Kunstmuseum Wolfsburg

Kapwani Kiwanga

Die kanadische Künstlerin Kapwani Kiwanga vermisst im Kunstmuseum Wolfsburg „Die Länge des Horizonts“. Das Museum widmet der 1978 geborenen Künstlerin und Anthropologin eine „Mid-Career-Retrospektive“.


Von geradezu betörender Schönheit ist die Blüte des Pfauenstrauchs. Schlank, wohlproportioniert, mit zarten, mehrfarbigen Blüten. In einer fotogenen Inszenierung hat sie Kapwani Kiwanga in einem strahlend gelben Raum platziert. Doch im Begleittext zum Kunstwerk liest man, dass die Pflanze von Sklavinnen in Suriname als Abtreibungsmittel benutzt wurde. So hat sie Maria Sibylla Merian 1705 beschrieben. Diese so schöne, so fotogene Installation ist ein typisches Beispiel für die Arbeitsweise der 1978 geborenen Künstlerin Kapwani Kiwanga, die jetzt in einer großen „Mid-Career-Retrospektive“ im Kunstmuseum Wolfsburg gezeigt wird. Denn Kiwangas Arbeiten sind zwar oft raumgreifend und perfekt arrangiert, doch niemals „nur“ schön. Immer geht es um Recherchen der Künstlerin, die auch Anthropologie und Vergleichende Religionswissenschaften studiert hat.

So beginnt die Ausstellung mit einem 16 Meter langen Lichttunnel, der erst pink dann blau leuchtet. Was in einem anderen Zusammenhang einfach Lichtkunst sein könnte, soll hier das „Bewusstsein für die Instrumentalisierung von Farben“ schärfen, liest man im Begleittext. Es gehe um „Disziplinararchitektur“, denn Psychologen hätten herausgefunden, dass ein spezieller pinker Farbton auf Gefängnisinsassen beruhigend wirke und blaues Licht in der Stadtbeleuchtung eingesetzt werde, weil es Drogensüchtigen das Lokalisieren der Venen erschwere.

Schon diese an den Anfang der Retrospektive gesetzte Arbeit zeigt: Man muss viel lesen, um sich in der Gedanken- und Kunstwelt von Kapwani Kiwanga zurecht zu finden. Verwelkende Blumenarrangements verweisen auch durch intensivste Betrachtung eben nicht auf Vertragsunterzeichnungen bei Machtwechseln in afrikanischen Staaten. Erst mit dem Wissen, dass die in der Ausstellung nachinszenierten Blumengestecke einst bei diesen Machtwechseln auf den Tischen standen, bekommen die Blumen ihre Bedeutung als Zeugen historischer Ereignisse.

Ausstellungsansicht, Kapwani Kiwanga. Die Länge des Horizonts (16.9.2023 – 7.1.2024) Kunstmuseum Wolfsburg abgebildete Arbeit: Kapwani Kiwanga, pink-blue, 2017, Baker-Miller-Pink, weiße Farbe, weiße und blaue Leuchtstoffröhren Maße variabel, Courtesy die Künstlerin und Goodman Gallery, Johannesburg, Kapstadt, London / Galerie Poggi, Paris / Galerie Tanja Wagner, Berlin, © VG Bild-Kunst, Bonn 2023, Foto: Marek Kruszweski

Ganz ähnlich ist es mit den riesigen, haarigen Installationen „Porous Portal“. Sie bestehen aus Sisalfasern, die für Tansania einst die Hoffnung auf Reichtum bedeuteten. Denn die Pflanzen wurden während der deutschen Kolonialzeit aus Mexiko nach Tansania eingeführt und dort angebaut. Tansania wurde so eine Zeit lang zu einem der größten Sisalproduzenten und Sisalhändler. Wie bei der Reispflanze, der Kapwani Kiwanga zwei Arbeiten widmet, geht es auch hier um Pflanzenmigration und deren Auswirkungen.

Es ist immer dann einfach, den Ideen und Recherchen der Künstlerin zu folgen, wenn sie nicht nur Ideen assoziativ inszeniert, sondern starke, neue Bilder findet. Zum Beispiel wenn sie für ihre Arbeit „Subduction“ Fotos von Gesteinsproben der europäischen und afrikanischen Seite der Straße von Gibraltar zu neuen Gesteinen zusammensetzt und so auf die Annäherung der Kontinentalplatten verweist. Oder in der düsteren Installation „Glow“, in der schwarze, lebensgroße Marmorstelen mit gleißend hellen Leuchten kombiniert sind.

Ausstellungsansicht, Kapwani Kiwanga. Die Länge des Horizonts (16.9.2023 – 7.1.2024) Kunstmuseum Wolfsburg abgebildete Arbeiten von Kapwani Kiwanga, © VG BildKunst, Bonn 2023, Foto: Marek Kruszewsk

Der Betrachter ist geblendet und kann nicht richtig erfassen, was er sieht. Das produziert ein starkes Gefühl des Unbehagens. Doch wie müssen sich die „nicht weißen Personen, die im Zustand der Sklaverei  in Nordamerika lebten“ gefühlt haben, die wegen der „Laternengesetze“ immer eine Kerze oder Lampe mit sich führen mussten, wenn sie im Dunkeln allein unterwegs waren? Es ist das Verdienst des Wolfsburger Museums, die in verschiedenen Ausstellungen gezeigten Arbeiten der kanadischen Künstlerin nun fokussiert zur Diskussion zu stellen.

Kunstmuseum Wolfsburg

Hollerplatz 1, 38440 Wolfsburg
Deutschland

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