Starker Auftritt der österreichischen Galerien | ARTISSIMA 2021

Turin begrüßte die Gäste der 28. Edition der Artissima bei strahlendem Herbstwetter. Dies tat jedoch dem Besucherdrang keinen Abbruch. Im Gegenteil, lädt doch die Stadt und die Region selbst mit zahlreichen Ausstellungen und Sidevents zum Art-Hopping zwischen den Institutionen und der Messe ein. Eine Destination die in jedem Fall Anfang November im Kalender stehen sollte.


Insgesamt begrüßte die 31. Artissima 500 Besucher:innen. Die Anzahl der Galerien wurde COVID-bedingt auf 154 Galerien reduziert – was zu einer lockeren Gestaltung der Messestände in Oval Lingotto führte, dem Glaspavillon, der 2006 als Eisstadion für die olympischen Winterspiele errichtet wurde, und zu einem angenehmen Besuchserlebnis.

Trotzdem ist die Anzahl der internationalen Galerien unter den aktuellen Gegebenheiten beachtlich, wie Ilaria Bonacossa im Interview berichtet, und liegt immer noch bei 50 Prozent. (bisher 60 Prozent). Ginge es nach ihr, so würde sie die Anzahl der Galerien und damit die Größe der Messe so belassen. Dies entspreche der Kaufkraft der von der Artissima angesprochenen Sammlerschaft und auch der konzeptuellen Ausrichtung der Messe. Diese versteht sich nach wie vor als „Entdeckermesse“, als Plattform für Experimentelles, in der sich die aktuellen Tendenzen der Kunstszene und nicht nur des Kunstmarktes widerspiegeln. Die Artissima, getragen von der Fondazione Torino Musei, sprich der Stadt Turin und der Region Piemont, ist auch weit weniger einem kommerziellen Druck ausgesetzt, wie Messen andernorts, was auch die Aussteller durchaus schätzen – und die Messe auch als Plattform für künftige Projekte sehen. Und tatsächlich hat dies auch dieses Jahr, so resümieren zumindest die österreichischen Galerien im Gespräch, durchaus geklappt, wenngleich weniger internationale Kurator:innen unterwegs waren. Doch kommt es auch dabei ja nie auf Quantität sondern stets auf das Interesse der einzelnen Kurator:innen und Sammler:innen an. Und allein die kuratierten Sektoren, die Preise, mit ihren international besetzten Jurys und die Sponsoren garantieren die Möglichkeit des Netzwerkens. Das Credo von Ilaria Bonacossa lautet stets, dass das Fehlen der großen Galerien nicht an deren Desinteresse läge, sondern dass man schlicht nicht auf Namen wie Hauser & Wirth, Pace und Co setze, sondern dem Publikumsklientel entsprechend auf Sammler mit weniger großen Budgetvolumen. So gibt es Kunstwerke zwischen 2000 und 45.000 Euro (Mimmo Palladino bei Galleria Mazzoli). Bei einigen der ausstellenden Galerien gab es Preise von Arbeiten Michelangelo Pistolettos oder Fotoarbeiten von Aktionen des Künstlerpaares Marina Abramović und Ulay allerdings nur Anfrage. Bereits am ersten Tag meldeten viele der Galerien Verkäufe. Etwa Johann König der Claudia Comtes Baumskulpturen „After Nature“ (Preis ab 32.000 Euro) in einer Inferno-artigen Szenerie ausstellte.

Artissima Direktorin Ilaria Bonacossa, Foto: PARNASS

Neubesetzung oder Verlängerung? Wie geht es weiter?

Ob es tatsächlich das letzte Jahr unter der der erfolgreichen und dynamischen Direktorin Ilaria Bonacossa war, wird sich bis Ende November herausstellen. Grundsätzlich sind die Direktor:innen stets für 3 mit einer optionalen Verlängerung auf 2 Jahre bestellt. Die Ausschreibung der Position ist nach fünfjähriger Tätigkeit von Bonacossa bereits im Sommer erfolgt. Dennoch, so Bonacossa, ist es durchaus möglich, dass sie aufgrund der aktuellen Rahmenbedingungen und dem Ausfall der Messe 2020 für ein weiteres Jahr bestellt wird. Es wäre der Messe zu wünschen, wobei die Galeristen, die ihre Art der Messeführung wertschätzen, dennoch sicher sind, dass auch bei einem Wechsel eine Kontinuität der Qualität gewahrt bleibt. Dazu ist die Messe bereits mit ihrer individuellen Ausrichtung zu sehr etabliert. Doch Bonacossa ist eine profunde und sehr engagierte Netzwerkerin mit vielfach persönlichen Kontakten zu internationalen Galerien- und Kurator:innenszene, und gab der Messe einen dynamischen Charakter. Gerade in einer Zeit, in der Messeformate grundsätzlich diskutiert werden, würde man eher zu „never change a winning team“ tendieren, als zum Sprichwort „Neue Besen kehren gut“ also einem Wechsel. Wenig erfreut zeigt sie sich Bonacossa im Interview, dass darüber bislang noch keine Entscheidung getroffen wurde. Dies offenbart auch die bürokratischen Hürden, die bei dem besonderen Messeformat der Artissima geschuldet sind.

