Die schlechte Nachricht zuerst: Leider wird auch in diesem Jahr niemand alle Ausstellungsorte und Ausstellungen der Berlin Art Week sehen können. Das ist bei 300 Ausstellungen und  fünf Tagen ziemlich unmöglich. Doch das Schöne an der Überfülle ist, dass es so viele Kunst-Orte gibt, die extra für die Art Week neue Ausstellungen zeigen – einige öffnen zwar nur für diese fünf Tage, andere eröffnen ihre neuen Ausstellungen, bleiben jedoch für Wochen.


Gute Planung ist bei der elften Berliner Art Week notwendig. Denn das Kunstfest bereitet nicht nur der lokalen Kunstszene mit ihren internationalen Galerien sowie den privaten Sammlern und staatlichen und städtischen Kunstorten eine Bühne. Es führt direkt in die Ateliers in ehemaligen Industriehallen, deren Bestand bedroht ist.

Auch wer wenig plant und sich in einem Kiez, wie man in Berlin zu einem Stadtbezirk sagt, treiben lässt, wird gut unterhalten werden: Nach den Eröffnungen am Mittwoch und Donnerstag kommen die Performances, Diskussionen, (Spät-)Sommerfeste. Daraus hier eine naturgemäß sehr begrenzte Auswahl von Highlights:

BAW Garten

Zu den Highlights der Art Week gehört unbedingt die Ausstellung in den Uferhallen, dem offiziellen Festivaltreffpunkt. Hier haben Sophia Gräfe und Arkadij Koscheew eine kluge, sehr aktuelle Ausstellung mit 26 Positionen zusammengestellt. Ihr Thema „On equal terms“ verhandelt das Verhältnis von künstlerischer Produktion und seiner Verwertung als „kulturelles Kapital“. Das ist nicht nur überall, wo Kunst entsteht ein großes Thema, sondern auch in den Uferhallen. Denn die Zeiten, in denen es viel Atelierplatz für wenig Geld gab, sind auch in Berlin vorbei. Immer wieder müssen günstige Räume den Projekten von Immobilienentwicklern weichen – vielleicht auch die Uferhallen, in denen aktuell 150 Künstler arbeiten. Wie die sich wehren, was die extra gegründete Aktiengesellschaft genutzt hat, ist ebenfalls Thema der Ausstellungen und Diskussionen vor Ort.

Amtsalon

Der Amtsalon im ehemaligen Amtsgericht Charlottenburg öffnet erst zum dritten Mal. Die Präsentation von 14 Galerien aus Berlin, München, Stuttgart und Rotterdam an diesem eleganten Ort ist exklusiv und nur drei Tage vom 16. bis 18. September geöffnet. Unter anderem zeigt die König Galerie neuste Papierarbeiten von Jorinde Voigt, die Galerie Jarmuschek und Partner stellt die kühl-poetischen Objekte von Elisa Manig vor während die Münchner Galerie Jahn und Jahn Arbeiten von Isa Genzken, Julius Heinemann, Soyon Jung, Barry Le Va und Olaf Metzel nach Berlin bringt.

BAW, Positions Berlin Art Fair, 2021 © Clara Wenzel-Theiler

Haus am Waldsee

Surreal, bombastisch, ein wenig lächerlich, sehr unterhaltsam, ziemlich absurd und phantasievoll: die Performances und Videos von Leila Hekmat sind all das und noch viel mehr. Jetzt bekommt die in Berlin lebende US-amerikanische Künstlerin ihre erste institutionelle Einzelausstellung im idyllisch gelegenen Haus am Waldsee. Laila Hekmat nutzt die schönen, sehr intimen ehemaligen Wohnräume, um ein Krankenhaus darin einzurichten –  Betten, Operationssaal und Kapelle inklusive. Um Heilung geht es, so viel sei verraten, nicht.

