8. August 1703 – 30. Juni 2023

WIENER ZEITUNG

Was uns tief betroffen macht!

Die Wiener Zeitung wurde 1703 als „Wiennerisches Diarum“ gegründet mit dem Zielt über „alles Denkwürdige“ innerhalb Wiens und darüber hinaus zu berichten. Sie ist die älteste noch erscheinende Tageszeitung der Welt. Heute Freitag erscheint die letzte Ausgabe. Dass gerade eine Kulturnation nicht stolz darauf ist, dieses Kulturerbe zu pflegen, lässt einem sprachlos zurück und zeigt den Stellenwert, der diesem beigemessen wird. Dass die Einstellung der Wiener Zeitung unter der Regierungsbeteiligung der Grünen passiert, noch viel mehr. Trotz Apell der Oppositionsparteien auf Umwandlung der ältesten Tageszeitung der Welt in ein Digitalmedium zu verzichten, hielten ÖVP und die Grünen dies für den beste Lösung. Die Rede der Historikerin Eva Blimlinger, die den Neuanfang der Wiener Zeitung mit jenen nach dem Ende des Nationalsozialistischen Regimes verglich, muss nicht näher kommentiert werden – auch wenn sie sich am nächsten Tag dafür entschuldigte, war dies nicht mehr gut zu machen. Das Ende der Wiener Zeitung ist unrühmlich bis ins letzte Detail – Mitarbeiter:innen werden nach jahrzehntelanger Mitarbeit lapidar per Email gekündigt. Wertschätzung für Engagement, Firmentreue und persönlichen Einsatz sehen anders aus. Die Kündigungen traf vor allem auch Mitarbeiter:innen aus dem Feuilleton und dem Kulturresort – Texte zum Thema Theater, Musik und bildende Kunst sind offensichtlich in Zukunft nicht mehr gefragt. Dabei war die Wiener Zeitung die einzige Tageszeitung, die regelmäßig auch über Galerien geschrieben hat. Gibt es dazu eine Statement des Kulturministers? Ja wir haben einen, auch wenn es Andrea Mayer ist, die dieses Resort der Bundesregierung klar und kompetent nach außen vertritt.

Bei der Debatte im Bundesrat, über die die Wiener Zeitung am 11. Mai berichtete, erinnerten Politiker:innen an denkwürdige Artikel, so unter anderem Andreas Babler (SPÖ) an die damals revolutionäre Veröffentlichung der Erklärung der Menschenrechte im Jahr 1789, sein Parteikollege Daniel Schmid an den Bericht über das Attentat auf Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajevo 1914. Man kann dem noch vieles hinzufügen, etwa die Artikel zur Wiener Weltausstellung 1873 deren Jubiläum wir heuer begehen. Naturgemäß begleitet eine Tageszeitung lokale Ereignisse ebenso wie das internationale Weltgeschehen – und das bis in die jüngste Vergangenheit.

Bereits im Gesetzesentwurf, der im Herbst des Vorjahres zur Begutachtung geschickt wurde, war die Einstellung der Tageszeitung herauszulesen, wie sie in der Folge ja dann auch vom Nationalrat beschlossen wurde. Die Finanzierung der Tageszeitung kippte, da die Pflichtveröffentlichungen im Amtsblatt eingestellt. Sicher war diese Veröffentlichungspflicht eine unliebsame Belastung für die Wirtschaft, aber sie sichert bislang die Einnahmen und den redaktionellen Betrieb der Wiener Zeitung. Sie war dadurch unabhängig von Regierungsinseraten und Werbekunden. Doch dieses Modell jahrzehntelang nicht anzupassen und anstelle einer privatwirtschaftlichen Anzeigenstrategie die gesamte Finanzierung auf diese Veröffentlichungspflicht aufzubauen, war ein Versäumnis des Eigentümers der Wiener Zeitung – der Republik Österreich. Was wurde hier veröffentlicht: Gesetze, ausgeschriebene Stellen ebenso wie Bestellungen neuer wirtschaftlicher Geschäftsführer, Insolvenzen, Jahresbilanzen bis hin zu jeglicher bundesgesetzlich angeordneten Verlautbarungen mussten bis 30.6.2023 im Amtsblatt der „Wiener Zeitung" abgedruckt und anschließen online zur Verfügung gestellt werden. Dies wird nun durch das neue WZEVI-Gesetz ab 1.7.2023 auf einer neuen elektronischen Verlautbarungs- und Informationsplattform (EVI) stattfinden. Nach dem Wegfall dieser Einnahmen war nun das Argument, dass die heutige „Wiener Zeitung nicht genug Leser habe, um eine Finanzierung mit Steuergeld nach dem Wegfall der Pflichtveröffentlichungen zu rechtfertigen“. Man wolle daher nicht an dem reinen Printprodukt festhalten. Dabei wurde aber ignoriert, dass die Wiener Zeitung seit 1995 auch online erscheint, und laut Eigendarstellung durchaus eine große und auch junge Leserschaft erreicht. „Uns folgen mehr als 60.000 Personen auf Twitter und fast 50.000 auf Facebook. Wir erreichen bereits jetzt auch jüngere Leser online. Und selbst im Printbereich gibt es am Wochenende mit mehr als 40.000 aufgelegten Exemplaren viel Interesse." (Die Wiener Zeitung und die Fakten. 04.04.2023, 12:12 Uhr | Update: 06.04.2023, 11:22 Uhr)

Der Wiener Zeitung heute vorzuwerfen, sie wäre kommerziell nicht erfolgreich, ist blanke Ironie. Während andere Zeitungen mit Werbe- und Abokampagnen ihre Produkte in die Zukunft entwickeln, Preise an die erhöhten Druckkosten anpassen konnten, war dies für die Wiener Zeitung nicht möglich.

Während in Österreich die Tageszeitungen – vor allem die Boulevardblätter üppig mit Presseförderung und Regierungsinseraten finanziert werden – lässt man die Wiener Zeitung als Printprodukt im Regen stehen. Welche Inhalte im neuen Online-Produkt, das ab 1. Juli an die Stelle der geschichtsträchtigen Wiener Zeitung treten soll, gebracht werden, ist derzeit wohl nur den wenigen verbliebenen Mitarbeiter:innen bekannt und mit Sicherheit gibt es auch ein tolles Entwicklungsteam. Was man so hört, wird es keine tagesaktuelle Berichterstattung geben. Dabei fließt ja durchaus viel Geld – vom Aufbau eines „Media Innovation Lab“ bis hin zum neu aufgebauten „Online-Amtsblatt" EVI. (sic!)

Gemessen an den zig-Millionen Euros, die von der Regierung für die Bekanntmachung ihrer Leistungen via Inseraten ausgegeben wird, wäre die Wiener Zeitung wohl zu einem minimalen Anteil aus diesem Budget zu retten gewesen. Denn Print ist auch in der Digitalen Moderne nicht obsolet und schon gar nicht im Kunst-,Kultur-und Feuilletonbereich. Wir hätten uns ein klares Bekenntnis der Verantwortlichen für die Weiterführung der ältesten Tageszeitung der Welt gewünscht – ja durchaus auch eine Diskussion, was eine Tageszeitung heute für eine Relevanz hat, ob Formate zu überdenken sind, etc. Aber all das mit einer klaren Haltung der Regierung gegenüber der Relevanz von Printmedien. Denn es gilt auch diese – gemeinsam mit den Möglichkeiten der Online-Medien – in die Zukunft fortzuschreiben.

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