Zerbrechlicher Überflug: die 16. Lyon Biennale 2022 erkundet die Macht des Prekären

Was erwartet uns in Lyon?

2022 steht eine vielversprechende Biennale in Lyon an. Mit dabei sind auch einige Positionen aus Österreich. Unser Frankreichkorrespondent wagt einen Ausblick.


Der in Paris lebende Grazer Philipp Timischl exponiert mit raumgreifenden Multimedia-Installationen das Intime ebenso wie jene Schichten, die repräsentierbar machen, wofür man gehalten werden möchte. Vergleichbar den großen Zeichnungs-Ensembles eines Marc Bauer, jedoch mit deutlich stärkerer Post-Internet-Note, ist Timischl neben Markus Schinwald und Philipp Fleischmann einer von drei österreichischen Teilnehmern an der am 14. September eröffnenden Lyon Biennale.

Der 1989 geborene Künstler wurde wegen seiner „queeren Sensibilität“ eingeladen, so der Pressetext. Bei Schinwald sah man besonders „die Problematik des Körpers“ als interessanten Zug einer Kunstarbeit, die „das subjektive des Werks in den Vordergrund stellt.“ Und den 1985 geborenen, in Wien lebenden Fleischmann hat man wegen der Qualität seiner filmischen Arbeiten geholt, die „Relationen, Kontexte und Diskurse der Kunst-Institutionen aufscheinen lassen“. Wie so oft, läuft auch bei dieser Biennale ein kuratorisches Leitthema Gefahr, künstlerische Positionen themengerecht zu verzerren. Mit einem „Manifest der Fragilität wollen die viel beschäftigten Berliner Sam Bardaouil und Till Fellrath, seit Januar auch Leiter des Hamburger Bahnhofs, zudem Kuratoren des von Zineb Sedira gestalteten französischen Venedig-Pavillons, an derzeit drängende Kunst-Themen anschließen. Dabei setzen sie sich als mächtiger „Curator-Man“ kaum selbst aufs Spiel. Die Kunst-Welt ihres „manifesto of fragility“ hantiert im Überflug – also „meta – mit Begriffen wie „Widerstand, „transhistorisch“ oder „Verletzlichkeit, liest sich wie Orwellsche Prosa: Schwäche ist Stärke, Armut Reichtum, Abhängigkeit Freiheit.

Philipp Fleischmann, TWO FILM SCULPTURES, Foto: Peter Mochi, Courtesy Wonnerth Dejaco

Darauf befragt, wie sie diesmal mit der sozialen Zerstörungsgeschichte der Fagor-Fabrik umgehen, erwidert Till Fellrath, im weiteren Nebenjob Dozent an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg: „Dank der Raumgestaltung von Olivier Goethals wird man körperlich empfinden, wo man sich befindet, welche Bruchlinien den Ort durchlaufen.“ Natürlich ist es richtig und wichtig, das vom Engagement für Ungehörte und Marginalisierte, für Dekonstruktion und Neulektüren breit zerpflügte Kunstfeld weiter zu bestellen. Doch was macht es mit Ungesehenen, wenn man sie plötzlich ins grelle Licht der Kunstwelt zerrt? Diese Frage wird in Lyon nicht gestellt. Vielmehr gehe es mit Beiträgen wie dem libanesischen Pop-Star Remie Akl um „empowerment. Um eine solche Umwertung künstlerisch zu leisten, entstehen derzeit „kooperativ“ im „Biennale-Hub“ rund 50 Neuproduktionen, versammeln auf einer horizontalen Achse über 80 internationale Kunstwirkende. Darunter Fotografien des Amerikaners Buck Ellison, welche die „frivolen materiellen Zeichen elitärer weißer Gesellschaften“ offenlegen. Als künstlerische Ratgeber begleitet das libanesische Duo Khalil Joreige und Joana Hadjithomas den Biennale-Prozess, was Gutes erwarten lässt, kennt man beide doch als ebenso luzide wie präzise Beobachter der Gegenwart – und ihrer Ruinen.

Markus Schinwald, Foto: Philippe Servent, Courtesy Galerie Thaddaeus Ropac, London • Paris • Salzburg • Seoul. © Markus Schinwald / Bildrecht, Wien, 2022 

Markus Schinwald: New Works, 12. März—9. April 2016, Paris Marais, Foto: Philippe Servent, Courtesy Galerie Thaddaeus Ropac, London • Paris • Salzburg • Seoul. © Markus Schinwald / Bildrecht, Wien, 2022 

Philipp Timischl, The embedded mentality of self-sufficiency, 2021, 66 LED screen panels, 2 paintings (mixed media on canvas), metal mounting system, media player, 10:00 min video loop, 900 x 300 x 100 cm, Courtesy the artist, Layr Vienna.

Philipp Timischl, Kim and Kourtney FIGHT over Work Ethic, 2021, Spraypaint on fake fur above LED Panels, Mediaplayer, Video 4’49’', 200 x 100 x 50, Courtesy the artist, Layr Vienna

Philipp Fleischmann, TWO FILM SCULPTURES, Foto: Peter Mochi, Courtesy Wonnerth Dejaco

Philipp Fleischmann, TWO FILM SCULPTURES, Foto: Peter Mochi, Courtesy Wonnerth Dejaco

Lyon Biennale

65 Rue Challemel Lacour, 69007 Lyon
Frankreich

14. September bis 31. Dezember 2022

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