie Ankäufe für Museen und Institutionen. Allein für das Castello di Rivoli, das GAM – Galleria Civica d’Arte Moderna e Contemporanea di Torino wurden zehn Werke angekauft. Auch die Wahl der Leitung ist dabei stets ein Kriterium, so hat auch der neue Direktor einen kuratorischen Hintergrund unter anderen war er auch Kurator für bildende Kunst beim steirischen herbst in Graz. Ein ausführliches Interview mit Luigi Fassi lesen Sie in unserer kommenden Winterausgabe.

Artissima 2022 – ein Rundgang

Die Qualität der 29. Ausgabe der Artissima war hoch, die Stände gut platziert und gegenüber 2019, der letzten Ausgabe vor der Pandemie, hat Fassi bewusst die Anzahl der Galerien auf 174 reduziert. Doch war insgesamt das Angebot internationaler Positionen und Galerien groß. Ein Einblick, der auch den Wiener Messen guttäte. Hat bisher schon die Artissima stets mit einem umfangreichen Portfolio interessantere mittelgroßer Galerien gut präsentiert, so setzte Luigi Fassi 2022 nochmals einen Schwerpunkt und möchte auch in Zukunft die Aufmerksamkeit auf junge Galerien legen. Die Artissima hat damit eine gute Nische gefunden, die auch internationales Sammlerpublikum und Kuratoren stets nach Turin fahren lässt. Erfreulich gute Werke waren in den kuratierten Sektionen Disegni und Present Future zu sehen, die jeweils als  Einzelpräsentationen konzipiert sind. Doch auch in der Main Section und vor allem in der interessanten Sektion Monologue/Dialogue wurde zumeist auf gut konzipierte Messestände Wert gelegt, anstelle der oft unnötigen, visuell überbordenden Darbietungen des gesamten Galerieportfolios. Die Preisrange war insgesamt moderat und umfasste auch sehr erschwingliche Arbeiten junger Künstler:innen. Die Messe ist daher sowohl für Kenner als auch für Einsteiger in die Kunstszene interessant.

Present Future

Present Future wurde dieses Jahr kuratiert von Maurin Dietrich (Kunstverein München) und Saim Demircani (Freier Kurator, Turin). Zu erwähnen, die mexikanische in Hannover lebende Künstlerin, Isabel Nuño de Buon (*1985) bei Chris Sharp aus Los Angeles, die in ihren Objekten Zitate aus verschiedenen Kulturen, Medien und Techniken in subtilen, zeichenhaften und skulpturalen Interventionen vereint oder der französische Künstler Alex Ayed (*1989) bei ZERO aus Mailand, der zwischen Frankreich, Belgien und Tunesien lebt und zuletzt auch im Kunstverein Freiburg mit einer Soloausstellung präsent war. Auf der Artissima zeigte er großformatige Materialarbeiten. In dieser Sektion war auch Emanuel Layr aus Wien mit neuen subtilen Gouachen von Matthias Noggler vertreten.

Alex Ayed, ZERO Mailan, Sektion Present Future, Foto: PARNASS

Alex Ayed, ZERO Mailan, Sektion Present Future, Foto: PARNASS

Disegni

Diese Sektion ist der Zeichnung gewidmet und wurde mit  Irinza Zucca Alessandrelli von einer ausgewiesenen Expertin in diesem Medium kuratiert. Hier war das Angebot dicht und von hoher Qualität. Auf der Liste haben sollte man: Vicky Uslé, geboren 1981 in Santander, Spanien, gesehen bei Alexander Levy, Berlin und die iranische, in New York lebende Künstlerin und Schriftstellerin Yasi Alipour, die von Bavan Galerie Teheran präsentiert wird. In ihren taktilen Papierarbeiten erforscht sie mit Hilfe von Faltungen die Mathematik als Sprache, mit all den historischen, sozialen, politischen Verzweigungen, die jede Sprache mit sich bringt. Die Budapester Galerie Ani Molnár präsentierte Werke des jungen ungarischen Künstlers Gyula Sagi. Der in Berlin lebende Künstler setzt mit sich wiederholenden Struktursystemen auseinander, die ebenso an Landschaftliches erinnern wie an wissenschaftliche Aufzeichnungen.

Yasi Alipour, Bavan Galerie, Teheran, Sektion Disegni, Foto: PARNASS

Yasi Alipour, Bavan Galerie, Teheran, Sektion Disegni, Foto: PARNASS

Interessante Notationen, in denen systematischen Muster und Linien einen Dialog mit einem emotionalen Rhythmus eingehen. Lisa Kandlhofer präsentierte Zeichnungen ihres Shooting Stars Alexander Basil und die seit kurzem auch in Wien präsente Galerie Gregor Podnar den rumänischen Künstler Dan Perjovschi, der seine charakteristischen satirischen Zeichnungen auf ein graues Linoleum aufbrachte, das den Boden des Standes bedeckte. Wer kaufte, erhielt einen Ausschnitt davon. Bereits am zweiten Tag wies das Linoleum schon mehrere quadratische Leerstellen auf.

