Alfred Kubin. Bewusst ins Unbewusste

Ausstellungsansicht, Alfred Kubin. Phantastische Welten, 2019, WK - Wienerroither & Kohlbacher Fine Arts, Wien | Courtesy WK - Wienerroither & Kohlbacher Fine Arts, Wien

Mit seinen schaurig schönen Fantasiebildern im virtuosen Zeichenstil schuf Alfred Kubin als Grafiker und Literat eine unverwechselbare Bildsprache im Stil des Expressionismus und Surrealismus. Anlässlich des 60. Todestages des Künstlers, präsentieren Wienerroither & Kohlbacher mit ihrer Ausstellung „Alfred Kubin. Phantastische Welten“ (bis 22. März) eine exklusive Auswahl an Zeichnungen und Grafiken.


Düster, dunkel und verstörend wirken Kubins visionäre Phantasmagorien. Sie stehen für eine Welt jenseits unserer imaginären Vorstellungskraft – für „Die andere Seite“. So betitelte Kubin seinen phantastischen Roman,[1] der als Traum beginnt und als Alptraum endet. Kubin drang tief in die eigene Psyche ein, kämpfte mit seinen Dämonen. Seine unheimlichen Bildwelten von existenzieller Bedrohung wurzeln in seiner Jugend: Der frühe Tod der Mutter, die Autorität des Vaters, seine psychische Labilität und die Misserfolge in Schule, Ausbildung und Militär lassen Kubin – angeregt von der Philosophie Schopenhauers und Nietzsches – in eine „innere“ Welt flüchten.


Sturz von Visionen

Während des Kunststudiums in München 1899 lernte Kubin Max Klingers grafischen Zyklus „Paraphrase über den Fund eines Handschuhs“ (1881) kennen, der bei ihm einen „Sturz von Visionen schwarz-weißer Bilder“[2] auslöste. Unter dem Einfluss von Klinger, Goya, de Groux, Ensor, Redon, Rops und Munch findet Kubin um die Jahrhundertwende zur eigenständigen Bildsprache, die motivisch an die Schwarze Romantik[3] anknüpft. 1909 wird er als einziger österreichischer Künstler Mitglied der Neue Künstlervereinigung München, dem Vorläufer des Blauen Reiter. In Kubins symbolistisch aufgeladene Motive mit narrativem Charakter fließen persönliche Erfahrungen ein, menschliche Sehnsüchte und Ängste, Natureinflüsse sowie die Kunst- und Literaturgeschichte ein. Trotz zahlreicher Verbindungen zu Künstlern und Literaten wie Lyonel Feininger, Paul Klee und Hermann Hesse, blieb Kubin stets ein Einzelgänger, sah sich selbst als „Außenseiter“[4] und lebte zurückgezogen auf seinem Landsitz in Zwickledt bis zu seinem Tod 1959.

Ausstellungsansicht, Alfred Kubin. Phantastische Welten, 2019, WK - Wienerroither & Kohlbacher Fine Arts, Wien | Courtesy WK - Wienerroither & Kohlbacher Fine Arts, Wien

Ausstellungsansicht, Alfred Kubin. Phantastische Welten, 2019, WK - Wienerroither & Kohlbacher Fine Arts, Wien | Courtesy WK - Wienerroither & Kohlbacher Fine Arts, Wien


Expression und Narration

Bei W&K kann man nun eine Auswahl an Zeichnungen und Grafiken des eigenwilligen Ausnahmetalents sehen. Die Schau bietet einen Überblick von den künstlerischen Anfängen um 1900 bis in die 1930 Jahre. Insgesamt 33 Arbeiten werden präsentiert. Den Schwerpunkt bildet das Frühwerk bis 1907, das im Spannungsfeld von „Expression und Narration“[5] steht, wie es der Kubin-Experte Peter Assmann im Katalog erläutert. Neben Druckgrafiken aus der Weber-Mappe (1903) und dem Sansara-Zyklus (1911) sind es vorwiegend Zeichnungen in Tusche, Aquarell, Kohle, Bleistift und Gouache. Viele der Kompositionen zeichnen sich durch subtile und expressive Strichführung, feine Schraffuren, Lavierungen und eine spezielle Spritztechnik aus, die seine Tuschezeichnungen wie Radierungen erscheinen lassen.

