Dezentral in Europas Städten

DIE KYIV BIENNALE 2023 IN WIEN

In neuer Form findet die Kyiv Biennale zum fünften Mal statt. Solidarität und Kontinuität bilden das Anliegen der Gründungsmitglieder und Kurator:innen Serge Klymko, Hedwig Saxenhuber und Georg Schöllhammer. Verteilt auf die Städte: Kyiv, Iwano-Frankiwsk, Uzhhorod, Berlin, Warschau, Lublin, Antwerpen und Wien zeigen sie ukrainische, als auch internationale Künstler:innen. Die gewählte Location in Wien ist das in den letzten Jahren leerstehende Augarten Contemporary, begleitet von sieben Independent Spaces, die über die Stadt verteilt zu finden sind. Eine Biennale mit einer klaren Agenda, die mit vielseitigen Positionen und Blick auf die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu vermitteln versucht. Bis 17. Dezember 2023


Das Augarten Contemporary neu gedacht

Ihren Anfang findet die Kyiv Biennale in der 2015 stattfindenden „The School of Kyiv“, welche als Plattform für den Austausch zwischen Künstler:innen konzipiert war. In den darauffolgenden Jahren, bereits als Kyiv Biennale, wurden vom sowjetischen Modernismus geprägte Gebäude der Stadt bespielt. Das Augarten Contemporary, als Austragungsort der Hauptausstellung in Wien, wurde in den 1950er Jahren von Georg Lippert entworfen und für den Bildhauer Gustinus Ambrosi erbaut. Bestehend aus zwei Gebäuden, wurde es auch später als Fläche für zeitgenössische Kunst genutzt. Für die Kyiv Biennale wurde das Architekturkollektiv AKT von den Kurator:innen eingeladen die Räumlichkeiten neu zu denken.

Widerspruch und Elefanten

Vor Ort angekommen, werden die deckenhohen Glasfassaden mit Schreien beschallt. Der Ruf „Attack“ ist zu vernehmen. Die sechs-Kanal-Klanginstallation „Che bella voce!“ von Nikolay Karabinovych verhandelt ein Kommando, dessen Verweigerung und die Wirkung eines unerwarteten Kommentars auf die Situation. Unweit davon ist der erste Röhrenbildschirm der fünfteiligen Videoinstallation, die im letzten Raum fortgeführt wird, von Laure Prouvost zu sehen. Bei dem Versuch zu Erkunden wie etwas nicht gezeigt werden kann, verstrickt die Künstlerin mit den gegen Boden oder die Wand gerichteten und schwer einsehbaren Bildschirmen die Besucher:innen in Widersprüchlichkeiten und Handlungsanweisungen.

Im Gegenteil ist das aus LED-Leuchten, Plexiglas und Aluminiumbuchstaben bestehende Werk „There is an elephant in the room“ des Kollektives SUPERFLEX kaum zu übersehen. Meterhohe mit Sandsäcken beschwerte blau-leuchtende Buchstaben, die den Titel wiedergeben, strahlen einem entgegen. Das menschliche Konsumverhalten wird mittels Werbeästhetik in Verbindung mit unausgesprochenen und herausfordernden Fragen gestellt. Dem gegenüber drei Installationen von Alina Kleytman. Eine davon mit dem Titel „Testament – this mystery will go with me to the grave“, die im Kontrast zu dem Werk von SUPERFLEX verwoben und mit organischen Formen das Wort „Testament“ bildet. Kleytman greift damit auf persönliche Erzählungen zurück. Über Gelitins Golem-Figuren und Wolfgang Tillmans‘ „Weak Signal IV“ klebt Georgia Sagris Werk „Deep Cut“, eine überdimensionale und hyperrealistische Schnittwunde an der Wand, die eine Vielzahl an Bezügen offenlässt.
 

Independent Spaces

Nicht zu vergessen, gilt es auch die sieben beteiligten Independent Spaces. Franz Kapfer gründet die H.K.W. Waffenschmiede, um performativ ein Arsenal an übergroßen Waffen für einen internationalen viereinhalb Meter hohen Soldaten zu errichten. Bei Never At Home ist etwa neben zwei Ölbildern von Ashley Hans Scheirl und einer begehbaren Inszenierung von Abdul Sharif Oluwafemi Baruwa die Zwei-Kanal-Videoinstallation „Talking to You“ von Anna Daučíková zu sehen. In dieser wird per aufgenommener Onlinekonferenz verbal und nonverbal die alltäglichen Auseinandersetzungen nicht-binärer Menschen verhandelt.

Der Neue Kunstverein wird mit ausschließlich digitalen Arbeiten bespielt. Yves Netzhammer präsentiert die als Videotriptychon aufgebaute Installation „Das Kind der Säge ist das Brett“. Dahinter verbirgt sich das ungewohnt großflächige VR-Projekt „Open Objects“ von Clemens von Wedemeyer in Kooperation mit eeefff, das ein Museum in Minsk, welches hunderte von Statuen des sozialistischen Realismus aufbewahrt, virtuell begehbar macht. Die bereits 2015 zur Kyiv Biennale eingeladene Hito Steyerl ist mit der in roten Samtstoff gehüllten Drei-Kanal-Videoinstallation „The Tower“ vertreten.

Das Künstler:innenduo mountaincutters zeigen einerseits ihre skulpturale Arbeit „CONTROL C RESPIRATION / CTRL C BREATH“ im  Augarten Contemporary, aber auch ihre In-situ-Installation „Étude d’un doute /Study of a doubt“ im 2020 gegründetem Laurenz. Der außergewöhnliche Ausstellungsraum bietet für den ortspezifischen Umgang von mountaincutters eine spannende Location.

Fotos © Vanessa Mazanik

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