Diversität ist nicht nur schön
Wer einen Blockbuster-Titel wählt, muss auch liefern. Das gelingt der Albertina Modern mit der Schau „The Beauty of Diversity“ nur in Teilbereichen. Geboten wird herausragende Kunst, aber leider keine wesentliche Auseinandersetzung mit dem Diversity-Begriff.
viel Thematik - zu wenig Platz
Wie der Titel, so das Programm. Die Albertina Modern will zeigen, dass Schönheit divers ausfällt, und mit ihrer neuen Ausstellung eine Ästhetik des Grotesken, Fragmentarischen und Hybriden zelebrieren – also einmal alles, was zeitgenössische Kunst in sich trägt. Zu sehen sind LGBTQIA+-Positionen, People of Color, indigene Standpunkte ebenso wie Autodidakten und emanzipierte, selbstermächtigte Künstlerinnen, aber auch Kunst der Art Brut. Und dann sind da auch noch Religion, Politik und Identitätsfragen – kurz gesagt: Diverses.
13 Räume mit 13 Themen, die jeder für sich, so Albertina-Generaldirektor Klaus Albrecht Schröder, „eine eigene Ausstellung sein könnten“, und – man kann sich den Gedanken nicht verkneifen – vielleicht auch hätten sein sollen. Das Problem der Ausstellung ist, dass sie so viele Themenbereiche aufmacht, dass sie einerseits keinen davon befriedigend verhandeln kann und andererseits durch diese Fülle einen nicht erfüllbaren Anspruch auf Vollständigkeit aufmacht. Es ist nicht verwunderlich, dass die frauenbewegte und auf Outsider-Kunst spezialisierte Direktorin der Albertina Modern und Kuratorin der Ausstellung Angela Stief Diversity nicht nur platt mit Herkunft und sexueller Orientierung abhandelt. Die Ausdehnung hin zu Kunst aus Gugging sowie in einem weiteren Raum zu einem von psychischen Traumata gespeistem Kunstschaffen ist dennoch gewagt.
Stellt man die kunstgeschichtliche wie begriffliche Diskussion rund um „Diversity“ aber kurz hintan, wird man in der Albertina Modern mit fantastischen Arbeiten belohnt. Wie viel Freude machen die Szenerien der wenig bekannten Stefanie Erjautz, wie verführerisch verwirren die surrealen Szenen von Sarah Slappey und die absurden Körper bei George Rouy, wie sehr kann man sich verlieren in der „Map of Truths and Beliefs“ von Grayson Perry und wie tief schürfen Aïcha Khorchids Gemälde! Parallel schien es wohl kommunikativ praktisch, ein paar Giganten unterzubringen – Basquiat, Sherman, Lassnig. Und gleich eine ganze Reihe der wundervollen Porträts von Amoako Boafo – am Markt gefragt, ästhetisch ansprechend auf der renommierten Wiener Akademie ausgebildet. Mit Marginalisierung hat das inzwischen wirklich wenig zu tun, auch wenn Boafos Bemühungen, in seiner Herkunft Ghana im kollektiven Austausch zu arbeiten, einen Funken dessen in die Ausstellung holen, worum es eigentlich im Diversity-Diskurs gehen muss: das Miteinander. Gleichberechtigte Partizipation ist schließlich ein wesentlicher Kampfbegriff der Diversity-Debatte. So sollen jene Stimmen zum Zug kommen, die in der Kunstgeschichte und auch in der Sammlungspolitik der Albertina bisher nicht ausreichend Gehör fanden.
Die Kunst des Diskurses
Eine einzige Ausstellung kann hier vermutlich immer nur der Anfang sein und vielleicht ist das die simple Idee – Denkanstöße mitgeben zur weiteren Auseinandersetzung. Sexualität, Machtverhältnisse, Schönheitsideale, Unterschiede in den Möglichkeiten und Voraussetzungen zum Kunstmachen, Inklusion, das Patriachat und White Supremacy sind einige dieser Themen, die nach Fortsetzung verlangen. Kurz vor dem Ausgang ein paar Gedanken zur politischen Lage im Iran und in Russland: Soli Kiani zeigt drei großartige Objekte mit vielschichtigem Inhalt neben einer bestechenden Wandarbeit von Elena Koneff. Doch das geballte Gedankengut politischer Kunst hat wenige Meter vor dem Ende der Ausstellung kaum noch Spielraum. Die Verlockung, alles zu wollen, war für die Ausstellungsmacher wohl zu groß. Nach der Modeerscheinung, Künstlerinnen betont sichtbar zu machen, ist es schon lange weit über Wien hinaus zum Trend avanciert ,Randgruppen‘ der Kunstgeschichte zu Titelhelden umzuschreiben. Man könnte das Fortführen dieser Trends kritisieren, wären sie nicht nach wie vor notwendig, um eine Lanze für die Enthierarchisierung des Kunstbetriebs zu brechen. Dennoch darf man von einem Ausstellungshaus in der Größe der Albertina erwarten, dass es den Diskurs weitertreibt und nicht nur aufgreift. Wohin entwickelt sich Diversity?
Kuratorin Angela Stief hatte mit den natürlichen Einschränkungen einer Sammlungsausstellung zu kämpfen, doch ist die Schau reich gefüllt mit Neuerwerbungen. Es ist richtig und wichtig, dass sich die Sammlungen der Albertina erweitern und Ausstellungen am Puls der Gegenwart können gewichtige Ankäufe aus Bereichen, die bisher vernachlässigt wurden, forcieren. Die „Erneuerung des etablierten Kunstverständnisses“, wird, so heißt es im Katalog zur Ausstellung, angestrebt. Das ist vehement zu begrüßen. Der Weg in Richtung Diversity ist eingeschlagen, aber um sich stolz auf die Schulter klopfen zu können, muss die Albertina noch deutlich größere und mutigere Schritte wagen. Eine größere Vielfalt der Medien (beispielsweise Video, digitale Formate), ein weiterer Horizont der Herkunftsnationen mit mehr Überraschungen und ein vielfältiges Diskurs-, Workshop- und Performanceprogramm rund um die Schau wären hier rasch formulierte Wünsche. Positiv in diesem Kontext: Für Instagram lud die Albertina die Betreiberin des Accounts @africaandivaa, die sich als „Black History Educator“ versteht, zu Interview und Ausstellungsrundgang – Mehrstimmigkeit ist einfach die solideste Basis gelebter Diversität.
ALBERTINA modern
Karlsplatz 5, 1010 Wien
Österreich
The Beauty of Diversity
bis 18. August 2024