30 Jahre ZKM Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe
2019 feiert das ZKM Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe sein 30-jähriges Jubiläum. Das ZKM wurde 1989 mit der Mission gegründet, die klassischen Künste ins digitale Zeitalter fortzuschreiben. Seit 1997 ist das ZKM in den großzügigen Räumen einer umgebauten Munitionsfabrik untergebracht und wird seit 1999 von Peter Weibel geleitet. Ihm gelang es, das ZKM zu einer weltbekannten Institution im Bereich Medienkunst zu etablieren. In den Ausstellungen wird Zukünftiges vorweggenommen und Kunstgeschichte von einem anderen Blickwinkel aus gesehen, stets mit dem Ziel, Wissen zu generieren, aber auch zu teilen. PARNASS traf Peter Weibel zum Gespräch in Karlsruhe.
PARNASS: Das ZKM erreicht laut Kunstdatenbank ArtFacts.net Platz 4 als eine der zehn einflussreichsten Institutionen – und das abseits der großen Kunstmetropolen.
Peter Weibel: Die Reihung innerhalb eines Rankings hat auch stets mit der Methode zu tun, wie diese entstehen, nämlich mit Hilfe von Algorithmen. Würde das Ranking nur nach Besucherzahlen gehen, wären wir nicht so weit vorne gereiht, auch wenn für eine Stadt in der Größe von Karlsruhe die Besucherzahlen von 2018 mit 216.000 Besuchern respektabel sind. Uns kommt zugute, dass wir unsere Kataloge ausschließlich auf Englisch publizieren. Durch den wissenschaftlichen Anspruch, den ich an diese Bücher habe, ist es uns gelungen, in den wichtigsten amerikanischen Universitätsverlagen zu publizieren – wie The MIT Press, University of Minnesota Press und Columbia University Press. Viele dieser Bücher sind auch in den Leselisten der Universitäten und werden daher weltweit in wissenschaftlichen Arbeiten erwähnt. Der zweite Grund ist inhaltlicher Natur. Wir haben im ZKM viele Themen von Artificial Intelligence bis hin zu Globalisierung und Überwachung vorweggenommen und in Ausstellungen aufbereitet. Würden wir diese Themen heute machen, wären wir ein Museum von vielen, das sich damit beschäftigt. Vor zehn, fünfzehn Jahren jedoch war es Pionierarbeit, da sich niemand vorstellen konnte, wie rasant die Technik sich entwickelt – und das hat historische Wirkung. Die Ausstellungen und die Publikationen werden in Fachvorträgen, Symposien etc. zitiert.
P: Bewusst bezeichnen Sie auch die Institution nicht als Museum, sondern als Zentrum für Kunst und Medien.
PW: Wir sind ein Museum, weil wir das machen, was Museen machen: Wir sammeln und machen Ausstellungen. Die Sammlung umfasst Schätze der Video- und Medienkunst, aber auch Arbeiten bildender Kunst von Baselitz bis Nam June Paik. Aber wir sind Zentrum, weil wir auch selbst Forschung machen und Arbeiten produzieren. Wir forcieren aktuelle Diskurse, arbeiten mit eigenen Kuratoren sowie Gastkuratoren und Künstlern zusammen sowie mit Wissenschaftlern und Universitäten, um zu forschen und zu produzieren oder Projekte zu entwickeln. Seit 2017 sind unsere Institute unter dem Begriff „Hertz-Labor“ zusammengefasst, nach dem Entdecker der Funktechnologie Heinrich Hertz, der aus Karlsruhe stammt.
P: Ebenso ist es Ihnen wichtig, das Museum auch als Zentrum für Besucher zu etablieren.
PW: Es muss in einem Museum die Möglichkeit für Diskurse geben und Möglichkeiten der Information. Daher machen wir ein umfassendes Rahmenprogramm, Workshops, Symposien, Lesungen, Führungen etc. Aber das Museum ist heute nicht mehr nur eine Sammlung von Objekten, sondern auch eine Versammlung von Menschen. Es ist wichtig, mit den Besuchern in einen Dialog zu kommen. Das gelingt natürlich mit digitalen Medien besser als in einem klassischen Museum. Es geht auch darum, das Museum als Ort zu etablieren, an dem man sich informieren kann, wo aktuelle Themen aufgegriffen und diskutiert werden, wo man sich mit anderen treffen kann. Daher gibt es bei uns, neben dem derzeit noch freien Eintritt, gratis Kaffee, Wasser, Obst, WLAN, bequeme Möbel von Vitra und eine Freihandbibliothek. Es heißt: Man muss die Leute dort abholen, wo sie sind. Was bedeutet, dass man das Niveau herabsetzen soll. Ich lehne das ab. Meine These ist vielmehr: Ich bleibe auf meinem Niveau, aber tue alles dafür, dass die Leute dort hinkommen. Sie erhalten bei uns Informationen, die sie woanders oder aus dem Fernsehen nicht bekommen. Zugleich stehen in der Ausstellung auch ein Tischtennistisch und ein Tischfußball. Es geht nicht darum, dass der Besucher alles genau studiert, doch mein Ziel ist, dass man nach dem Besuch im ZKM weiß, dass es Gravitationswellen oder Quantencomputer gibt. Oft kommen auch Schulklassen mit ihrem Professor und verlegen die Unterrichtsstunde in das ZKM. Das ist alles möglich, wenn man dafür an der Schnittstelle zwischen Kunst und Wissenschaft Raum und Aufenthaltsqualität schafft – und das wird vom Publikum honoriert.
