Director's Cut

Philipp Demandt über Lotte Laserstein

Dr. Philipp Demandt: Städel Museum, Frankfurt © Städel Museum, Frankfurt

Philipp Demandt (*1971 in Konstanz) leitete von 2012 bis 2016 die Alte Nationalgalerie in Berlin. Seit 1. Oktober 2016 ist er Direktor des Städel Museums, des Liebieghauses und der Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main. Für unser Format Director's Cut schrieb er in unserer Ausgabe 1/2018 über Lotte Lasersteins Junge mit Kasper Puppe (Wolfgang Karger).


Der kleine Wolfgang blickt verträumt ins Leere, mit beiden Armen umklammert er zwei Handpuppen: den abenteuerfreudigen Kasper und seinen Widersacher, den Teufel. Dieses relativ kleinformatige Gemälde der Berliner Malerin Lotte Laserstein (1898–1993) ist auf den ersten Blick ein wunderschönes, delikat gemaltes Kinderporträt. Die oben links sehr prominent gesetzte Datierung „November 1933“ offenbart aber noch eine weitere, dunklere Bedeutungsebene. „Junge mit Kasper-Puppe (Wolfgang Karger)“ entstand als Auftragsarbeit für das jüdische Ehepaar Karger. Anna Karger saß der Künstlerin selbst wiederholt Porträt. Ihrem Mann wurde im Entstehungsjahr des Bildnisses aufgrund seiner jüdischen Abstammung die Anwaltslizenz entzogen. Subtil schafft die Künstlerin ein Bild zwischen kindlichem Frohsinn und Melancholie.

Für mich war es ein elektrisierender Moment, denn ich sah ein Schlüsselwerk dieser Zeit, ein Meisterwerk.

Philipp Demandt

 

Dass dieses Bild Lasersteins die erste Neuerwerbung für die Städel Sammlung war, die ich 2016 als neuer Direktor in Frankfurt anstoßen konnte, hat mich besonders gefreut, da mich mit der Künstlerin schon eine längere Geschichte verbindet. Als ich das erste Mal 2010 ein Werk von ihr in einem Katalog des Londoner Auktionshauses Sotheby‘s entdeckte – „Abend über Potsdam“ von 1930 –, konnte ich es nicht mehr vergessen. Für mich war es ein elektrisierender Moment, denn ich sah ein Schlüsselwerk dieser Zeit, ein Meisterwerk. Damals gelang es mir als Referent der Kulturstiftung der Länder, das Bild für die Berliner Nationalgalerie zu gewinnen – mir war sofort klar: Dort gehört es hin!

Besonders durch sensibel gestaltete Porträts ihrer Zeitgenossen und Freunde machte sich Lotte Laserstein in den späten Jahren der Weimarer Republik einen Namen. Sie beteiligte sich an zahlreichen Ausstellungen und Wettbewerben. Ihre Kritiker fanden hymnische Worte für sie, bezeichneten sie als „leidenschaftliche Malernatur“ und bestätigten ihr „ein Können von beachtlichem Ausmaß“. Nach der frühen Anerkennung endete ihre Karriere jedoch schlagartig: Die politischen Bedingungen im Nationalsozialismus schlossen die Malerin aufgrund ihrer jüdischen Herkunft zunehmend aus dem öffentlichen Kulturbetrieb aus. 1937 musste sie Deutschland verlassen. Abgeschnitten von der internationalen Kunstszene geriet ihr Werk weitgehend aus der öffentlichen Wahrnehmung. Seit einigen Jahren jedoch gehört Lasersteins Œuvre zu den großen Wiederentdeckungen – und solche Neu- und Wiederentdeckungen faszinieren mich persönlich ganz besonders. Da das Städel nun zwei Werke Lasersteins besitzt – das Gemälde „Russisches Mädchen mit Puderdose“ von 1928  konnte ebenfalls in den letzten Jahren erworben werden –, ist es nur konsequent, dass wir der Künstlerin im Herbst 2018 eine Einzelausstellung widmen. Anhand von etwa 50 Arbeiten zeichnen wir Lasersteins künstlerische Entwicklung nach, mit Fokus auf Arbeiten der 1920er- und 1930er-Jahre, dem Glanzpunkt ihres Schaffens. Eine tolle Chance, dem faszinierenden Werk dieser lange vergessenen Künstlerin zu begegnen und näherzukommen!

Lotte Laserstein (1898-1993), Junge mit Kasper-Puppe (Wolfgang Karger), 1933, Öl auf Holz, 46 x 38 cm, Städel Museum, Frankfurt am Main © Städel Museum – ARTOTHEK / VG Bild Kunst Bonn

Lotte Laserstein (1898-1993), Junge mit Kasper-Puppe (Wolfgang Karger), 1933, Öl auf Holz, 46 x 38 cm, Städel Museum, Frankfurt am Main © Städel Museum – ARTOTHEK / VG Bild Kunst Bonn

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