Ein Nachruf

Cornelius Kolig (1942–2022)

Verweilen statt verreisen, lautet die Textzeile auf dem südlichen Schlussstein der von Cornelius Kolig seit 1979 realisierten Paradiesanlage in seiner Kärntner Heimat Vorderberg, im Gailtal. Nahe an der Ortschaft Nötsch, wo sein Großvater Anton Kolig tätig war und um dessen Erbe sowie jenes des Malers, seines Onkels Franz Wiegele, er sich zeitlebens kümmerte. Jetzt ist Cornelius Kolig 80-jährig verstorben.


Malerei und Zeichnung zählten neben Objektkunst und Installation zu den Schwerpunkten des multimedialen Œuvres des 1942 in Vorderberg im Kärntner Gailtal geborenen Künstlers. Wobei das künstlerische Erbe der Nötscher Maler, wenngleich biografisch und geografisch verbunden, trat er nie an, auch wenn er selbst Malerei an der Wiener Akademie studierte. Doch bald kam er zu der Erkenntnis, dass die Vorgänge im Körper wichtiger sind als seine äußere Erscheinung. Die Einbeziehung des Körpers sowie die Benutzbarkeit der Objekte, etwa in seiner Serie „Tactiles“ wurden zum zentralen Thema seiner Werke. Diese zielten auf eine Erweiterung des Bewusstseins sowie auf eine neue sinnliche Erfahrung in der Grenzüberschreitung herkömmlicher Wahrnehmungsmuster ab, bis hin zu tabuisierten Themen wie  Sexualität, menschlichen Ausscheidungen und die breite Sinnlichkeit des Aktionistischen.

Im Gegensatz zu den Aktionisten, die technische Medien ausschlossen, nutzte Kolig diese gezielt, um eine intensivierte sinnliche Erfahrung auszulösen. Die Erweiterung der Bildfläche erfasste daher von Beginn an auch die Verwendung neuer Medien sowie die Einbeziehung realer Dinge und Geräte. Die Objekte wurden zum Experimentierfeld der Erfahrung des Taktilen und auch für den Einsatz von transparenten, dehnfähigen und aufblasbaren Kunststoffen. In dieser Hinsicht ist Koligs Werk für die Entwicklung der zeitgenössischen Plastik und Objektkunst in Österreich von zentraler Bedeutung. In den 1960er-Jahren arbeitete er bevorzugt mit Kunststoffen wie Plexiglas und Polyester und experimentierte auch mit Röntgenbildaufnahmen. 1979/80 begann Kolig mit dem Bau des „Paradies“ auf dem Grundstück seines Elternhauses in Vorderberg. Der Gebäudekomplex stellt ein Gesamtkonzept dar, in dem die Ausstellungsstücke, die umgebende Natur und deren akustische, visuelle und sinnliche Wahrnehmung gleichermaßen von Bedeutung sind. Ein Gesamtkonzept, das der Künstler nie als abgeschlossen ansah und an dem er bis zuletzt arbeitete. Das Paradies mit seinen verschiedenen Gebäuden von Hallen bis Türmen, vom Rauschgarten bis zum Pantheon war ihm zugleich Werkstatt, Schaulager und Archiv für sämtliche für diesen Ort geplanten Werke – und Motiv seiner Malerei. Das Paradies, dessen hinterer Teil 2003 durch ein Unwetter und das damit verbundene Hochwasser fast zerstört wurde, war als konstanter Implus für seine Malerei omnipräsent. Seine  Landschafsbilder – ob Wolken-, Berg- oder Blumenbilder entstanden mittels einer technischen Konstruktion: eine in der Natur installierte Außenkamera übermittelte die Bildausschnitte in die Werkstatt des Künstlers. Der Landschaftsausschnitt, den Kolig in der Folge auf die Leinwand übersetzte, ist durch die Platzierung der Kamera vorgegeben. Ebenso verfuhr er mit den blühenden Wiesen seines Paradieses, auf die er seine Kameras richtete. So manifestierte sich sein performativer und skulpturaler Ansatz auch in der Malerei. „Die Lust am technischen Umweg“, schrieb der Kunsthistoriker Arnulf Rohsmann 2000 in „Paradies Jetzt“, über die Arbeitsweise des Künstlers, seine Malerei „wird zum Kennzeichnen der gerätegestützten Werkserien Koligs.“

Ausstellungsansicht, Albertina Modern "The Beginning", 2020, Foto: PARNASS

Immer wieder siedelte er seine Werke in Bereichen an, die Teil unseres Lebens sind, gesellschaftlich jedoch verdrängt werden, ob Urinbilder oder vergoldete Fäkalien, oder der Tod, wo Cornelius Kolig in der von mir kuratierten Ausstellung „K08 Emanzipation und Konfrontation“  für das Musikzimmer in Stift Ossiach eine Installation mit dem Titel „Die akustische Reanimation“ realisierte. Geräusche, die der lebende menschliche Organismus automatisch oder willentlich erzeugt, werden in einem pseudowissenschaftlichen Umkehrschluss zur Wiederbelebung eines Toten eingesetzt. Herzschlag, Atmung und Furzen bis hin zum Wasserlassen sind die auf einzelne CDs gespeicherten Geräusche, mit denen der Körper über Lautsprecher bis zu seiner erhofften Erweckung pausenlos beschallt wird. Durch die unterschiedlich lange Dauer der akustischen Wecksignale kam es durch ihre ständige Wiederholung zu einer zeitlichen Verschiebung und damit zu immer wieder neuen kompositorischen Überlagerungen. "Innerhalb eines kurzen Zeitraumes“, so Kolig, „kann der Besucher alle angewandten Reanimationselemente kennenlernen. Alles andere ist vergebliche, endlose Wiederholung einer orphischen Sisyphusarbeit". Die Auseinandersetzung des Künstlers mit dem menschlichen Körper durchbricht die Membran zwischen Kunst und Wirklichkeit, indem Kolig die Register der kunstimmanenten Mittel entscheidend erweitert.

Ausstellungsansicht, Albertina Modern "The Beginning", 2020, Foto: PARNASS

Dass Kolig mit seinem Werk immer wieder für Debatten sorgte, nahm er stets gelassen hin, politisch jedoch setzte er immer wieder wichtiges Statements, ob 1998 mit der Ausgestaltung des Kolig-Saal im Kärntner Landhaus, oder bei der Übergabe des Großen Kulturpreises des Landes Kärnten 2006, den er mit einer eigens dafür angefertigten Greifzangen-Apparat übernehmen wollte, um den damaligen Landeshauptmann Jörg Haider nicht die Hand geben zu müssen, den er wegen dessen Kulturpolitik und Haltung zur slowenischen Bevölkerung Kärntens stets scharf kritisierte. Letztlich erfolgte die Übergabe dann durch den evangelischen Superintendenten Manfred Sauer als "Mediator". Cornelius Kolig, dessen Werk in den heimischen Museen viel zu selten präsent ist wird seine letzte Ruhestätte im Paradies finden.

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