Jung, poppig, unangepasst

ART-O-RAMA, Marseille

Doris Ghetta, Foto: Margot Montigny

Die Art-o-rama unterscheidet sich deutlich von gängigen, internationalen Kunstmessen: In einem ehemaligen Industriegelände, in dem nun unterschiedlichste Kulturinitiativen eine Bleibe gefunden haben, präsentiert sie sich sehr jung, poppig und unangepasst.


Mit dem Attribut »jung« wird schnell eine Kunstmesse tituliert. Fast alle Satellitenmessen, von der Liste in Basel über die MAD in Madrid bis zur Parallel in Wien, hängen sich gerne dieses Mäntelchen der Avantgarde und des Unangepassten um. Verspricht doch diese Kategorisierung bei soignierten Sammlerinnen und Sammlern die Abenteuerlust und den Entdeckergeist zu wecken. Selbst wenn bedacht wird, dass einige der vermeintlichen Jungspunde fast das dritte (Über-)Lebensjahrzehnt erreicht haben. Ergo in einem Alter sind, in dem Galeristinnen und Galeristen potenziellen Sammlern gleichen Alters bei ihren ersten Ankäufen tatkräftig zur Seite stehen. Außerdem ist rund um den Globus zu beobachten, dass Entdeckermessen zum Mainstream neigen: Irgendwie verständlich, die Preise steigen und der weltweite Wettkampf wird immer härter.

Zeitgenössische Kunst und aktuelles Design

Hier kommt die Art-o-rama in der französischen Hafenstadt ins Spiel: Hinter dem etwas sperrigen Namen steht ein Format, dass sich, seit einem massiven Relaunch vor ein paar Jahren, sowohl mit zeitgenössischer Kunst auf dem so schön umschriebenen »cutting edge«-Niveau auseinandersetzt als auch aktuellem Design eine Plattform bietet. Den Zugang zur Art-o-rama müssen sich Erstbesucher erarbeiten, denn das Kulturareal »Friche la Belle de Mai«, eine ehemalige Tabakfabrik, ist relativ weitläufig. Die fetzige, nicht leicht zu entziffernde Grafik der Messe auf den Hinweisschildern tut ihr Übriges. Aber das gehört wohl zur widerspenstigen Attitüde.

In medias res: Die diesjährige Art-o-rama präsentiert 59 internationale Aussteller – 40 Kunst- und 19 Designgalerien. Es ist bemerkenswert, dass Aussteller aus Mexiko über Georgien, bis Korea ihren Weg nach Marseille gefunden haben, aber kein Aussteller aus Deutschland verzeichnet ist – wohingegen drei aus Wien (City Galerie gemeinsam mit Shore, Tappeiner und Wonnerth Dejaco) und eine aus Zürich (lange + pult) angereist sind. In der vormaligen Tabakfabrik überwiegen Einzelpräsentationen, maximal zwei Positionen. Es fällt sehr positiv auf, dass die Preisgestaltung moderat gehalten wurde. Das Gros der Werke bewegt sich zwischen 1500 und 11.000 Euro.

 

 

Oroma Elewa, in situ – fabienne le clerc, Foto: PARNASS

Oroma Elewa, in situ – fabienne le clerc, Foto: PARNASS

Einen Ausreißer aus dem Preisniveau finden Sammler am Stand von Wonnerth Dejaco: Die ungemein beeindruckende Filmskulptur von Philipp Fleischmann wird um 20.000 Euro angeboten, Videostills des Künstlers liegen bei 2400 Euro. »Wir sehen die Art-o-rama als ideale Plattform für die Vermittlung von ‚emerging artists‘ an Biennalen, Museen und Institutionen«, erläutert Victoria Dejaco im Gespräch mit PARNASS ihre Entscheidung nach Marseille zu kommen. »Es verwundert, wie viele Kuratoren und Direktoren wesentlicher Institutionen gerade hier vorbeikommen – ein unglaublicher Unterschied zu anderen Events dieser Art!« Neben Fleischmanns Skulptur ist es ein ergreifendes Video von Belinda Kazeem-Kaminski, das für Interesse sorgt (16.000 Euro

Ab wann geht einer, einem Paris auf die Nerven?

Die ukrainische Künstlerin Masha Silchenko (Galerie Import-Export aus Warschau) war überaus erfreut als sie vor etwas mehr als zwei Jahren ein Stipendium in der französischen Hauptstadt bekam. Derzeit nervt sie die Stadt immens. Sie kann jedoch wegen des Krieges nicht zurück in ihre Heimat. In einer wunderbaren, einzigartigen Serie aus bemalten Keramiken arbeitet sie sich ihren Frust ab. Bis hin zu den intensiven, womöglich tränenden Augen ihres (Ex-)Freundes (ab 2000 Euro).

Bei Tappeiner überzeugen die verschachtelt-vielschichtigen, zeichnerischen Großformate von Anna Schachinger (10.700 Euro); Doris Ghetta aus Ortisei (Südtirol) rückt die pastose, kräftige Malerei von Johannes Bosisio (*1994) in den Fokus (von 1500 bis 10.600 Euro). Bei in situ – fabienne le clerc aus Paris sind es die provokanten wie ironischen Fotografien mit Texten von Oroma Elewa, die für Aufsehen sorgen. Ihre starke Arbeit »Tom relax. If it was dick I wanted I wouldn’t be dating you« ringt Besucherinnen und Besuchern einerseits ein Lächeln ab, andererseits regt diese Wortbildkombination zum Nachdenken an (7000 Euro).

Masha Silchenko, Galerie Import Export, Foto: PARNASS

Masha Silchenko, Galerie Import Export, Foto: PARNASS

Art-o-rama Kunstmesse, Marseille

bis 3. September 2023

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