P: Sie sehen die Entwicklung der digitalen Technologie nicht negativ, betonen aber den dabei wichtigen Blickwinkel der Kunst.
PW: Die Künstler können mit den technischen Möglichkeiten etwas erzeugen, das vorher nicht für möglich gehalten wurde. Damit erkennt auch der Betrachter, dass er vor der Digitalisierung nicht Angst haben muss, und in einem zweiten Schritt sieht er auch Möglichkeiten für sich selbst. Aber die negative Stimmung gegenüber der AI ist weit verbreitet. Ich spreche auch lieber von Expertensystemen als von AI. Diese schränken unsere Handlungsfähigkeit nicht ein, sondern können sie erweitern. Ein Beispiel dafür ist das Navigationssystem in einem Auto. Wenn Sie im Stau stehen, können Sie zu Gott beten oder Ihr Navi fragen, wie und wann es weitergeht. Im Gegensatz zu Gott wird es eine Lösung anbieten und mit Ihnen sprechen. Es weiß in diesem Fall mehr als wir und kann uns unterstützen, eine Entscheidung zu treffen.
P: Das ZKM besitzt eine umfangreiche digitale Sammlung. Wie erhält man diese für die Zukunft, wenn sich Hard- und Software innerhalb kurzer Zeit rasant verändern?
PW: Das ist eine Herausforderung. Aber wir haben hier eine Kompetenz aufgebaut, da wir oft die Einzigen sind, die Kunstwerke noch im Originalformat abspielen können, weil wir die passenden Geräte dazu haben. Diese Kompetenz macht uns auch zu einem wichtigen Kooperationspartner für Museen und Institutionen. Aber auch in unserer eigenen Sammlung zählt das Konservieren und Übersetzen der digitalen Kunstwerke in neue Formate zu einer der wichtigsten Aufgaben.
P: Auch kunsthistorische Inhalte wie aktuell in der Ausstellung „Negativer Raum“ werden vom ZKM stets aus einem anderen Blickwinkel aufbereitet.
PW: Genau, das ist die Technik des ZKM. Wenn ich schon etwas mache, von dem die Leute glauben, dass sie es kennen, dann mache ich wieder etwas anderes daraus. Dabei gehe ich immer von den künstlerischen Zeitzeugnissen aus. In diesem Fall stehen Aussagen oder Texte der Künstler im Mittelpunkt, in denen eine Absage an den skulpturalen Körper formuliert und die Leere gleichwertig zum Volumen gesehen wurde. Ich folge, oft anders als etwa Kunsthistoriker, den Manifesten der Künstler, das hat natürlich auch damit zu tun, dass ich selbst Künstler bin und die Kunst stets von innen heraus sehe. So würde ich auch gerne eine Ausstellung zum Impressionismus machen mit dem Titel „Impressionismus und Industrie“, Kern der Ausstellung wäre es, darzustellen, dass die Landschaften oder auch die idyllischen Szenen der Bootsfahrer, die von den Malern des Impressionismus gemalt wurden, so schon damals nicht mehr existiert haben. Aber die Sammler dieser Bilder, die ja an der Industrialisierung der Landschaft verdient haben, wollten natürlich die idyllische Landschaft zu Hause sehen.
P: Ihr Pensum an Publikationen, Vorträgen, Lehre etc. ist enorm. Wie schafft man das?
PW: Ich bin ein neugieriger Mensch. Ich lese fast alles von Fachpublikationen bis hin zu italienischen Frauenzeitschriften. Neugier bedeutet auch, dass man etwas wissen möchte. An Gott hätte ich drei Wünsche: Lass mich schneller lesen, schneller sprechen und schneller schreiben. Unsere Zeit ist leider sehr kurz. Die Kulturtechnik ermöglicht uns diesen begrenzten time slot zu verlängern und zu erweitern.
ZKM | Zentrum für Kunst und Medien
Lorenzstraße 19, 76135 Karlsruhe
Deutschland