Albertina Modern: Piktorialismus
Der Piktorialismus brachte um 1900 malerische Aspekte in die Fotografie. Der Albertina Modern gelingt es, mit rund 100 Werken der Stilrichtung einen Bogen von den frühen Grundlagen dieser Kunstfotografie bis zu ihrem Einfluss auf das Fotografieren der Zwischenkriegszeit zu spannen.
Fast glaubt man, eine Malerei vor sich zu haben. Weiche Konturen, grobkörnig: Heinrich Kühns Foto einer Landschaft in der Dämmerung ist mehr der atmosphärischen Stimmung denn der Detailtreue verpflichtet. Man erkennt an ihr, wie auch an anderen frühen Arbeiten des Piktorialismus gleich am Anfang der aktuellen Ausstellung in der Albertina Modern, um was es den Fotografen dieses Stils um 1900 besonders ging: Fotografie der bildenden Kunst gleichzustellen. Die Schau setzt sich aus wenigen geliehenen und beinah hundert Bildern aus der Sammlung zusammen – viele zentralen Werke befinden sich im Bestand der Albertina, oft sind es Dauerleihgaben der Grafischen Lehr- und Versuchsanstalt. Fast unglaublich eigentlich, dass das Ausstellungsprojekt nicht eher realisiert wurde. Was mitunter wohl damit zu tun hat, dass die Kunstfotografie um 1900 ein wenig beachtetes Kapitel der Wiener Moderne ist. Mit der Präsentation soll es endlich entdeckt werden können.
Moderner Blick
Das gelingt mit vielen Höhepunkten des Stils aus Österreich und einem Blick auf den zeitlichen und internationalen Kontext. Wobei: Nicht alle Werke sind jetzt das erste Mal zu sehen. 2010 widmete die Albertina Heinrich Kühn bereits eine Personale, zählt er doch zu den bekanntesten heimischen Vertretern. Nun geht man aber in die Breite: Die Ausstellung reicht bis zur Erfindung der Fotografie zurück, setzt bei Stilvorläufern in England an und greift darauffolgende Bestrebungen auf, Prinzipien der bildenden Kunst und modernistische Tendenzen in die Fotografie zu übertragen. An Experimenten mit Edeldrucktechniken wie dem Gummidruck und ersten Farbverfahren, an Porträts wie an Naturaufnahmen oder Stillleben – bei denen der Bildgegenstand aber weniger wichtig scheint als Tonwertstudien – lässt sich verfolgen, wie ein „moderner Blick“ in die Fotografie kam, so die Kuratorin Astrid Mahler.
Ständige Erneuerung
Die Fotoexpertin hat Beispiele für die ständige Erneuerung der Fotografie bis zur Neuen Sachlichkeit der 1930er Jahre chronologisch und thematisch nachvollziehbar aufbereitet. So gelangt man von der Amateurfotografie der 1880er zum Wiener „Trifolium“, dem Trio aus Hugo Henneberg, Heinrich Kühn und Hans Watzek, das sich im Camera-Club traf und bei einer Secessions-Schau 1902 wichtige Anerkennung für diese Fotografie erlangte: Ein erster Höhepunkt. Wie international vernetzt die Piktorialisten waren, erschließt sich durch den dargestellten Austausch mit Amerikanern wie Alfred Stieglitz oder Edward Steichen. Anhand der gewerblichen Studiofotografie wird beleuchtet, wie man mit der neuen Ästhetik das alte Image der Fotografie als unkreativ und statisch über Bord warf. In reformierten Studios etablierten sich bald auch Frauen, wie Werke von Dora Kallmus oder Trude Fleischmann zeigen. Inszenierungen, die Porträtkonventionen auflösen, sieht man etwa von Anton Josef Trčka. Oder von Rudolf Koppitz: Dessen Bewegungsstudie aus 1925/26 ist trotz ihrer Bekanntheit die Betrachtung Wert – sie war nicht nur lang das teuerste Bild eines österreichischen Fotografen, sie ist mit dem Hell-Dunkel, der Unschärfe und dynamischen Komposition eines der Schlüsselwerke: Also wieder „sozusagen eine halbe Malerei“, sagt Astrid Mahler.
ALBERTINA modern
Karlsplatz 5, 1010 Wien
Österreich