Blickt man gerade von Wien aus stets auf die besondere Zusammenarbeit zwischen Messe Stadt und Region, so offenbart sich hier auch die Kehrseite mit der Trägheit einer verbeamteten Bürokratie. Mit Intesa Sanpaolo konnte ein neuer Hauptsponsor gewonnen werden, der auch mit der Ausstellung „Vitality of time. The art collections of Intesa Sanpaolo, kuratiert von Luca Massimo Barbero auf der Messe vertreten war, andere verlängerten ihre Engagements, sodass 2021 auch in dieser Hinsicht Kontinuität herrschte. Ilaria Bonacossa zeigte sich im Interview durchaus zufrieden und auch im Hinblick auf die Zukunft positiv für die Messe.

Ganz so enthusiastisch ist die Messe allerdings objektiv nicht zu bewerten. Insgesamt hatte man weit weniger den Eindruck allzu viel Neues zu entdecken – und es gab auch einige No Gos vor allem am Sektor der figurativen Malerei, der allzu eklektisch daher kam. Was die Messe jedoch alljährlich ausmacht sind Sektoren wie „Dialogues/Monoloques“, mit interessanten Gegenüberstellungen und Solopräsentationen.

Foto: Perottino-Piva / Artissima

Starker Auftritt der österreichischen Galerien

Einen starken und sehr präsenten Auftritt lieferten die österreichischen Galerien – und das nicht nur zahlenmäßig, sondern auch mit gelungenen Messeständen. Das keine von ihnen einen der zahlreichen Preisen erhielt ist nicht verständlich. Und das ist jetzt nicht bloß ein subjektives, patriotisches Statement. Denn auch im Gespräch mit internationalen Journalist:innen fielen die Messestände auf. Durchaus verständlich, präsentierten sich doch mutige und experimentierfreudige Stände. Dabei waren nicht nur junge Positionen zu sehen: Die Wiener Galerie Exile, zum vierten Mal auf der Turiner Messe, zeigte in Kooperation mit Karsten Schubert Gallery, London eine Auswahl von Arbeiten der britisch-österreichischen Künstlerin Tess Jaray (*1937 Wien).

Die Malerei und Zeichnungen, die von den beiden Galerien nach Turin gebracht wurden, verwiesen auf die „Landmark“­- Retrospektive der Künstlerin „Tess Jaray: Paintings and Drawings from the Eighties“, die 1988 in der Serpentine Gallery in London gezeigt wurde. Ebenfalls mit einer Soloausstellung war Galerie Charim in Turin vertreten und zeigte eine Auswahl an Werken der 1955 in Budapest geborenen und heute in Wien lebenden Eva Beresin. Berührend, mutig, sehenswert! Eine Künstlerin, die so Galerist Kurt Kladler, auch bei den Sammler:innen auf großes Interesse stieß. Erstmalig in Turin war die Galerie Dantendorfer, die erst vor kurzem in Wien ihre Räume eröffnet – als quasi exklusive Vertretung des Künstlers Kurt Hüfpner (*1930 Wien), eine formal singuläre Position, die sie auch in Turin präsentierten und für das Werk man nun auf internationale Aufmerksamkeit hofft. Inés Lombardi/Galerie Georg Kargl war ebenfalls in der Sektion Dialogque/Monoloque vertreten und präsentierte eine Gegenüberstellung von Arbeiten Mark Dions mit der brasilianischen, in Wien lebenden Künstlerin Camila Sposati, die Anfang des Jahres auch in der Georg Kargl Box zu sehen war.

Galerie Exile in Kooperation mit Karsten Schubert Gallery, Tess Jaray, Artissima 2021, Foto: PARNASS

Nicht nur mit den Verkäufen zeigte man sich am Ende der Messe sehr zufrieden – die Werke von Camila Sposati erregten die Aufmerksamkeit internationaler Kuratoren. Ein konkretes Projekt ist mit dem Museo Nazionale della Montagna in Turin bereits in Planung. Einige der Wiener Galerien setzten im Main Sector auf formal-reduktiven Arbeiten wie Untitled Projects mit wunderbaren Objekten von Melanie Ender, Hubert Winter mit Werken von Judith Fegerl und den US-amerikanischen Objektkünstler Joel Fisher, der mit Skulpturen und seinen wie immer sehenswerten Wandarbeiten aus Papier in Turin vertreten war. Vin Vin, im Vorjahr bei den New Entries dabei, war diesmal bereits im Main Sector und zeigte Objektarbeiten der US-Amerikanerin Elizabeth Orr, die Galerist Vincenzo Della Corte bereits im Frühjahr erfolgreich in Wien präsentierte. Die Review der Ausstellung im renommierten Artforum zeigt wohl ihre Wirkung, denn auch in Turin stießen die Arbeiten der Künstlerin auf ein interessiertes Publikum, Arbeiten konnten bereits am ersten Tag verkauft werden. In den New Entries dabei waren Sophie Tappeiner mit neuen Arbeiten von Irina Lotarevich, sehr sehenswert, Wonnerth Dejaco, unter anderem mit einem Paravent und der Serie „Bags“ von Georg Petermichl und die Salzburger Galerie Sophia Vonier mit einem gelungenen Stand, in dem sie neue Werke von Marianne Vlaschits zeigte.  