Back to the Future

Wenig überzeugend allerdings war die Sektion Back to the Future, wo man sich mehr Entdeckungen erwartet hätte, Werke von Imi Knoebl oder Wolf Vostell sind ohnedies präsent, anders muss auch nicht zurückgeholt werden. Erfreulich der Stand von Saltoun mit einem Überblick zum Werk von Eleanor Antin.

New Entries

Die Abteilung New Entries umfasste 15 Galerien, darunter auch max goelitz aus München, der aktuell auch in Berlin einen Standort eröffnet. Auf der Artissima stellte die Galerie einen Dialog zwischen aktuellen Arbeiten von Niko Abramidis &NE, Natacha Donzé und Haroon Mirza her. Eine der wenigen Galerien, die Werke aus dem Bereich Neue Medien präsentierten. Und das durchaus mit Erfolg, konnte Max Goelitz doch bereits Kontakte knüpfen und Sammlungen für weitere Ausstellungen seiner Künstler gewinnen. 

Installation view | artissima 2022 | max goelitz, Courtesy of max goelitz, Photo: Sebastiano Luciano

Monoloque/Dialoque

Charim Galerie war bei Monoloque/Dialoque mit der interessanten Kombination von Objekten des Bulgaren heute in Wien lebenden Lazar Lyutakov und Malerei des tschechischen Künstlers Daniel Pitin präsent, der ab 6. Dezember auch in der Wiener Galerie zu sehen ist. Eine der bei Sammlern gefragten Positionen seiner Generation. Auch der ebenfalls in den späten 1970ern geborene Lazar Lyutakov ist kein Unbekannter. Seine Objekte erfassen die Schnittstelle zwischen industrieller Produktion. Im Jahr 2019 vertrat er Bulgarien auf der 58. Biennale von Venedig.

LAZAR LYTAKOV, Way of the Sand, 2022, Bia Hoi glasses, acrylic glass units, metal bolts, 100x75 cm, Courtesy Charim Galerie
 

Highlights Main Section

Wunderbare Tuschezeichnungen von Herbert Brandl aus den 1980er-Jahren, subtile Abstraktionen von Pedro Cabrita Reis, beides Galerie Giorgio Persano Turin. Sandra Vásquez de la Horra bei Sprovieri, London, der Spanier Alex Marco bei Luis Adelantado, der Altmeister Giorgio Griffa aus Turin, bei Lorcan O‘Neill und Turiya Magadlela bei Kalashnikovv Galerie Johannesburg. Die südafrikanische Künstlerin wird mit ihren prägnanten Objektarbeiten aus Textil, demnächst in der Kunsthalle Krems präsent sein. First Floor Gallery aus Harare, Simbabwe präsentierte einen Stand mit vier Positionen aus Simbabwe, darunter interessante Textilarbeiten der Künstlerin Shamillah Aasha, die bereits am ersten Tag alle verkauft waren. Eine Überraschung waren die surrealen Gemälde von Franz Vana bei Galerie Hubert Winter, die in den 1990er-Jahren entstanden sind und erstmals öffentlich präsentiert wurden. Franz Vana und der bei Kisterem, Budapest solo präsentierte ungarische Künstler István Nádler wären gut auch in der Sektion Back to the Future aufgehoben gewesen. Präsentation und Qualität in jedem Fall top. Neben Sarah Pichlkostner stellte die Galerie Hubert Winter auch erstmals Werke des Italieners Alessandro Biggio vor. Ebenso mit jungen Positionen und einem gut kuratierten Stand punkteten Wonnerth Dejaco. Sie zeigten Axel Koschier und Thea Moeller.

Herbert Brandl, Ohne Titel, 1989, Courtesy Giorgio Persano Gallery

Unter den sehr wenigen Video- und Fotoarbeiten, die auf der Artissima 2022 gezeigt wurden, ragten die installativen Inszenierungen des Niederländers Jeroen Jongeleen bei Upstream Galerie Amsterdam hervor und die Turiner Fotokünstlerin Elisa Sighicelli, die von Rossi & Rossi Hongkong präsentiert wurde.

Insgesamt erwies sich die Reise nach Turin dieses Jahr einmal mehr als Must im Messekalender. Auch die Galerien waren durchwegs zufrieden, sowohl was die Verkäufe als auch die neuen Kontakte anbelangt. Gerade dafür kommen viele internationale Galerien nach Turin, denn nicht nur bekannte Künstler von Oscar Murillo bis Liam Gillick sah man durch die Messe schlendern, sondern auch Kuratoren und Direktoren aus privaten wie öffentlichen Institutionen.

Artissima 2022, Photo credit: Perottino - Piva - Peirone / Artissima

Artissima 2022, Photo credit: Perottino - Piva - Peirone / Artissima

Artissima 2022, Photo credit: Perottino - Piva - Peirone / Artissima

Matthias Noggler, Untitled Fantasy (BR), 2022, Courtesy Emanuel Layr

TURIYA MAGADLELA, (Okhandelimnya) Black haired man II, 2022, Courtesy Kalashnikovv Gallery

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