Nachgefragt

10 Minuten mit dem Direktor des Leopold Museum

Mehr als fünf Jahrzehnte lang haben Rudolf und Elisabeth Leopold eine Sammlung mit singulären Schlüsselwerken des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zusammengetragen. Weltweit ist das Leopold Museum heute für seine außergewöhnlichen Schiele- und Klimt-Bestände bekannt. Seit sieben Jahren steht Hans-Peter Wipplinger als Direktor an der Spitze des Hauses und ist stets auf der Suche nach neuen Ausstellungskonzepten, einer Erweiterung der Forschung und der Akquisition von Sammlungsbeständen.


PARNASS: 2021 feierte das Leopold-Museum sein 20-jähriges Bestehen. Mehr als 120 Ausstellungen wurden seit der Eröffnung des Hauses organisiert, Schiele und Co von über sieben Millionen Besucher:innen bestaunt. Klingt nach einer Erfolgsgeschichte!?

Hans-Peter Wipplinger (HPW): Ja, absolut! Wir sind zwar eine der jüngeren Institutionen in der österreichischen Museumslandschaft, aber das Haus konnte sich in diesen 20 Jahren bereits international äußerst erfolgreich etablieren. Die Sammlung Leopold ist zu einem wesentlichen Teil der kulturellen Identität Österreichs geworden. Nirgendwo sonst kann man die Wiener Moderne in dieser Stringenz derartig gut erfassen.

2001 zog die Sammlung in den weißen Kubus von Ortner & Ortner ein. 5.500 Werke zählte damals der Sammlungsbestand, heute steht er bei rund 8.300.

Andreas Maurer

P: Das liegt vor allem auch daran, dass Rudolf Leopold unterschiedliche Medien gesammelt hat, von Gemälden über Grafiken bis hin zu Skulpturen, Keramiken, Autografen, historischen Fotografien oder Möbeln. Neben der weltweit größten Egon Schiele-Sammlung zählen auch Werkkomplexe von Gustav Klimt, Richard Gerstl, Oskar Kokoschka, Alfred Kubin, Ferdinand Georg Waldmüller oder Anton Romako zu den Höhepunkten des Hauses. Darüber hinaus wirken die Präsentationen des Hauses stets am Puls der Zeit.

HPW: Dahinter steckt die Überzeugung bei der Programmierung keine ausgetretenen Pfade zu beschreiten, sondern neue, die Sammlung kontexualisierende Ausstellungskonzepte zu initiieren und mit einem jungen, engagierten Team umzusetzen. Epochenüberschreitende Dialoge und die Implementierung anderer Wissensgebiete wie Philosophie, Psychologie, Musik, Literatur oder Architektur sind dabei sehr fruchtbringend.

P: Auffällig ist auch die Kontextualisierung und das In-Dialog-Setzen der Sammlung mit Zeitgenoss:innen der Gegenwart. 2012 rief die Schau „nackte männer sogar einen mittleren Skandal hervor, 2018 stellte man erstmals Teile der Heidi Horten Collection öffentlich aus. Auch in diesem Sommer gibt das Haus dem Impulstanz Festival eine Bühne. Ist das Museum auf der Suche nach einer neuen Identität?

HPW: Natürlich sind die großen Schiele-, Klimt- und Kokoschka-Präsentationen die Säulen, welche die Sammlung und die Identität unseres Hauses ausmachen. Nur ist Identität etwas permanent Transformierbares. Wir müssen uns ständig neu erfinden, dürfen nicht versteinern. Neben dem Sammlungskörper und der Ausstellungskonzeption betrifft das auch neueste Vermittlungs- und Marketingstrategien. Unsere preisgekrönte Kampagne „Was wirst du fühlen?“ zum 20-jährigen Jubiläum gibt dem Haus etwa ein anderes, zeitgemäßes Image.

Hans-Peter Wipplinger © Leopold Museum, Wien 2021 | Foto: Ouriel Morgensztern

P: Bei dieser Kampagne ruft das Leopold Museum seine Besucher:innen auf, dem Haus jene Empfindungen mitzuteilen, welche bei der Betrachtung der Originalkunstwerke ausgelöst werden. „Alle Farben fließen in meinen Körper, bis meine Eingeweide erstrahlen“, berichtet etwa Elisabeth M. über ihre Gefühle vor Egon Schieles „Sitzendem Männerakt (Selbstdarstellung)“ von 1910. Was fühlt aber der Direktor, wenn er durch die Ausstellungsräume streift?