GRopius bau

Während Louise Bourgeois ihre Wunden in der Überblicksschau „The woven child“ noch bis Ende Oktober im Martin Gropius Bau zeigt, eröffnet jetzt am gleichen Ort die große Ausstellung „YOYI! Care, Repair. Heal“. Wie die Titel verspricht, geht es um künstlerische Reflexionen über Gesundheit und Heilung – in verschiedenen Gesellschaften. So zeigt Kader Attia einen Himmel voller Prothesen. Nebenan porträtiert Tabita Rezaire in ihrem Video „Singing Bee Garden“ Bienenzüchter aus dem südamerikanischen Guyana. Dabei geht es, wie die in Frankreich geborene Künstlerin sagt, auch bei der Bienenzucht um Politik. Denn die Agrarindustrie schade der Erde. Dabei sei der Sinn der Landwirtschaft, neben der Nahrungsproduktion, die liebevolle Pflege der Erde. Von Pflege erzählt in der Ausstellung auch das grandiose „Grindmill Songs Project“, das Volkslieder der indischen Frauen aufzeichnet und damit bewahrt.

Schering Stiftung

Manche eher lokal arbeitende Institutionen bekommen während der Art Week ihren großen Auftritt. In diesem Jahr ist es zum Beispiel die Schering Stiftung. Die gemeinnützige Stiftung der Bayer Pharma AG stellt Arbeiten der finnischen Künstlerin Jenna Sutela vor. Sutela lässt Muttermilch blubbern und durch Maschinen fließen. Die Arbeiten sind Teil des neuen Werkkomplexes „Stellar nursery“, der sich nicht allein mit den Nährwerten von Muttermilch und von Milchersatz beschäftigt, sondern mit der Bedeutung der Brust-Darm-Hirn-Verbindung. Zuvor hat Sutela sich bereits mit Kottransplantationen und den daran beteiligten Bakterien befasst – all das ist ein Ergebnis ihres Stipendienaufenthalts am MIT, dem Massachusetts Institute of Technology.

BAW22, Haus am Waldsee, Leila Hekmat, I was not Invited, 2018,Ballhaus Chausseestrasse, Berlin © Leila Hekmat 

Neuer Berliner Kunstverein | Kindl – Zentrum für Zeitgenössische Kunst | Georg Kolbe Museum

Die Kunst von Mona Hatoum erschreckt und berührt, ist einfach und aufwendig zugleich. Wie fein Mona Hatoum sinnliches Kunst-Erleben und politische Aussage miteinander verwebt, kann nun in Berlin an drei sehr unterschiedlichen Orten besichtigt werden. Denn der Neue Berliner Kunstverein, das Kindl – Zentrum für zeitgenössische Kunst und das Georg Kolbe Museum haben sich zusammengetan und zeigen die bisher größte Retrospektive ihrer Kunst in Deutschland. Allerdings ist es nicht allein ein Rückblick, denn die in Beirut geborene und in London lebende Künstlerin hat für die riesige Halle der ehemaligen Kindl-Brauerei eine gerüstartige Turminstallation geschaffen und im Kolbe-Museum sind Landkarten auf Glaskugeln gelagert, denn Instabilität und Verunsicherung gehören seit langem zum Werk von Mona Hatoum.

Fahrbereitschaft

Auch dieses Jahr laden viele Partner der Art Week an die Ränder der Stadt. Die „Fahrbereitschaft“ in Berlin-Lichtenberg, nahe der ehemaligen Stasi-Zentrale ist seit Jahren der Standort der Haubrok Foundation und Ort von Gewerbe, Ateliers und Studios. Auch dieser Kunstproduktions- und Ausstellungsort war von Schließung bedroht, konnte aber von der Sammlerfamilie Haubrok gesichert werden. Die Haubrok Foundation lädt am 17. September zum großen (Spät-)Sommerfest und zur Sammlungspräsentation mit Sound-Arbeiten, die auf dem fast 20.000 Quadratmeter großen Gelände verteilt sind.

Hangar 5-6

Wer während der Berlin Art Week nicht nur Kunst sehen und erleben, sondern auch kaufen will, findet auf der Positions Berlin Art Fair in den Hangars des ehemaligen Flughafens Tempelhof fast 90 Galerien aus der ganzen Welt und viele Spezialangebote. Zum Beispiel eine eigene Ausstellung zu Kryptokunst und Werke für Neu-Sammler mit nicht allzu viel freier Wandfläche. Denn die dort angebotenen Werke sind höchstens 50 mal 50 Zentimeter groß und kosten weniger als 1900 Euro.

BAW22, n.b.k., Mona Hatoum, Hot Spot III, 2009, Edelstahl und Neonröhren, 234 x 223 x 223 cm, Photo dotgain.com

Berlin Art Week

verschiedene Spielstätten, 10179 Berlin
Deutschland

14 - 18 September 2022

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