Gallery Diary - Galerie Martin Janda | Yu Ji

Die Galerie Martin Janda zeigt neue Arbeiten von Yu Ji in ihrer ersten Einzelausstellung in der Galerie.


Unsere Wahrnehmung von Raum formiert sich nicht nur im Moment unserer physischen Präsenz vor Ort, sondern auch über das Speichern räumlicher Objektqualitäten im psychischen Empfinden. Raum als unser Leben direkt affizierendes Phänomen und seine Manifestation über andere Subjekte, als Umwelt, als Behausung, als Dialektik von Drinnen und Draußen, wie Gaston Bachelard sie in seiner Poetik des Raumes beschreibt, basieren auf Erfahrungswerten von Dingen, die auf eine sehr unmittelbare Weise wahrgenommen werden. Yu Ji arbeitet mit solchen Erfahrungen und somatischen Empfindungen, die sie in vielschichtig aufgeladene Repräsentationen von Raum verwandelt. Im Zentrum stehen dabei der menschliche Körper und sein Verhältnis zu seiner Umwelt, die sich über ein materielles Bezugssystem aufspannt.

Die Begegnung mit solchen Settings – denn nichts anderes ist Raum – entfaltet eine Wirkung, die konkret und abstrakt zugleich ist, gegenwärtig scheint und doch aufgeladen ist mit geografischen Spezifika und historischen Narrativen. Viele Werke von Yu Ji sind Resultate von Feldforschung. Auch physische Interventionen an ausgewählten Orten charakterisieren ihre künstlerische Praxis, die intuitiv erfahrbare wie psychologisch aufgeladene Bilder für Individualisierung, für Freiraum, Begrenzung und Kontrolle entwirft.

Yu Jis Werk, das Skulpturen und Installationen, aber auch Video- und performative Arbeiten, Siebdrucke und Collagen umfasst, basiert auf dem haptischen Erleben, auf den Atmosphären und kulturellen Konnotationen, die einem Material eingeschrieben sind und in bestimmten Konstellationen prägnant in Erscheinung treten. Der in ihren Arbeiten immer wieder auftauchende Zement, das Holz und Metall, aber auch die verschiedenen installativ eingearbeiteten Fundstücke aus Natur und Alltag besitzen charakteristische Eigenschaften und Taktilitäten; sie wirken warm oder kalt, organisch oder abstrakt, offen oder eingrenzend.

Yu Ji, Unseen Gesture at Galerie Martin Janda, Vienna, 2021, Courtesy Galerie Martin Janda, Vienna, Foto: kunst.dokumentation.com

In Yu Jis Installationen stehen sie sich dissonant gegenüber oder aber treten miteinander in Kontakt, sie fusionieren oder absorbieren einander. Über das ganze Spektrum ihrer Erscheinung werden sie Teil von Resonanzräumen, die stets auch Metaphern sind.

In ihrer ersten Ausstellung in Österreich zeigt die Künstlerin ihre bereits 2017 entstandene Videoinstallation Unseen Gesture, die unter anderem im Lainzer Tiergarten gefilmt wurde. Es handelt es sich um eine Dokumentation von Performances, wobei die Art und Weise, wie Yu Ji ihren Körper bewegt, wie eine leicht verschobene Alltagsbewegung wirkt. Eingebettet in die Natur an der Peripherie der Stadt, richtet sich die wie eine täglichen Übung praktizierte Selbstbeobachtung auf ihr Inneres, das sich wiederum in der Umgebung spiegelt. Die Bewegungen sind für Yu Ji „ghost gestures“ – langsame Bewegungen und tänzerische Gesten, so als ob sie jemanden einfangen wollte, der nicht mehr da ist und als abwesend Anwesender ihre Choreographie inspiriert.

Yu Ji, Unseen Gesture – Lainzer, 2017–2018, 2 channel video installation, 2 b&w HD videos, 26:20 min; 11:45 min overall dimensions vary with the installation, Edition 1/4 + 1 A.P., Courtesy Galerie Martin Janda, Vienna, Foto: kunst.dokumentation.com

Performative Verortungen finden sich auch in den Arbeiten ihrer Serie „Flesh in Stone”, in der sich in Zement gegossene Körperteile in unterschiedlicher Größe, fragmentiert oder in Bewegung begriffen, um Teile aus Eisen oder Holz formieren und mit ihnen in ein Spannungsverhältnis treten. Flesh in Stone – Ghost No. 7 (2020) zeigt einen Torso und Fragmente, die an Körper erinnern, aber auch abstrakt sein könnten, und Halt an Holzstücken finden, die ihrerseits aus der Vergangenheit zu kommen scheinen. Flesh in Stone – Ghost No. 9 (2021) wiederum reduziert die anthropomorphe Figur aus Zement auf eine elementare Form, mehr fixierter Bewegungsimpuls als definierter Körper, die auf einem alten Sessel sitzt und von Spiegelscheiben durchschnitten wird. Die dissoziierte Figur wirkt wie ein menschliches Wesen, das sich erst noch im Prozess befindet, ein solches zu werden.

Die Idee des Interieurs, aufgeladen mit subjektiven Erfahrungspartikeln, findet sich auch in Forager – Dessert (2020): Ein Tisch mit zwei ineinandergreifenden Tischplatten präsentiert wie ein Stillleben eine Gipsskulptur aus abgeformten Romanesco-Karfiol und Korallen – eine Momentaufnahme wie vom Meeresgrund, die sich für den Innenraum versteinert hat; ein Beutestück, das das Natürliche mortifiziert.

Yu Ji, Unseen Gesture at Galerie Martin Janda, Vienna, 2021, Courtesy Galerie Martin Janda, Vienna, Foto: kunst.dokumentation.com

Neben kleinen Figurinen aus Zement, auch sie zeichenhaft reduzierte menschliche Körper, die sich entlang einer verformten Stange aus Stahl winden (Flesh in Stone – Ghost No. 10, 2020), findet sich eine gewölbte Platte aus Edelstahl mit dem Siebdruck einer Waldansicht (Refined Still Life No. 9, 2021). Die Natur wird zum Dekor, zum Echo einer erlebten Natur, aber auch zum abstrakten Erinnerungsbild, das sich über die Gestik körperhafter Erfahrungen eingeprägt hat: eine ungesehene Geste, die hier tatsächlich zur abwesenden geworden ist, und dennoch im Raum widerhallt.

Galerie Martin Janda

Eschenbachgasse 11, 1010 Wien
Österreich

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