Ottilie W. Roederstein | Kunsthaus Zürich
Sie war eine der bedeutendsten Malerinnen ihrer Generation und die wichtigste Schweizer Porträtistin der frühen Moderne: Ottilie W. Roederstein. Die Zeitgenossin, die die Schweiz im Ausland oft als einzige Frau neben Hodler, Amiet und Giacometti vertrat, wird im Kunsthaus Zürich mit einer Retrospektive geehrt.
Bis in die Nachkriegsavantgarde hat man das schöpferische Potenzial von Künstlerinnen marginal behandelt. „Why Have There Been No Great Women Artists“, titelte ebenso provokant wie treffend 1971 die US-amerikanische Kunsthistorikerin Linda Nochlin und thematisierte die Vernachlässigung der Künstlerinnen in der Kunstgeschichte der Moderne. Eine Reihe von Ausstellungen hat in den letzten Jahren versucht, dieses Geschichtsbild zurechtzurücken. Sie zeigten unmissverständlich, dass der Anteil der Künstlerinnen an der Entwicklung der Moderne prägender und einflussreicher war, als uns dies die Kunstgeschichtsschreibung übermittelt hat. Doch ist es symptomatisch, dass das Feld weiblichen Kunstschaffens bis heute noch zahlreiche Entdeckungen birgt, wie aktuell das Werk von Ottilie Wilhelmine Roederstein (1859–1937).
Sie war zu ihren Lebzeiten eine anerkannte Größe im Kulturbetrieb in Deutschland und der Schweiz, eine viel beschäftigte Porträtmalerin und mit Ausstellungen in Paris, London, Frankfurt am Main und Chicago präsent. Als Kunstsammlerin unterstützte sie Vertreter der französischen und Schweizer Moderne. Dennoch geriet ihr Werk nach ihrem Tod in Vergessenheit – ein Schicksal, das sie mit vielen Malerinnen ihrer Generation teilt. Roederstein, die ihre Werke mit dem Kürzel OWR signierte, begann konventionell mit dunkeltoniger Palette und traditionellen Bildsujets, in dem für Künstlerinnen vorgesehenen Terrain. Mit Aktbildern und religiösen Motiven drang sie jedoch in die Männerdomäne vor. Ebenso verließ sie, angeregt durch die Auseinandersetzung mit Werken der italienischen und deutschen Renaissance, um 1893 die Ölmalerei und widmete sich der von der Avantgarde wiederentdeckten Temperatechnik.
Roederstein ging konsequent einen mutigen Weg und öffnete sich modernen Strömungen. Sie nahm sowohl impressionistische wie auch symbolistische Elemente in späteren Werken auf und fand um 1920 zu der ihr eigenen sachlichen Bildsprache. Roederstein pflegte einen unkonventionellen, selbstbewussten und kosmopolitischen Lebensstil. Geboren als Tochter deutscher Eltern in Zürich, lebte sie in Berlin, Paris und Frankfurt. 1909 ließ sie sich gemeinsam mit ihrer Lebensgefährtin, der Gynäkologin Elisabeth H. Winterhalter, die als erste deutsche Chirurgin ebenfalls eine Pionierin war, im ländlichen Hofheim am Taunus nieder. Roederstein und Winterhalter unterstützten sich gegenseitig, stießen in traditionell Männern vorbehaltene Disziplinen vor und machten in ihren jeweiligen Berufen Karriere. 1920 stiftete Roederstein dem Kunsthaus Werke aus ihrer Sammlung moderner französischer und Schweizer Kunst und legte damit den Grundstock für eine Abteilung zeitgenössischer Malerei aus Frankreich. Mehr als 80 Jahre nach ihrem Tod hat man sich nun – spät aber doch – an ihr Werk erinnert und zeigt erstmals eine monografische Werkschau der Künstlerin in der Schweiz. – Ein weiterer wertvoller Beitrag zu einer differenzierten Kunstgeschichtsschreibung: Denn es gab sie, die großen Künstlerinnen der Moderne.
Kunsthaus Zürich
Heimplatz 1, 8001 Zürich
Schweiz