Galerie Hubert Winter, Artissima 2021, Foto: Flavio Palasciano

Von XYZ zum Indian Hub und den Projekten in der Stadt

Eine Neuheit der Messe war der Online Katalog XYZ, im Bereich der „ARTISSIMA XYZ“, der aus der pandemiebedingten Absage der Messe 2020 resultierte. Eine durchaus gelungener Online-Auftritt der auch mit der physischen Präsenz der Galerien in einem eigenen kuratierten Bereich XYZ aus den Sektoren Back to the Future, Disegni und Present Future Galerien zusammengefasst wurde. Die Online-Präsenz zeigte nicht nur wie üblich einen Viewing Room, sondern wartete mit unterschiedlichen Videos auf, in denen Kurator:innen, Galerist:innen und auch die Künstler:innen selbst über die eigenen Werke sprachen. 2019 etablierte Ilaria Bonacossa mit dem HUB ein neues Format, in dem sie den Fokus auf jeweils ein Land setzte, dessen Kunstszene in Europa nicht so bekannt ist.

Den Beginn machte die Kunst aus dem Mittleren Osten. 2021 setzte man auf die zeitgenössische Kunstszene aus Indien und präsentierte diese in einer kompakten Sektion aus mehreren Ständen, und nicht wie 2019 verteilt auf der Messe. Was zu begrüßen war. 

Das Projekt wurde kuratiert von Myna Mukherjee and Davide Quadrio präsentierte ein gelungenes Panorama der aktuellen indischen Kunst. Die Nachfrage der indischen Galerien erwies sich jedoch als so groß, dass man, so Bonacossa, auf die Kooperation mit den Turiner Museen setzte. In Koooperation mit dem Fondazione Torino Musei wurden indische Gegenwartskunst Museo Civico d’Arte Antica, im Palazzo Madama und MAO Museo d’Arte Orientale und der Accademia Albertina di Belle Arti di Torino gezeigt und interessant in deren eigene Sammlungen integriert. Vor allem die Präsentation im Palazzo Madama ist eine unbedingte Empfehlung. Ein weiteres Projekt im Turiner Stadtzentrum sind „6 CHAIRS“ von Augustas Serapinas (*1990, Vilnius) im historischen Ballraum des Luxushotel Hotel Principi di Piemonte.

Hub India, Maximum/Minimum, Artissima 2021, Foto: Perottino-Piva / Artissima

Das ist uns aufgefallen

Ein gewisser Trend zu klimakritischen Arbeiten war auf der Messe zu sehen, darunter etwa Werke der jungen französischen Künstlerin Gillian Brett bei der Mailänder/Genueser Galerie C + N Canepaneri, Claudia Comte bei König und andere mehr – unterstützt von dem dieses Jahr erstmals vergebenen FPT for Sustainable Art Award, der an den niederländischen Künstler Lennart Lahuis ging, der von der Dürst Britt & Mayhew Gallery, Den Haag präsentiert wurde. Gillian Brett wurde übrigens mit dem ebenfalls neuen Xiaomi HyperCharge Award ausgezeichnet. Der Smartphonehersteller Xiaomi, zeichnet damit Künstler unter 35 Jahren aus, die in ihren Werken Innovation und Kultur verbinden. Aufgefallen sind auch eine Reihe von Arbeiten, in denen Künstler subtil und gekonnt die Materialität ihrer Arbeiten in den Vordergrund spielen oder durch die Erweiterung von Textilem die Leinwand in die Dreidimensionalität erweitern. Als ein Beispiel ist hier der britische Künstler Simon Callery bei annex14 zu nennen, der einmal mehr mit seinen Werken beeindruckte.

Surfing NFT

Die enge Zusammenarbeit mit den Museen ist einer der USPs der Messe und dokumentiert sich 2021 erstmals mit einem weiterführenden Projekt der Plattform „Beyond Production“, das dieses Jahr mit dem Konzept „Surfing NFT“ debütierte – eine Kooperation mit der Fondazione per l’Arte Moderna e Contemporanea CRT und Artissima, die zeitgenössische Künstler einlädt, mit der Verwendung von NFTs zu experimentierten. Ausgewählt wurden von der Jury die Künstler   Matteo Nasinim Sarah Ortmeyer und Damon Zucconi, ie fertigen Arbeiten werden im Februar 2022 im OGR Torino präsentiert. Die Arbeiten des Gewinners werden von der Fondazione per l’Arte Moderna e Contemporanea CRT für ihre Sammlung angekauft.

annex 14, Simon Callery, Artissima 2021, Foto: PARNASS

Das könnte Sie auch interessieren