Selten zieht es die Besucher:innen des Naturhistorischen Museums ins gegenüberliegende Kunsthistorische und umgekehrt. Jacqueline Kornmüllers und Peter Wolfs intensives Stationentheater Ganymed Bridge verbindet nun diese beiden Häuser auf beeindruckende Art und Weise.


Wie oft ist man schon die mächtigen Stiegen im KHM empor geschritten und hat achtlos den blutigen Kampf von Theseus und dem Kentaur links liegen gelassen? Doch dieses Mal ist alles anders.

Denn die österreichische Komponistin Johanna Doderer und die iranische Künstlerin Shadab Shayegan überschreiben den männlichen Mythos von Gewalt und Dominanz mit Musik und Animationen. Antonio Canovas mächtige Skulpturengruppe wird zur marmornen Leinwand. Begleitet vom Klang zweier Geigen (Judith Fliedl, Evgeny Artemenkov) beginnen sich Schlangen auf den Körpern der im Kampf verbundenen Widersacher zu regen, fressen sich gegenseitig auf, töten. Krallen bohren sich tief ins Fleisch, bis beide, Sieger und Besiegter mit Wunden übersät sind und der Krieg zwischen Natur und Kultur nur noch Asche zurücklasst.

Judith Fliedl und Evgeny Artemenkov © Victoria Nazarova

Bereits zum achten Mal ist das Stationentheater GANYMED im Kunsthistorischen Museum (KHM) und zum allerersten Mal im Naturhistorischen Museum (NHM) gelandet. Unter der Leitung von Jacqueline Kornmüller und Peter Wolf wurden erneut Autor:innen, Komponist:innen und Performer:innen eingeladen, Auftragswerke über Objekte der zoologischen Schausäle sowie über Meisterwerke der Gemäldegalerie zu entwickeln. Sieben Szenen á sieben Minuten werden den Besucher:innen in jedem der beiden Museen geboten, zwei goldene Alphornbläser (Georg Schrattenholzer und Martin Ptak) schlagen die Klang-Brücke zwischen den Zwillingsbauten mit einem musikalischen Zwiegespräch von Call and Response.

Martin Ptak und Georg Schrattenholzer © Victoria Nazarova

In Dialog treten dann auch die Objekte der beiden Schausammlungen, eröffnen neue Perspektiven, die weit über eine bloße kunst- oder naturhistorische Beschreibung hinausgehen. Zwar wurden die Wege durch die Performances mit farbigen Pfeilen vorgegeben, die wenigsten Zuschauer:innen halten sich jedoch daran (Achtung: Gegenverkehr!). Hat sich eine bestimmte Anzahl an Personen in einem Raum versammelt, beginnt das Spiel vor den Kunst- oder Naturobjekten, lässt neue Bilder in den Alten Meistern entstehen oder leblose Tierpräparate ihre lebendigen Geschichten erzählen.

An dieser Stelle gleich ein gut gemeinter Tipp: Nehmen Sie auf dieser Reise unbedingt einen der vom Museum zur Verfügung gestellten Klappstühle mit und planen Sie mindestens zwei Stunden ein. Denn die einzelnen Interpretation fallen höchst unterschiedlich aus: So steigt etwa Grischka Voss als schillerndes Einhorn (Text: Theresa Präauer) aus Alessandro Bonvicinos „Hl. Justina“ und feiert die gesellschaftlichen Krisenstimmung mit einer Party. Peter Wolf, Mahan Mirarab, Mona Matbou Riahi erzählen derweil anhand eines indischen Elefanten eine wahre Geschichte, die sich in den 70er Jahren in der Nachbarschaft des NHMs zugetragen hat und besonders durch ihre Unmittelbarkeit und darstellerische Kraft berührt.

Peter Wolf © Victoria Nazarova

Im Nebenraum übersetzt Cellist und Komponist Lukas Lauermann die Welt des Mondfisches in bezaubernde Klangwellen, bei denen auch die Bedrohung durch den Menschen bzw. die Verschmutzung durch Plastikmüll spürbar wird. Die angeleinte Schauspielerin Mara Romei verwandelt sich derweil in den Jagdhund aus einem Gemälde von Jan Fyt (Text: Milena Michiko Flašar), der in einer vom Menschen verlassenen namenlosen Welt zurückgelassen wurde.

Lukas Lauermann © Victoria Nazarova

Ganymed Bridge hat es wieder einmal geschafft: Auf zauberhafte Art und Weise entpuppen sich Staffage-Tiere in Gemälden als Hauptdarsteller, scheinen uns ausgestopfte Präparate plötzlich zuzublinzeln, vermischen sich Fabeln und Fiktion. Die kindliche Vorstellungskraft wird auf dieser Reise wieder Wirklichkeit und lädt uns spielerisch dazu ein Bekanntes mit anderen Augen sehen.

„Wir werden miteinander oder gar nicht," schreibt die Wissenschaftstheoretikerin und Biologin Donna Haraway, deren Texte die Inspirationsquelle für Ganymed Bridge bildeten. Unweigerlich führt der intensive Brückenschlag zwischen Kultur und Natur - trotz manchmal verschwommener Akustik in den Museumsräumlichkeiten - daher zur existenziellen Frage: „Was ist ein Tier, und was ist der Mensch?". Und wenn dann noch ein älteres Paar beim Raumwechsel im NHM einander zuflüstert: „Wir müssen unbedingt wieder einmal herkommen!", scheint das Nil-Krokodil aus dem 18. Jahrhundert in seiner Vitrine beinahe schelmisch zu schmunzeln.

Kunsthistorisches Museum

Maria-Theresienplatz, 1010 Wien
Österreich

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