HPW: Ich bin bei der Kunstrezeption wahrscheinlich beruflich zu vorbelastet, sodass ich das Gefühl eher hintanstelle und der analytische Blick wie die Kontextualisierung der Werke im Vordergrund stehen. Meistens sind es dann aber jene Kunstwerke, welche rätselhaft bleiben und mich dadurch am meisten berühren – wie etwa Schieles expressionistische Bilder zwischen 1910 und 1912, die zittrig nervösen Porträts, die Oskar Kokoschka 1909-1913 geschaffen hat oder die ausdrucksstarken Arbeiten von Ferdinand Hodler, Paula Modersohn-Becker oder Gabriele Münter.

Egon Schiele, Selbstbildnis mit Lampionfrüchten, 1912 © Leopold Museum, Wien, Inv. 454

P: 1994 wurde ein großer Teil der Privatsammlung von Rudolf Leopold, mit Unterstützung der Republik Österreich und der Österreichischen Nationalbank in die Leopold Museum-Privatstiftung eingebracht. 2001 zog die Sammlung dann in den dafür errichteten weißen Kubus von Ortner & Ortner ein. 5.500 Werke zählte damals der Sammlungsbestand, heute steht er bei rund 8.300.

HPW: In den letzten Jahren konnten wir glücklicherweise durch viele Schenkungen, neue Ankäufe oder Dauerleihgaben Lücken, die in jeder Sammlung existieren, schließen. Ein Beispiel ist das Gemälde „Altar des Dionysos“, ein frühes Meisterwerk von Gustav Klimt – eine kunsthistorisch bedeutende Schenkung einer Wiener Familie, die direkt aus einer Auktion zu uns kam. Weiters ist es uns gelungen das Porträt „Bildnis Waldemar Unger II“, ein Frühwerk von Richard Gerstl zu erwerben sowie Oskar Kokoschkas „Mädchenakt“ von 1905/06, übrigens die Nr. 1 im Werkverzeichnis des Künstlers. Solche Ankäufe, Schenkungen und Leihgaben sind eine Bereicherung für die Sammlung wie auch für unsere Besucher und nicht zuletzt für das kulturelle Erbe des Landes. Großzügigen Donatoren kommt dabei das größte Verdienst zu!

P: „Der Wipplinger“ führe heute das Museum „gut und geschickt“, meinte Elisabeth Leopold, die 96-jährige Witwe des Sammlers und Stifters Rudolf Leopold einmal. Was sind ihre Schritte für die nächsten Jahre?

HPW: Was wir jetzt in den letzten Jahren sehr erfolgreich gemacht haben, ist den Bereich der Forschung auszubauen, hier werden wir unser Engagement fortsetzen. Dazu haben wir die Sammlung historischer Dokumente vertieft und viele wichtige Erstausgaben bzw. Publikationen erworben. Unsere Sammlung an „Ver Sacrum“-Ausgaben der Wiener Secession wie auch die Kataloge des Hagenbundes ist nun nahezu vollständig. Darüber hinaus sammeln wir Publikationen des Künstlerhauses sowie Autografen und Fotografien, die in unser Konzept passen. Mit geht es vor allem darum für die nächsten Forscher:innengenerationen und die Weiterentwicklung der Forschung eine Basis zu schaffen.

Elisabeth und Rudolf Leopold © Leopold Museum

P: Apropos „Basis“: Seit 2019 wird das Herz der Sammlung, „Wien 1900 Aufbruch in die Moderne“ völlig neu präsentiert, ergänzt durch hochkarätige Dauerleihgaben, Ankäufe und Schenkungen. Was können wir heute in Zeiten von Krieg und Pandemie von dieser Epoche lernen?

HPW: Nach wie vor arbeiten sich Künstler:innen, etwa an den streng geometrischen oder ornamentalen Formen z.B. eines Josef Hoffmann ab. Dieser Minimalismus oder die florale Üppigkeit wird auch heute noch zelebriert und stetig neu interpretiert. Was wir als Gesellschaft aber von „Wien um 1900“ lernen können ist sicherlich ein friedliches Zusammenleben von unterschiedlichen Volksgruppen und Menschen mit verschiedenen kulturellen Wurzeln und Traditionen. Manche sehen in „Wien um 1900“ gerne den Niedergang beziehungsweise das Ende der Monarchie. Ich bin ein Verfechter der Idee, darin den Aufbruch in die Moderne zu sehen.

Leopold Museum mit MQ Libelle auf dem Dach des Leopold Museum © Leopold Museum, Wien, Foto: Ouriel Morgensztern

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