Wie die Ausstellung beweist, war Kubin weit mehr war als der Meister des Bildschreckens – nämlich ein sensibler und tiefgründiger Künstler mit vielen Facetten.

Stefan Üner

 

Ausstellungsansicht, Alfred Kubin. Phantastische Welten, 2019, WK - Wienerroither & Kohlbacher Fine Arts, Wien | Courtesy WK - Wienerroither & Kohlbacher Fine Arts, Wien

Ausstellungsansicht, Alfred Kubin. Phantastische Welten, 2019, WK - Wienerroither & Kohlbacher Fine Arts, Wien | Courtesy WK - Wienerroither & Kohlbacher Fine Arts, Wien


Psychische Dunkelkammer

Kubins irrationale und verwunschene Bildvisionen geben Rätsel auf, sind Spiegel unserer Angst- und Zwangsvorstellungen. Als Betrachter wird man in seiner Wahrnehmung stets gefordert. Tod und Leben sind zentrale Themen die Kubin zeitlebens beschäftigen, so in Stunde der Geburt (1903) oder Tod und Mauschel (um 1918), das an Goyas Radierungszyklus Los Caprichos erinnert. In Ziegelei (um 1902/03) und Verbauten Haus (um 1905/10) nimmt die Architektur bedrohliche Ausmaße an, wird mit raffinierten Lichtakzenten gespenstisch zum Schauplatz menschlicher Psyche. Kubin erschafft Licht- und Schattenwelten, spielt mit Tag und Nacht auf ganz eigene Weise. In der Prinz von Siam (1903) wird der Raum mit monströsem Monarchen und Schattenwesen zur bedrohlichen Situation.

Andere Arbeiten von Kubin orientieren sich an der Natur, entfalten eine malerische Wirkung wie Gralsritter (1904) oder Buddhist im Walde (um 1907), der Kubins Auseinandersetzung mit Gauguin und dem Buddhismus widerspiegelt. In Kubins Bildwelten finden sich auch verspielte Kompositionen, die sich durch Witz und Ironie auszeichnen wie Orientalische Begräbnisstätte (um 1910) oder Nautilus (um 1940). Wie die Ausstellung beweist, war Kubin weit mehr war als der Meister des Bildschreckens – nämlich ein sensibler und tiefgründiger Künstler mit vielen Facetten.


[1]       Alfred Kubin: Die andere Seite. Ein phantastischer Roman, München 1909.

[2]       Alfred Kubin: Die andere Seite. Ein phantastischer Roman, 2. Aufl., München [u. a.] 1923, S. XXIX.

[3]      Schwarze Romantik. Von Goya bis Max Ernst, hrsg. v. Felix Krämer, Ausst. Kat. Städel-Museum, Frankfurt am Main, 16.9.2012–20.1.2013, Ostfildern 2012.

[4]      „Ich fühle mich als Außenseiter, irgend einer [sic] Art von Spezialist – kaum im Brennpunkt der entsprechenden Interessen wie andere, sondern mehr zufällig ab und zu in die Mode gefallen“. Brief Alfred Kubin an Dr. Egon Hofmann am 23.9.1936, in: Wort in der Zeit. Österreichische Literaturzeitschrift, Jg. 2., H. 4, Graz 1956, S. 194.

[5]       Alfred Kubin, hrsg. v. Eberhard Kohlbacher u. Alois Wienerroither, Ausst. Kat. Shepherd W&K Galleries, Wien 2014, S. 15.

W&K FINE ART – WIENERROITHER & KOHLBACHER

Strauchgasse 2, 1010 Wien
Österreich

Alfred Kubin. Phantastische Welten

Bis 22. März

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